Politischer Islam: Moschee in München:"Im Kampf gegen den Kommunismus war alles erlaubt"

Altnazis, CIA und die Muslimbrüder: Sie alle kämpften um die älteste Moschee Münchens und wollten den Islam für ihre Zwecke nutzen. Ian Johnson hat die abenteuerliche Geschichte recherchiert.

Matthias Kolb

Der 48-jährige Ian Johnson arbeitete als Korrespondent des Wall Street Journal in Peking und Berlin. 2001 erhielt der kanadisch-amerikanische Journalist den Pulitzerpreis für seine Artikel über die in China unterdrückte Falun-Gong-Bewegung. Zuletzt beschäftigte sich Johnson vor allem mit den Hintergründen des politischen Islam und recherchierte intensiv über die Anschläge vom 11. September.

Freimanner Moschee

Im Inneren der Moschee in München-Freimann.

(Foto: HESS, CATHERINA)

sueddeutsche.de: Mister Johnson, was macht die Moschee am Rande von München so besonders, dass Sie ein ganzes Buch über sie geschrieben haben?

Ian Johnson: Das Interessante an der Moschee in Freimann ist, dass es in ihrer Geschichte drei Versuche gab, den Islam für politische Zwecke zu nutzen. Es begann im Zweiten Weltkrieg, als die Deutschen Muslime aus der Sowjetunion für den Kampf gegen Stalin anheuerten. Im Kalten Krieg verfolgten die Amerikaner eine ähnliche Strategie, um die Sowjetunion zu schwächen. Ab den sechziger Jahren kamen die arabischen Muslimbrüder und wollten München zur Drehscheibe machen.

sueddeutsche.de: Worauf spielt der Titel Ihres Buches an? Sie haben es Die vierte Moschee genannt.

Johnson: Ich stöberte 2003 in einer Londoner Buchhandlung, in der islamistische Schriften verkauft wurden. An der Wand hing eine Weltkarte und darauf waren die wichtigsten Moscheen der Welt abgebildet. Neben der Großen Moschee in Mekka, dem Felsendom in Jerusalem und der Blauen Moschee in Istanbul war das Islamische Zentrum München zu sehen. Dies weckte meine Neugier.

sueddeutsche.de: Was wussten Sie bis dahin über die Münchner Moschee?

Johnson: Ich kannte das Islamische Zentrum München, weil ich zuvor einige Zeit über den politischen Islam recherchiert hatte. Aber es wunderte mich, dass jemand diese Gebetsstätte so hervorhob: Es war nicht die größte Moschee in Deutschland, und schon gar nicht in Europa. Ich fand schließlich heraus, dass das Islamische Zentrum München nicht wie Mekka als religiöser Ort bedeutend ist - aber es war 25 Jahre lang ein wichtiger Standort des politischen Islams in Europa.

sueddeutsche.de: Warum entstand dieses Zentrum des politischen Islam ausgerechnet in München?

Johnson: Die Männer aus Aserbaidschan, Usbekistan, Tadschikistan oder dem Kaukasus, die für die Wehrmacht gekämpft hatten, landeten fast alle in den Lagern für displaced persons im US-Sektor. Hunderttausende wurden zurückgeschickt, doch einige tausend konnten bleiben. München war die größte Stadt im US-Sektor und hier gab es Arbeit für die Muslime. München, damals eine Frontstadt der Ideologien, war ein wichtiger Standort der CIA: Es gab riesige Abhöreinrichtungen, das Konsulat war das zweitgrößte nach Hongkong und die Propaganda-Sender Radio Liberty und Radio Free Europe brauchten Leute mit Sprachkenntnissen und antikommunistischer Gesinnung.

sueddeutsche.de: Wie kamen die Nationalsozialisten darauf, Muslime aus der UdSSR anzuwerben?

Johnson: Die Idee stammt hauptsächlich von Gerhard von Mende, einer der drei Hauptfiguren meines Buches. Er war ein Turkologe, der viele Sprachen beherrschte und sich intensiv mit der Sowjetunion beschäftigt hatte. Er war überzeugt, dass die Achillesferse der UdSSR die muslimischen Minderheiten waren: Sie wollten nicht Teil dieses Imperiums sein, das ihre Religion unterdrückte. Als die Sowjetunion 1991 kollabierte, geschah dies genau entlang dieser Linien.

sueddeutsche.de: Wie funktionierte die Zusammenarbeit während des Krieges?

Johnson: Die Nazis machten während des Ost-Feldzuges Hunderttausende muslimische Kriegsgefangene - manche wechselten freiwillig die Seiten. Einige zehntausend ließen sich von dem Versprechen überzeugen, ihre Heimatländer zu "befreien", wenn sie nach einer Ausbildungsphase gegen die Rote Armee kämpfen. So gab es in der Waffen-SS sogar Imame, aber im Allgemeinen waren die Nazis nicht glaubwürdig für die Muslime, auch wenn es beim Antisemitismus Berührungspunkte gab. Von Mende hatte übrigens mehrere judenfeindliche Schriften publiziert.

Islam als Mittel zur Destabilisierung

sueddeutsche.de: Sie beschreiben im Buch, dass von Mende an seiner Idee festhielt, Muslime zur Destabilisierung der Sowjetunion einzusetzen.

Moschee in Freimann in München, 1973

Nach 15 Jahren Planung wurde die Moschee in München-Freimann 1973 eröffnet: Da der Bau vor allem von Libyen finanziert wurde, kamen Würdenträger aus dem arabischen Land zur Feier.

(Foto: Fritz Neuwirth)

Johnson: Nach Kriegsende wollte er einige seiner Leute weiter benutzen. Damals hatte die Bundesrepublik 13 Millionen Vertriebene, die eine wichtige politische Kraft darstellten. Gerade den Konservativen fiel es schwer, die Oder-Neiße-Linie zu akzeptieren. Politiker wie der Vertriebenen-Minister Theodor Oberländer - er trat später wegen seiner NS-Vergangenheit zurück - hofften, dass die von Mende rekrutierten Leute für einen Kollaps der UdSSR sorgen würden. Später, so lautete das Kalkül, hätten von Mendes Muslime und andere sowjetische Minderheiten dann das Sagen in den neuen Staaten gehabt und dann den Deutschen aus Dankbarkeit geholfen, die alten Gebiete zurückzubekommen. Diese Vorstellung war nicht realistisch - und es fehlte auch das Geld.

sueddeutsche.de: Das hatten hingegen die Amerikaner.

Johnson: Die CIA gab damals Hunderte Millionen Dollar aus. Sie heuerte auch Leute an, die für von Mende gearbeitet hatten und versuchte, ihre Ziele mit Geheimoperationen zu erreichen: Sie schickte Agenten auf die Pilgerfahrt nach Mekka, die nach ihrer Rückkehr auf Pressekonferenzen berichteten, wie die Sowjetunion den Islam unterdrückte. Auch die Konferenz der blockfreien Staaten in Bandung 1955 wurde von Bayern aus im Sinne der Amerikaner beeinflusst.

sueddeutsche.de: Die USA wollten wie die Nazis die Sowjetunion mit dem Islam destabilisieren.

Johnson: Es gab noch ein Motiv: Washington verfolgte genau, wie seit den fünfziger Jahren neue, unabhängige Staaten entstanden, die noch nicht wussten, ob sie eher dem kapitalistischen oder dem kommunistischen Modell folgen sollten. Der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower war sehr religiös und davon überzeugt, dass der Westen in der muslimischen Welt punkten könnte, weil er Religionsfreiheit garantierte - und nicht den Atheismus propagiere wie die UdSSR.

sueddeutsche.de: Und für diesen Kampf suchte Washington neue Verbündete.

Johnson: Genau, im Kampf gegen den Kommunismus war alles erlaubt. Die Amerikaner kamen zu dem Schluss, dass die Münchner Muslime, also die früheren Nazikämpfer, nicht geeignet waren, um den Islam glaubwürdig in der Welt zu vertreten. In der Sowjetpresse wurde deren Vergangenheit immer wieder hervorgehoben. Sie wurden zu einer Belastung.

sueddeutsche.de: In diese Lücke stieß dann die arabische Muslimbruderschaft.

Johnson: Die radikalen Muslimbrüder waren für diese Rolle viel besser geeignet: Sie waren jung, ehrgeizig, gut vernetzt mit der islamischen Welt und gut ausgebildet. Dieser interne Kampf ist jedoch der Grund, dass in München eine Moschee gebaut wurde - es war der letzte Versuch der deutschen Behörden, die Muslime an die Bundesrepublik zu binden.

sueddeutsche.de: Das war 1958, als der Moscheebauverein gegründet wurde. Wieso dauerte es bis 1973, bis der Ruf des Muezzins das erste Mal erklang?

Johnson: Es kam zu vielen internen Streitigkeiten und es dauerte lange, das Geld zu sammeln. Am Ende wurde der Bau vor allem von Libyen, sprich von Gaddafi, finanziert. Für Verzögerung sorgte auch, dass die deutschen Behörden das Projekt nicht mehr unterstützen, als sie merkten, dass sie keinen Einfluss mehr hatten. Alle Soldaten traten zurück, der Weg war frei für die Muslimbrüder und ihren inoffiziellen Außenminister Said Ramadan.

sueddeutsche.de: Welche Ideologie vertritt die Muslimbruderschaft?

Johnson: Die Muslimbrüder begannen 1928 als Reformbewegung in Ägypten. Ihre Kernbotschaft lautet, dass der Islam die Lösung für alle Probleme sei. Es wäre falsch zu behaupten, dass jeder Muslimbruder ein Terrorist sei, aber fast alle Terroristen haben die klassischen Schriften, etwa vom Gründer Hassan el-Banna oder Sayyid Qutb gelesen. Viele prominente Al-Qaida-Mitglieder haben gesagt: Wir haben die Werke el-Bannas gelesen und es hat mein Denken verändert. Demnach steht einer kleinen Gruppe guter Muslime eine Vielzahl von Ungläubigen gegenüber - und auch all jene Muslime, die nicht im Sinne der Muslimbrüder ihre Religion ausüben.

Die Ahnungslosigkeit der Geheimdienste

Politischer Islam: Moschee in München: Er hat jahrelang über die Geschichte der Moschee in München-Freimann recherchiert: Der kanadisch-amerikanische Schriftsteller Ian Johnson.

Er hat jahrelang über die Geschichte der Moschee in München-Freimann recherchiert: Der kanadisch-amerikanische Schriftsteller Ian Johnson.

(Foto: Robert Haas)

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielte die Münchner Moschee nach 1973 für die Bruderschaft?

Johnson: Mahdy Akef, der bis 2010 die Bruderschaft angeführt hatte, war von 1984 bis 1987 Oberimam in Freimann. Die Moschee war sowohl ein sicheres Rückzugsgebiet als auch eine Drehscheibe, von der aus sie ungestört planen und andere Länder infiltrieren konnten. Das Führungsgremium war ein Who's who des politischen Islams. Viele dieser Leute hatten keinerlei Bezug zu München, sie stammten etwa aus Ägypten, Syrien und Pakistan. Die Muslimbrüder waren so dominant, dass sie die türkischen Migranten aus der Organisationsebene heraushalten konnten, obwohl diese in der Mehrheit waren. Das ist auch etwas Besonderes: Der politische Islam kam nicht mit den Gastarbeitern nach Deutschland, wie man annehmen würde.

sueddeutsche.de: Die Geheimdienste hatten keine Ahnung, was dort geschah?

Johnson: Die Prioritäten hatte sich geändert: Der CIA-Agent Robert Dreher, ein weiterer Protagonist des Buches, ging von München aus nach Vietnam, was symptomatisch die Veränderung des amerikanischen Interesses zeigt. Die Deutschen waren in den siebziger Jahren mit dem Kampf gegen die Rote-Armee-Fraktion und den Linksterrorismus beschäftigt. Die Verantwortlichen in der Moschee waren sehr unauffällig.

sueddeutsche.de: Gab es Verbindungen zu Terrorzellen?

Johnson: Es gab zwei Ereignisse, die für Aufsehen sorgten: Mahmoud Aboulina, einer der Drahtzieher des Bombenanschlags auf das World Trade Center 1993, hatte zuvor die Münchner Moschee besucht und dort um Rat gebeten. Ein Al-Qaida-Finanzier wurde 1998 in Freimann verhaftet, nachdem das FBI das BKA um Hilfe gebeten hatte. Die Recherchen ergaben, dass der Mann Kontakte zur Hamburger Al-Quds-Moschee hatte, wo Mohammed Atta verkehrte. Ich sage nicht, dass es eine direkte Verbindung gab, aber es sind zu viele Zufälle, um von einer normalen Moschee zu sprechen.

sueddeutsche.de: Ihr Buch erschien im vergangenen Jahr in den USA. Was hat die Leser dort an dem Fall fasziniert?

Johnson: Sie interessierten sich vor allem für die Parallelen zwischen damals und heute. Die meisten Amerikaner denken, dass der radikale Islam geboren wurde, als Washington im Afghanistankrieg der achtziger Jahre die Mudschahedin mit Geld und Waffen versorgte, um die Sowjets zu besiegen. Dabei begann alles mindestens 25 Jahre vorher in Bayern.

sueddeutsche.de: Gerade die Figur des Said Ramadan zeigt, dass sich viele Menschen nicht so benutzen lassen, wie es Geheimagenten manchmal planen.

Johnson: Ja, Ramadan konnte sich gut in beiden Welten bewegen. Im Gegensatz zu den Amerikanern hatten die Muslimbrüder eine langfristige Strategie, die sie konzentriert verfolgten. Sie sind exzellente Organisatoren und heute in jedem europäischen Land vertreten, sie haben Jugendverbände und paneuropäische Institutionen. Gerade in Deutschland und Frankreich ist die Bruderschaft einflussreich - das ist nicht ohne Risiko in einer Zeit, in der Politiker immer wieder den Dialog suchen.

sueddeutsche.de: Kennen die Muslime, die heute in Freimann beten, die Historie der Moschee?

Johnson: Nur wenige. Ein einflussreicher Konvertit hat mir erzählt, dass kaum einer der Gläubigen den Namen Said Ramadan jemals gehört hat - und das schien ihn nicht zu stören.

sueddeutsche.de: Welche Bedeutung hat die Moschee heute? Es gab ja Razzien wegen des Vorwurfs der Finanzierung von Terroristen.

Johnson: Aus meiner Sicht hat die Münchner Mosche nach dem 11. September an Einfluss verloren. Es gab zu viel Aufmerksamkeit, zu viele Durchsuchungen und man sperrte die Konten der einflussreichsten Leute. Heute ist die Moschee nur noch als regionales Zentrum des Islams wichtig, aber ihre Geschichte bleibt einzigartig.

Das Buch Die Vierte Moschee von Ian Johnson ist im Klett-Cotta Verlag erschienen. In wenigen Tagen veröffentlicht der Beck-Verlag ein weiteres Buch zum Thema: In Eine Moschee in Deutschland beleuchtet Stefan Meining stärker die Verwicklungen der deutschen Politik. Beide Autoren kennen sich und haben während der Recherche kooperiert.

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