Eine Szene wie aus einem Endzeitfilm. Schauplatz ist Port Arthur, eine Kleinstadt 140 Kilometer östlich von Houston, Texas, an der Grenze zu Louisiana. Bis zum Horizont dampfende Schornsteine, lodernde Gasfackeln, Metallrohre, Kolonnen und Tanks. Spielplätze mit Warnhinweisen wegen „High Pressure Petroleum Pipelines“. Wer aus dem Auto aussteigt, nehme „einen leicht scharf-süßlichen Geruch“ wahr – Benzol. Der Stoff ist giftig, krebserregend.
Den Besuch von Port Arthur, dem Zentrum der amerikanischen Öl- und Gas-, sowie der angeschlossenen Petrochemie-Industrie, „werde ich ganz sicher nicht vergessen“, schreibt die Journalistin und Publizistin Kathrin Hartmann. Und ihre Leser wohl auch nicht. Falls jemals jemand geglaubt hat, dass das Geschäft mit Öl und Gas ein sauberes ist, der wird hier auf brutale Art und Weise widerlegt. Die Schilderungen aus den Orten der fossilen Industrie sind die stärksten Passagen in Hartmanns Buch „Öl ins Feuer – Wie eine verfehlte Klimapolitik die globale Krise vorantreibt“.
Untergang und Verderbnis? Das können viele nicht mehr hören.
Kathrin Hartmann hat bereits mehrfach Greenwashing angeprangert, das Profitstreben von Wirtschaftskonzernen auf Kosten von Umwelt, Klima und oft auch ärmerer Menschen. Ihr neuestes Buch reiht sich hier ein. „Öl ins Feuer“ ist eine wütende Anklageschrift gegen die Öl- und Gasindustrie. Ihr Furor richtet sich dazu gegen eine Politik, die dem keine Schranken setzt, sondern oft genug mitspielt. Und endet in der Grundsatzkritik am Kapitalismus, auch am neuen, „grünen“ Kapitalismus.
Und das in einer Zeit, in der sich viele in der Szene fragen, wie man dem Thema Klimaschutz mehr Positives abgewinnen kann. Wie man die Menschen zum freudigen Mitmachen bewegen kann. Untergang und Verderbnis? Das können viele nicht mehr hören. Und was macht Kathrin Hartmann? In Ihrem Buch liegt so viel Finsternis, dass man sich irgendwann die Frage stellt: Ist die Welt noch zu retten? Ist es wirklich so schlimm? Und: Kann man so viel Pessimismus eigentlich noch aushalten in Zeiten von Krieg, Messerattacken, Rechtsruck?
Hartmann erzählt diese Finsternis mit starken Geschichten von Orten der Zerstörung. „Bauch der Bestie“ nennt John Beard die Gegend, seine Heimat. Er wurde dort 1956 geboren, Schwarzen wurden bis in die Sechzigerjahre Wohngebiete zugewiesen, „sein Elternhaus grenzt an Öltanks, seine Grundschule steht neben der Valero-Raffinerie“. Die Krebsrate sei hier um 15 Prozent höher als im texanischen Durchschnitt, schreibt Hartmann, die Krebssterblichkeitsrate bei Afroamerikanern 40 Prozent höher als im Bundesstaat. Menschen litten an Herz-, Haut-, Atemwegs- und Nierenkrankheiten. Kinder haben überdurchschnittlich oft Asthma. Bereits Dreijährige seien auf Medikamente und Atemgeräte angewiesen.
Diesen Zahlen kann niemand entkommen. Nicht viel anders sehe es in anderen Orten an der Südküste der USA aus. Auch dort, von wo aus Flüssiggas nun vermehrt nach Europa, nach Deutschland verschifft werde. „Extrem menschenverachtend“ sei das, sagte Hartmann dazu im Deutschlandfunk. Ihr Blick darauf ist klar. Doch was zu kurz kommt, sind die Widersprüche.
„Rümpf nicht die Nase, mein Junge, das ist der Geruch des Geldes.“
Immerhin, Hartmann erwähnt sie: „Obwohl die Klimakrise bereits vor der Haustür tobt und die Öl- und Gasindustrie Lebensgrundlagen und Gesundheit zerstört, ist Louisiana eine Hochburg der Republikaner. Also jener Partei, die der Industrie zuliebe am liebsten die Umweltbehörde EPA abschaffen würde, und die Umweltgesetze gleich mit.“ Oder wie John Beards Vater aus Port Arthur zu seinem Sohn sagte, wenn die Heimat wieder nach Gift und Öltank stank: „Rümpf nicht die Nase, mein Junge, das ist der Geruch des Geldes.“ Der Mensch zerstört die Umwelt und sich selbst für ein bisschen Wohlstand? Dieser Frage in all ihrer Zerrissenheit und Schmerzhaftigkeit nachzugehen, wäre auch mal ein Buch wert.
In ihrer Wut gegen alle wird Hartmann bisweilen ungerecht. So kann man mit guten Argumenten die neuen Flüssiggas-Terminals etwa in Wilhelmshaven oder auf Rügen unnötig und schlecht finden. Doch das Vorgehen der Bundesregierung höhlt nicht, wie von der Autorin behauptet, die Demokratie aus. Die Regierung ist nun mal demokratisch gewählt und hat das Recht, Entscheidungen zu treffen. Dazu hatte sie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, inmitten der Energiekrise, ziemlich sicher eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich für diese Projekte.
Neben den Schilderungen aus den Gruselorten der fossilen Industrie geht es in den Kapiteln des Buches um „Atomkraft-Zombies“, technologische „Scheinlösungen“ wie CO₂-Speicherungen unter der Erde oder den „Kohlenstoff-Kolonialismus“ mit den CO₂-Kompensationen durch Aufforstungen irgendwo auf der Welt. Grünes Wachstum und Wasserstoff nennt Hartmann „das Wolkenkuckucksheim“. Starke Worte.
Die Autorin hat in vielen Punkten recht, es gibt überall Missstände, Nachteile vor allem für ärmere Menschen, für Tiere und Umwelt. Es ist notwendig, dass jemand auf diese hinweist. Kathrin Hartmanns Buch ist eine schmerzhafte Problembeschreibung. In ihren Urteilen allerdings fehlt der kühle Blick. Die Ampelkoalition mit ihrem grünen Wirtschaftsminister in die Nähe zu stellen mit den Egomanen der republikanischen Partei in den USA? Den Versuch, mit grünem Wasserstoff eine neue Energiewelt ohne Öl, Gas und Kohle zu schaffen, ganz und gar in die Tonne treten? Eine Abstufung des Schreckens tut meistens gut.