Politskandal in Frankreich:Adel, nur sich selbst verpflichtet

-

Jean-Pierre Jouyet, Generalsekräter im Élysée und langjähriger Vertrauter Hollandes.

(Foto: AFP)

Jean-Pierre Jouyet gilt als fleißiger Technokrat ohne Parteibuch. Einzige Schwäche: Er plaudert gerne. Nun stolpert Frankreichs oberster Beamter über die Strippen, die er selbst gesponnen hat.

Von Christian Wernicke, Paris

Bisher stand Jean-Pierre Jouyet im Ruf, ein Mann ohne Feinde zu sein. Sicher, es gab Neider auf dem Parkett der Pariser Macht, auch Gegner: Das gehört eben zum Beruf, wenn man als Generalsekretär, als Major Domus des Staatsoberhaupts und oberster Beamter im Élysée-Palast, die Geschicke der Republik verwalten darf. Nur der Mensch Jouyet blieb derweil stets unangefochten. Dieser 60-jährige Technokrat schien über den Dingen zu schweben, fern vom fauligen Morast französischer Parteipolitik. Linke wie rechte Politiker priesen Jouyet wahlweise als "brillanten Kopf", als "klugen Geist", als "kultivierte Seele". Die neuste Affäre der Pariser Politelite, in den Hauptrollen Jouyet und UMP-Politiker François Fillon, kratzt nun an dieser Reputation.

Dabei schätzen die Mächtigen der Nation den Notarsohn aus der Provinz, den Absolventen der Elitehochschule ENA, den perfekten "haut fonctionnaire". Gern traf man sich privat, zusammen mit Ehefrau Brigitte, Millionenerbin einer Champagner-Dynastie, Strategie-Direktorin von "Sciences Po", einer anderen Kaderschmiede der Republik. Jean-Pierre und Brigitte, das ist Frankreichs politische Klasse 1A. "Ein Paar an der Macht" titelte im Oktober Le Monde. "Les Jouyet" sind ein Paradebeispiel für jenen "Staatsadel", den der Soziologe Pierre Bourdieu bereits vor einem Vierteljahrhundert als wahre Machthaber in Politik und Wirtschaft identifiziert hatte.

Regierungen wechseln, die Funktionäre bleiben. Das höchste Beamtenkorps verkörpert die Kontinuität des Staates. Menschen wie Jouyet suchen Konsens, moderieren Kompromisse. Nach dem Studium diente er zunächst Jacques Delors in Brüssel, dann dem Sozialisten Lionel Jospin in Paris. Unter Nicolas Sarkozy war Jouyet zunächst Staatssekretär für Europa, dann Chef der Finanzmarktaufsicht. Und seit April dieses Jahres ist er eben zweiter Mann im Élysée, an der Seite eines sozialistischen Präsidenten, den er seit dem Studium an der ENA kennt. Seit 36 Jahren. "Ich habe einen politischen Mentor, das ist Nicolas Sarkozy. Und ich habe einen besten Freund, François Hollande", hat er seine bruchlose Karriere erklärt.

Alles perfekt, nur eine kleine Schwäche plagt den Herrn Generalsekretär: "Ich bin zurückhaltend mit meinen Ideen und offen mit meinen Worten", beschreibt er sich selbst: "Manchmal sage ich mehr, als ich will." Diese Offenheit hat Paris nun eine veritable Palastkrise beschert. Noch eine - als hätte Präsident François Hollande, längst der unbeliebteste Präsident der V. Republik, nicht schon genug Schlamassel am Hals.

Fillon schien erledigt, doch er wehrte sich

Jouyet hat geplaudert - und alle schreien "Skandal!" Denn das, was am 24. Juni beim Mittagessen in einem Séparée des feinen Pariser Restaurant "Ledoyen" besprochen worden sein soll, das riecht nach mieser Intrige. Jouyet traf an jenem Dienstag François Fillon, seinen früheren Premierminister. Der konservative Politiker war soeben Co-Präsident der bürgerlichen Oppositionspartei UMP geworden, und eine Affäre um die Finanzierung des Präsidentschaftswahlkampfs von Ex-Präsident Sarkozy drohte die Partei zu ruinieren. Fillon sei entsetzt gewesen über Sarkozys Finanzgebaren. So jedenfalls hat Jouyet es im September leutselig zwei Journalisten von Le Monde erzählt, offenbar im Glauben, als Quelle anonym zu bleiben. Fillon habe ihn im Juni bedrängt, der Élysée-Palast solle Druck auf die Justiz ausüben - und härter gegen Sarkozy vorgehen.

"Jean-Pierre, das ist Veruntreuung!", soll Fillon geschimpft haben, "wenn ihr nicht schnell zuschlagt, dann lasst ihr ihn zurückkommen!" Fillon, der nur zu gern Spitzenkandidat seines Lagers bei der Präsidentschaftswahl 2017 sein möchte, schien in flagranti ertappt worden zu sein bei dem Versuch, seinen Parteifreund und Konkurrenten Sarkozy zu vernichten. Das klang in den Ohren von Millionen Franzosen, die ihrer politischen Klasse so ziemlich jeden Brudermord zutrauen, durchaus glaubhaft.

François Fillon schien erledigt zu sein. Doch er wehrte sich. Die Story von Le Monde sei falsch, niemals habe er beim Mahl mit Jouyet über Sarkozys Machenschaften oder die Pleite der UMP geredet, beteuert er. Ein dritter Gesprächsteilnehmer, ebenfalls ENA-Absolvent und Elitebeamter, bestätigt Fillons Version. Und sogar Jouyet versucht zunächst, seinem früheren Premier und "Freund Fillon" aus der Klemme zu helfen: Der Generalsekretär leugnet zwei lange Tage, was er selbst Le Monde zugeflüstert hat. Nur: Die Journalisten hatten sein Intrigen-Zeugnis per Smartphone aufgenommen. Jouyet muss widerrufen, ist doppelt blamiert: als Schwätzer und als Lügner.

Pariser Elite-Kungelei freut Le Pen

Seither dreht die Opposition den Spieß um. Gegen Jouyet, gegen den Élysée-Palast. "Die Lüge", so schimpft Sarkozy, sei in dieser Regierung "die tägliche Praxis." François Fillon wettert, er sei das Opfer eines perfiden Regierungskomplotts. Warum die Regierung ausgerechnet ihrem Erzfeind Sarkozy den Gefallen tun sollte, einen seiner Konkurrenten aus dem Weg räumen, bleibt Fillons Geheimnis.

Das Lager Sarkozy jedenfalls traut Fillon nicht über den Weg. Aber der Ex-Präsident will Ende des Monats Parteichef werden, also mahnt er seine Anhänger zur Geschlossenheit: Fillon wird geschont - geschossen wird nur auf den Élysée.

Am Mittwoch lässt Präsident Hollande dann wissen, er stehe zu seinem Freund und Generalsekretär. Es ist ausgerechnet Ségolène Royal, Hollandes langjährige Lebensgefährtin und jetzige Umweltministerin, die am Mittwoch als Erste ihre Solidaritätserklärung formuliert. Alle drei kennen sich seit anno 1978 - von den Studienbänken der ENA.

Was unterm Strich zurückbleibt, ist der verheerende Eindruck, dass diese Pariser Elite Kungelei und Kabale nach Belieben betreibt. Miteinander, gegeneinander. Genau in dieses Horn bläst Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National. Die Affäre Fillon-Jouyet schlachtet sie aus als "Exempel für die Machenschaften der UMPS". UMPS, mit diesem Kürzel wirft sie Konservative (UMP) und Sozialisten (PS) genüsslich in einen Topf.

Auch die Linke ballt die Faust - aber nur in der Tasche. Nur anonym raunen linke PS-Abgeordnete, Jouyet sei "untragbar geworden". Sie verübeln dem Präsidentenfreund, dass der schon vor sieben Jahren sozialliberale Papiere verfasste, um die PS nach rechts zu rücken. Jouyet wollte damals alte Gräben überwinden, deshalb drängte er die Sozialisten zur Koalition mit den Zentristen. 2007 hat Jouyet Sarkozy gewählt, 2014 votierte er für Hollande. Er ist immer bei den Gewinnern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: