Politische Seiteneinsteiger:Amateure mit Berufung

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Susanne Gaschke, die kürzlich zurückgetretene Kieler Oberbürgermeisterin, als Gast bei der Talkshow "3nach9". (Foto: dpa)

Immer wieder zieht es Seiteneinsteiger in den Politbetrieb. Dort wollen sie alles anders machen. Viele scheitern, weil ihr Selbstbewusstsein größer ist als ihre Kenntnis der Realität. Das Beispiel von Susanne Gaschke, der Kieler Ex-Oberbürgermeisterin und Ein-Frau-Ausgabe der Piratenpartei, zeigt: Zur Politik gehört der Streit um die Sache ebenso wie der Kampf um die Macht.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Der prominenteste Seiteneinsteiger hat es bis zum Staatsoberhaupt gebracht. Joachim Gauck saß nur ein halbes Jahr in einem Parlament und gehörte nie einer Partei an. Er war Pfarrer, Behördenleiter, Moderator und Schriftsteller - heute nennt man das eine fragmentierte Erwerbsbiografie. Für Gauck aber führte sie nicht zu Einbußen bei der Rente, sondern ins Bellevue. Die Erfinder dieses Bundespräsidenten folgten dem alten Werbeslogan eines Elektrogeräteherstellers: Aus Erfahrung gut.

Am Sonntag, den 10. November, wird Gauck 599 Tage im Amt sein und damit seinen Vorgänger überholen. Christian Wulffs Aufstieg war ganz anders verlaufen als die Karriere Gaucks und kam dem Musterbeispiel einer klassischen parteipolitischen Ochsentour sehr nahe. Keineswegs also ist ein Seiteneinsteiger in der Politik dem erfahrenen Profi von vorneherein unterlegen - auch wenn die jeweilige Verweildauer noch nichts über die Qualität der Amtsführung aussagt.

Der Seiteneinstieg ist nach dem Rücktritt der Kieler Oberbürgermeisterin wieder ins Gerede gekommen. Die Journalistin Susanne Gaschke hatte sich vorgenommen, Politik nicht nur zu machen, sondern auch noch anders. Nun findet sie im Einklang mit vielen Politikverdrossenen, dass ihr Scheitern die Unmöglichkeit dieses Vorhabens beweist. Demnach wäre das politische Geschäft ein geschlossenes System, das unerwünschte Eindringlinge abstößt, so wie ein Fuß einen Spreißel selbst herausquetscht, wenn man den Holzspan nicht von außen entfernt. Aber stimmt das?

Dass Politik ein Beruf ist, wird heute weithin akzeptiert, aber nicht geschätzt. Es kann nur gar nicht anders sein, angesichts der Komplexität der Welt, des zeitlichen Aufwands und des Risikos, das für manche Politiker mit einem Mandat auf Zeit verbunden ist. Politik ist nicht der einzige Beruf, bei dem der Kunde Unzufriedenheit direkt und schmerzhaft spürbar machen kann. Politik ist aber der einzige Beruf, bei dem als ein Rezept zur Fehlerbehebung immer wieder der Austausch von Profis gegen Amateure propagiert wird. Einer schlechten Zahnärztin wollte niemand einen lebenserfahrenen Schreiner zur Seite stellen, einem schlechten Schreiner aber auch niemand einen erfolgreichen Politiker. Was nicht heißt, dass eine Zahnärztin oder ein Schreiner nicht auch gute Politiker werden können.

Eine Studie von Wissenschaftlern aus Zürich und Konstanz hat der deutschen Politik gerade attestiert, für Berufsanfänger durchaus aufnahmefähig zu sein. Auf zehn Prozent taxiert sie den Anteil der Seiteneinsteiger im letzten Bundestag, das macht mehr als 60 Abgeordnete - bestimmt nicht zu viele, aber mehr, als mancher erwartet haben mag. Dennoch hat sich das Bild der Politik als eines hermetischen Systems verfestigt. Das liegt auch daran, dass das öffentliche Interesse erst gleichmäßig zur Bedeutung des Amtes wächst, um das sich ein Neuling bewirbt, aber exponentiell anschwillt, wenn es einen Absturz zu verfolgen gibt. Scheitern und Schaudern gehören zusammen.

Gauck und Gaschke stehen für zwei unterschiedliche Arten in der Gattung des politischen Seiteneinsteigers: Die einen werden gerufen, die anderen fühlen sich berufen. Gauck wurde Bundespräsident, weil es eine breite Allianz der Politik 2012 für richtig hielt, eine überparteiliche Persönlichkeit zu küren. Niemand hat das damals so schlicht und doch so deutlich ausgedrückt wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, als er sagte, der nächste Bundespräsident solle "kein aktiver Parteipolitiker" sein. Das hieß nichts anderes als: Keiner von uns! Es war ein Anfall von Selbstekel, der nach wohlfeilem Populismus stank.

Gauck wurde berufen, weil man ihm Expertise auf dem Fachgebiet der Würde unterstellte. Insofern passt Gauck in eine Reihe mit anderen, weniger erfolgreichen Seiteneinsteigern: Sie alle kamen auf Bitten der etablierten Politik - und wurden wegen besonderer Kompetenzen ausgesucht. Gerhard Schröder holte Jost Stollmann für die Wirtschaft. Angela Merkel holte Paul Kirchhof für die Steuern. Die Wahlkämpfer wollten Offenheit demonstrieren. Die Erwählten aber mussten lernen, dass ihr Selbstbewusstsein größer war als ihre Kenntnis der Realität.

Schaden nahmen daran alle, die Gescheiterten, aber auch die Politprofis, die sie geholt hatten, weil Letztere das Klischee stärkten, vor allem über die Kompetenz von Machterwerb und Machterhalt zu verfügen, für das Wohl der Bürger aber Hilfe von außen zu benötigen. Dabei ist gerade der Bundestag längst in weiten Teilen ein Fachleuteparlament. Trotzdem und obwohl die früheren Expertenexperimente scheiterten, umweht die Nominierung von externen Sachverständigen bis heute ein Fluidum der Modernität. So holte auch Peer Steinbrück drei mehr oder weniger politikfremde Fachfrauen in sein Kompetenzteam. Das Beste, was man über ihre Wirkung sagen kann, ist wohl, dass sie keinen Schaden anrichteten. Trotzdem wäre ein Wiedersehen im Kabinett eine große Überraschung.

Die einen sollten anders sein. Susanne Gaschke wollte anders sein. Ehrlich, offen, zugewandt. Doch den Vorsatz zur Besonderheit zu erklären, heißt, das Gegenteil als Tatsache zu akzeptieren. Nur ist es unter Politikern eben nicht anders als unter Zahnärzten und Schreinern und Journalisten: Es gibt gute und schlechte, ruppige und sensible, begabte und unbegabte, selbst in Schleswig-Holstein. Gaschke aber sieht sich als Opfer eines politisch-publizistischen Komplexes, der Gabriels Abgrenzungsformel gewissermaßen zu einem Urteil umwidmete - diesmal gegen die Seiteneinsteigerin: Keine von uns!

Gerufene und Berufene. Natürlich kann man die Grenze nicht so scharf ziehen. So würde niemand Gauck absprechen, dass er auch eine Berufung zu öffentlichem Auftritt und tiefschürfender Rede verspürte. Die Journalistin Gaschke wiederum fühlte sich nicht nur für das Amt der Oberbürgermeisterin berufen, sondern wurde von der SPD aufgestellt und von den Bürgern gewählt. Sie ist unterm Strich eigentlich viel mehr ein Symbol für die Durchlässigkeit des politischen Systems als für das Gegenteil.

In gewisser Weise war Gaschke die Ein-Frau-Ausgabe der Piratenpartei, die ja auch nur ein Verbund Tausender Seiteneinsteiger ist. Beide einte das Motto: Unsere Politik soll schöner werden. Das wäre auch an vielen Stellen nötig. Aber es bleibt Politik. Dazu gehören Streit um die Sache, aber auch Kampf um die Macht, dazu gehören Vertrauen in Persönlichkeiten, aber auch Konsequenzen aus Fehlern. Übrigens gehört gerade auch der Rücktritt dazu, sowohl zur Regeneration des Systems wie auch als Chance für den Betroffenen, in der politischen Niederlage die persönliche Würde zu bewahren.

© SZ vom 02.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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