Politkrimi:Die Affäre Kováč

Politkrimi: Vladimír Mečiar war in den Neunzigern drei Mal Ministerpräsident der Slowakei - und ein Intimfeind des damaligen Präsidenten Michal Kováč.

Vladimír Mečiar war in den Neunzigern drei Mal Ministerpräsident der Slowakei - und ein Intimfeind des damaligen Präsidenten Michal Kováč.

(Foto: Petr David Josek/AP)

Das spektakulärste Polit-Verbrechen der Slowakei könnte nun aufgeklärt werden. Nach 20 Jahren ist der juristische Weg dafür frei. Doch vor zwei Wochen starb ein wichtiger Zeuge.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Auf die slowakische Justiz kommt eine Mammutaufgabe zu: Sie muss einen mehr als 20 Jahre zurückliegenden Entführungsfall aufarbeiten, der mutmaßlich vom früheren Premier Vladimir Mečiar angeordnet und vom slowakischen Geheimdienst ausgeführt worden war. Wenn es gut läuft, könnten damit auch weitere Dramen untersucht - und aufgearbeitet - werden. Sie reichen bis in die Gegenwart hinein: zwei mysteriöse Fälle, bei denen Zeugen zu Tode kamen, zwei suspekte Amnestien, ein kaltgestellter Abgeordneter, ein kaltgestellter Präsident, jahrelange Machtkämpfe und ein Trauma, das die jüngere Geschichte des kleinen EU-Landes seit vielen Jahren überschattet.

Zwei Jahrzehnte lang verstaubten die Akten zu einer Kette von Politskandalen, lagen 20 000 Seiten Material im Bezirksgericht Bratislava III unter Verschluss, kamen 13 Angeklagte, darunter ein Ex-Chef und mehrere Offiziere des Geheimdienstes, ungeschoren davon. Sich mit den Vorfällen aus der Nachwendezeit zu befassen, war verboten gewesen. Die Amnestien, die die Aufklärung der Entführung verhinderten, hatte damals jener Ministerpräsident erlassen, den viele in der Slowakei als Drahtzieher vermuteten: Vladimir Mečiar.

Nach einer Verfassungsänderung, die den Weg dafür frei machte, hat das Parlament in Bratislava die Amnestien in der vergangenen Woche für ungültig erklärt. Ministerpräsident Robert Fico, der gegen entsprechende Anträge der Opposition lange argumentiert hatte, die Amnestien seien "moralisch verwerflich, aber juristisch unangreifbar", hatte sich zuletzt zum größten Befürworter ihrer Aufhebung gewandelt. Noch wird in Bratislava gerätselt, warum. Soll der Richtungswechsel aktuelle politische Gegner in Bedrängnis bringen?

Zwar muss das Verfassungsgericht dem Parlamentsbeschluss noch zustimmen, wofür es 60 Tage Zeit hat. Kommt es bis dahin nicht zu einer Entscheidung, ist der Beschluss gültig. Die Ermittlungen könnten also sofort beginnen, noch vor der Einlassung der Höchstrichter. Dennoch will das zuständige Gericht das Urteil der Verfassungsrichter abwarten. Auch das hat im Land Rätselraten ausgelöst. Warum nicht gleich loslegen, zwei Jahrzehnte nach Erlass der Amnestien?

Immerhin ist das Thema auf der Tagesordnung. Durch die Slowakei geht ein Aufatmen - gleichzeitig ist die Angst spürbar, es könne zu weiteren Verbrechen kommen. Ein wichtiger Zeuge aus jenen Tagen, der slowakische Politiker František Gaulieder, der nach eigenen Angaben belastendes Material gegen Mečiar und seine Helfershelfer gesammelt hatte, ist vor zwei Wochen in der Nähe seiner Heimatstadt Galanta von einem Zug überrollt worden. Zuvor war er zwölf Stunden lang nicht erreichbar gewesen. Insider sagen, die Spürhunde der Polizei hätten neben seinem abgestellten Auto keine Spuren von Gaulieder gefunden, was darauf hindeute, dass er aus dem Wagen in ein anderes Fahrzeug gezerrt worden war. Gaulieder hatte seit 1995 immer wieder Drohungen erhalten.

Die Vorgeschichte ist komplex und basiert letztlich auf einem epischen Machtkampf zwischen Mečiar und dem früheren Staatspräsidenten Michal Kováč. Mečiar war 1994 nach einer Intervention von Kováč per Misstrauensantrag als Premier abberufen, wenige Monate später allerdings wiedergewählt worden. Kováč stellte Mečiar in der Öffentlichkeit als skrupellosen Egomanen hin; der wiederum beschimpfte Kováč als "Nestbeschmutzer und Verräter".

Kováč, der mittlerweile verstorben ist, hatte damals einen wunden Punkt, an dem ihn sein Intimfeind Mečiar zu treffen versuchte: seinen Sohn. Michal Kováč junior wurde wegen eines mutmaßlichen Millionenbetruges per internationalem Haftbefehl von der deutschen Staatsanwaltschaft gesucht, aber nicht ausgeliefert. 1995 wurde der Junior dann aber in der Nähe seines Heimatortes überfallen, in ein Auto gezerrt, misshandelt, unter Alkohol gesetzt und über die Grenze nach Österreich geschafft. Dort saß er aufgrund des Haftbefehls kurzzeitig ein. Das Oberlandesgericht Wien entschied schließlich zu seinen Gunsten und ließ ihn gehen - mit der Begründung, er sei gegen seinen Willen und damit widerrechtlich über die Grenze gebracht worden. Die Entführung sei ein Racheakt von Mečiar an Kováč senior gewesen, wurde allseits vermutet.

Hier nun beginnt die eigentliche Geschichte von Verdunklung, Verunglimpfung, Verstrickung. Und vermutlich auch von Mord.

Denn die Ermittlungen im Entführungsfall Michal Kováč junior gerieten zum Politikum, als immer offensichtlicher wurde, dass der slowakische Geheimdienst SIS seine Finger im Spiel gehabt hatte. Alle Beamten, die sich dahin gehend äußerten, wurden unter Druck gesetzt oder von dem Fall abgezogen. Der Chefermittler des Innenministeriums forderte die Schweigepflicht für SIS-Mitarbeiter aufzuheben und äußerte die Vermutung, der Ministerpräsident selbst könnte hinter der Aktion stehen - er wurde gefeuert. Sein Nachfolger wurde beurlaubt. Ein Verdächtiger kam auf freien Fuß. Parlamentarier, die sich gegen Mečiar wendeten, wurden zusammengeschlagen, Journalisten unter Druck gesetzt.

Eine Entführung, Todesfälle, suspekte Amnestien - wird jetzt wirklich reiner Tisch gemacht?

Dann geschah der erste Mord: Ein Polizist, der sich als Zeuge der Anklage zur Verfügung gestellt hatte, starb 1996 bei einer Bombenexplosion in seinem Auto. Die Umstände wurden nie geklärt.

Kováč senior wurde als Präsident zunehmend unter Druck gesetzt - auch, weil er schnellere Ermittlungen zur Entführung seines Sohnes forderte. Sein Kompetenzradius wurde eingeengt, er selbst der Korruption bezichtigt. 1997 missbrauchte er sein Amt, um Ermittlungen gegen seinen Sohn, der des Betrugs verdächtigt wurde, niederzuschlagen. Auch er nutzte das juristische Mittel der Amnestie - mit dem Argument, es reiche, wenn deutsche Behörden in der Causa tätig seien. Im Jahr darauf, als Kováč schon nicht mehr im Amt war, schlug Mečiar zurück: Er erließ eine Amnestie, die alle Ermittlungen in dem Entführungsfall untersagten. Bis heute. Im Jahr 2000 war auch das Betrugsverfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden.

Nun also könnte alles wieder auf den Tisch kommen, die Anklage wiederbelebt werden. Damit aber wäre auch eine Frage verbunden, die mit dem jetzt erst zu Tode gekommenen Zeugen Gaulieder in Verbindung stehen: Wer hat, falls es Mord war, 20 Jahre nach den Vorkommnissen, ein Interesse daran, einen Zeugen zu beseitigen? Slowakische Medien tippen auf alte Geheimdienstverbindungen.

Ob wirklich reiner Tisch gemacht wird, bleibt abzuwarten. Béla Bugár, der Chef der Partei Most-Híd, zeigte sich überzeugt, das Verfassungsgericht werde die Abschaffung der fraglichen Amnestien bestätigen, die Ermittlungen könnten also bald aufgenommen werden. Peter Kresák, der die Regierung vor Gericht vertreten wird, hat da so seine Zweifel. Einige Richter sympathisierten noch heute mit Mečiar, der seit 1998 nicht mehr an der Macht ist. Ein Verfassungsrichter etwa, auf den es jetzt ankommt, hatte den Beschluss, die Aufhebung der Amnestien per Verfassungsänderung zu ermöglichen, im Vorfeld verurteilt: Das sei, als versuche man, "Schneebälle zu braten".

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