Politischer Alltag:Risse im gutbürgerlichen Bild der AfD

Konstituierende Sitzung Landtag Rheinland-Pfalz

Uwe Junge (re.) und andere AfD-Abgeordnete singen bei der konstituierenden Sitzung des Landtags in Mainz die Nationalhymne.

(Foto: dpa)

Drei Monate nach ihren Wahlerfolgen vermeiden viele AfD-Landtagsabgeordnete Provokationen. Doch das gilt längst nicht für alle.

Von Susanne Höll, Mainz, Josef Kelnberger, Stuttgart, und Cornelius Pollmer, Dresden

An diesem Mittwoch schlägt Jörg Meuthens große Stunde. Als Fraktionschef der AfD, der stärksten Oppositionsfraktion im baden-württembergischen Landtag, eröffnet er die Aussprache zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Meuthen, ein Wirtschaftsprofessor aus Karlsruhe, würde sich nur allzu gern als wahre Stimme des konservativen Lagers profilieren.

Doch ein Gefolgsmann aus der Fraktion macht ihm solche Profilierungsversuche schwer. Dem Abgeordneten Wolfgang Gedeon wird Antisemitismus vorgeworfen. Meuthen ist bemüht, den Mann loszuwerden. Knapp drei Monate nach ihren Wahlerfolgen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sortieren sich die in Parlamentsdingen bisher unerfahrenen Rechtspopulisten in der Opposition.

Jörg Meuthen hat ein Problem

Im Osten Deutschlands, so viel lässt sich inzwischen feststellen, tritt sie in toto eher derb auf. Im Westen meiden zumindest die AfD-Protagonisten in den Parlamenten Provokationen und sind bemüht, ihre Sprache zu zügeln. In der zweiten und dritten Reihe sieht das freilich anders aus. So wie es der Fall Gedeon in Stuttgart zeigt.

Der Arzt aus Konstanz hat zwei Bücher geschrieben. Das eine trägt den Titel "Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten", das zweite beschäftigt sich mit der "christlich-europäischen Leitkultur" und den "Herausforderungen Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam".

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin diene der Erinnerung an "gewisse Schandtaten", meint Gedeon. Den Holocaust bezeichnet er als "Zivilreligion des Westens", Holocaust-Leugner nennt er "Dissidenten". Mehrmals bezieht sich Gedeon auf die "Protokolle der Weisen von Zion", ein antisemitisches Pamphlet.

Meuthen zieht nun Konsequenzen; beim Thema Antisemitismus gebe es null Toleranz, sagt er. Auf sein Betreiben hin beantragte die Mehrheit der Landtagsfraktion am Dienstag nach längerer Debatte, Gedeon auszuschließen. Darüber will die Fraktion auf ihrer nächsten Sitzung in zwei Wochen endgültig entscheiden. Nötig dafür ist eine Zweidrittelmehrheit der AfD-Abgeordneten. Der AfD-Bundesvorstand zeigte sich ebenfalls "entsetzt" über den Autor und erinnerte an die Möglichkeit eines Parteiausschlusses.

Wüste Zwischenrufe im Mainzer Parlament

Auch in Rheinland-Pfalz zeigten sich schon erste Risse in dem bürgerlich-manierlichen Bild, das die West-AfDler gern von sich zeichnen. In der Debatte über die Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) kam es vergangene Woche zum Eklat.

Dafür sorgte allerdings nicht der Fraktionsvorsitzende Uwe Junge, ein Soldat, der stets beste Manieren an den Tag legt. Der CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner und dem FDP-Vize-Ministerpräsidenten Volker Wissing macht er öffentlich Komplimente, auf die beide offenkundig gern verzichten würden. Seine Fremdenfeindlichkeit aber kann er nicht immer verhüllen. Im Landtag warf er der Ampel-Koalition Dreyers vor, ihr sei der "ungebildete marokkanische Immigrant wichtiger als die deutsche Rentnerin, die ihr Leben lang geschuftet hat".

Die Aufregung schürte Junges Stellvertreter Joachim Paul, ein Gymnasiallehrer aus Koblenz, der in einigen ziemlich erregten Zwischenrufen den SPD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Schweitzer beschimpfte. Es fiel dabei das Wort "Brandstifter", auch der Ausdruck "Hetzer" wurde vernommen. Eine Rüge blieb Paul jedoch erspart, die amtierende Landtags-Vizepräsidentin ließ Milde walten.

Aufwallungen im Parlament sollen, da sind sich alle übrigen Parteien einig, vermieden werden. Man will der AfD, die sich gern als Märtyrer im politischen Betrieb geriert, keinen Anlass für neue Klagen über tatsächliche oder vermeintliche Benachteiligungen geben.

Landtagspräsidentin als Affront interpretiert

In Mainz fühlten sich die Rechtspopulisten bei der Vergabe von Ausschussposten benachteiligt, in Baden-Württemberg beschwerten sie sich über Raumvergaben und das Landtagspräsidium. Gern hätten sie einen Vize-Parlamentspräsidenten im Stuttgarter Landtag besetzt.

Die Stelle des zweiten Stellvertreters aber hatten die grün-schwarzen Regierungskoalitionäre in Absprache mit den Oppositionsparteien SPD und FDP abgeschafft - angeblich aus Kostengründen. In Wahrheit wollten sie keinen Vertreter der AfD in dem Amt, auf das sie als drittstärkste Kraft nach den Gepflogenheiten Anspruch gehabt hätte.

Die Wahl der türkisch-stämmigen Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) interpretierte die AfD als gezielten Affront. Die Abgeordnete Christina Baum, bekannt durch ihre These vom "grünen Genozid am deutschen Volk", fühlte sich bestätigt in ihrer erklärten Furcht vor der Islamisierung. Der SPD-Abgeordnete Drexler verweigerte Baum im Foyer des Parlaments den Handschlag; er sah sich daraufhin mit anonymen Morddrohungen konfrontiert. Der bürgerliche Firnis ist brüchig.

AfD in Sachsen-Anhalt: Lieber ein bisschen lauter

In Sachsen-Anhalt eifert die AfD nicht den Westkollegen nach, sondern lieber dem für Entgleisungen bekannten Vorbild Björn Höckes aus Thüringen. Sie holte im März mit 24,3 Prozent das weitaus beste Ergebnis und bekommt inzwischen gar mehr Aufmerksamkeit, als ihr selbst mit diesem sehr guten Resultat zustünde.

Bei der jüngsten Sitzung des Landtags überdeckten die Provokationen und Entscheidungen des Landesverbandes von André Poggenburg die inhaltliche Debatte nahezu, in den Tagesnachrichten war dann vor allem von Personalfragen und Showeinlagen die Rede.

Ein Anlass: Pegida-Mitgründerin Kathrin Oertel wurde im Landtag gesichtet. Poggenburg bestätigte zunächst, dass Oertel sich um einen Job in der Fraktion bewerbe, relativierte dies aber später über Twitter. Daniel Rausch, erster Landtagsvizepräsident der AfD, trat nach nur zwei Monaten im Amt und aus undurchsichtigen Motiven zurück.

In Einzelfällen Bemühen um Sachpolitik

Poggenburg wiederum ließ den Wunsch durchblicken, sich in die parlamentarische Kontrollkommission wählen lassen zu wollen und damit selbst zum Überwacher des Verfassungsschutzes zu werden. In seiner Rede im Landtag warf er Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zudem Hetze vor.

Schließlich brüskierte die AfD-Fraktion noch das Parlament, als sie geschlossen den Landtag verließ, um sich mit etwa 100 Bürgern zu solidarisieren, die vor dem Gebäude gegen Abwassergebühren demonstrierten. Katja Pähle, Fraktionschefin der SPD, reagierte darauf mit einem Zitat Max Liebermanns: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte."

Für die AfD in Magdeburg gilt: lieber ein bisschen lauter, lieber ein bisschen jenseits der Grenze, auch wenn sich dies in Einzelfällen mit dem erkennbaren Bemühen mischt, Sachpolitik machen zu wollen. Das Auftreten der AfD Poggenburgs wirkt im Magdeburger Landtag in der Summe dennoch wie ein Kontrastmittel zu dem der klassischen Parteien.

Letztere haben Umgangston und Verhaltensweisen über Jahre eingeübt. Demgegenüber steht die Wildwüchsigkeit einer AfD-Fraktion, bei der viele Abgeordnete zur eigenen Überraschung am 13. März in den Landtag kamen und über Nacht Politiker wurden und nun den Eindruck zu haben scheinen, sie hätten eine Art Freibrief in Sachen parlamentarischer Auftritte.

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