Politische Reformen in Kairo:"Wenn Ägypten fällt, ist der Nahe Osten verloren"

Naguib Sawiris "Rat der Weisen" soll die Verhandlungen in Ägypten moderieren. Der Unternehmer plädiert schon seit Jahren für einen Wandel, ist aber gegen einen radikalen Umbruch - denn dann drohe Chaos in der gesamten Region. Die Lage sei "extrem gefährlich".

Tomas Avenarius

Naguib Sawiris ist einer der reichsten Unternehmer Ägyptens und eine gewichtige Stimme in der Politik. Der koptische Christ hat seine Milliarden mit Telekommunikation gemacht und diese Branche mit der Firma Orascom in Ägypten revolutioniert. Seine Brüder Sami und Nassif gehören zu den Großen in Tourismus und Baugeschäft; über dem internationalen Sawiris-Konglomerat steht Vater Onsi. Zusammen mit anderen unabhängigen Persönlichkeiten hat der 56-jährige Naguib Sawiris einen "Rat der Weisen" ins Leben gerufen. Der Rat soll zwischen den Konfliktparteien vermitteln.

Anti-Mubarak Protesters Gather In Tahrir Square For 'Day Of Departure' Demonstration

Anti-Mubarak-Demonstranten beten auf dem Tahrir-Platz in Kairo: "Die Menschen haben nach Freiheit gerufen. Sie lassen sich das alte System nicht länger aufzwingen", sagt Naguib Sawiris.

(Foto: Getty Images)

SZ: Nach der Orgie der Gewalt wird jetzt verhandelt. Setzt das Regime auf Zeitgewinn, will es die Opposition am Verhandlungstisch zermürben?

Naguib Sawiris: Nein, eine Salamitaktik würde nicht funktionieren. Ägypten hat sich unwiderruflich verändert. Die Menschen haben nach Freiheit gerufen. Sie lassen sich das alte System nicht länger aufzwingen. Wenn einer mit der Unterdrückung weitermachen will, stehen morgen auf dem Tahrir-Platz nicht mehr eine Million Menschen, sondern zehn Millionen.

SZ: Sie und die anderen Mitglieder im "Rat der Weisen" sehen sich als Vermittler. Das ist doch überflüssig, seit Vizepräsident Omar Suleiman und die Opposition miteinander reden.

Sawiris: Wir sitzen mit am Tisch. Die Regierung hat mit allen Vertretern der Opposition zusammengesessen. Und wir haben bei dem Treffen viel erreicht. Es wird geprüft, wie die Verfassung geändert werden muss. Wir haben ein Komitee gebildet, das über die Einhaltung der gegebenen Versprechen wacht.

SZ: Versprechen? Die Regimegegner auf dem Tahrir fordern Garantien: dauerhafte Straffreiheit, die sofortige Freilassung der Inhaftierten.

Sawiris: Garantien kann es nicht geben. Die Forderungen sind klar: Alle Gefangenen müssen freikommen. Es dürfen keine neuen dazukommen. Was braucht es mehr? Was will man garantieren?

SZ: Sie vertrauen allein auf das Wort von Vizepräsident Suleiman?

Sawiris: Ja. Ich vertraue Suleiman und auch Premier Ahmed Schafik. Sie sind zuverlässig. Ich kenne Omar Suleiman seit zehn Jahren. Er ist ein rationaler Kopf. Er denkt systematisch.

SZ: Aber er lehnt die Hauptforderung der Regimegegner ab, den sofortigen Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak.

Sawiris: Ich selbst lehne das auch ab. Die jungen Leute auf dem Tahrir haben in zwei Wochen wahnsinnig viel erreicht. Mubarak wird im Herbst nicht mehr kandidieren. Sein Sohn Gamal zieht sich aus der Politik zurück. Die Verfassung wird reformiert. Wir sprechen über die neutrale Aufsicht bei den Wahlen, sogar über internationale Wahlbeobachtung. Es wird wirkliche Presse- und Kommunikationsfreiheit geben. Das sind Dinge, auf die wir vor zwei Wochen nie zu hoffen gewagt hätten.

"Mubarak war kein Monster"

SZ: Den Regimegegnern auf dem Tahrir reicht das nicht.

Egyptian businessman Sawiris smiles before news conference in Rome

Will die politischen Reformen in Kairo mit seinem "Rat der Weisen" begleiten, Mubarak aber auch nicht verdammen. Der ägyptische Unternehmer Naguib Sawiris, einer der reichsten Unternehmer der Landes.

(Foto: REUTERS)

Sawiris: Ich verstehe, dass die Jugend alles auf einmal will. Praktisch gesehen ist das aber unmöglich. Die Opposition ist stark. Aber Millionen von Ägyptern wollen nicht, dass der Präsident zum jetzigen Zeitpunkt zurücktritt. Zudem ist die Jugend auf dem Platz nicht organisiert. Sie haben keine Führer. Sie sprechen bis heute nicht mit einer Stimme.

SZ: Das klingt so, als ob der Konflikt noch Wochen weitergehen könnte.

Sawiris: Nein. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Es darf kein Chaos geben in Ägypten. Sonst besteht Gefahr, dass die Muslimbrüder die Bewegung übernehmen oder die Armee einschreitet. Beides wäre eine Katastrophe für Ägypten.

SZ: Was spricht in dieser Lage für Omar Suleiman?

Sawiris: Ägypten kann sich keinen Mann erlauben, der den Frieden mit Israel aufs Spiel setzt oder sich der Politik Irans unterordnet. Die Lage ist extrem gefährlich. Ägypten ist der Schlüssel zur Region. Wenn Ägypten fällt, haben Iran, Syrien und Hisbollah gewonnen. Dann ist der Nahe Osten verloren.

SZ: Sie vertrauen Suleiman. Gilt das auch für Mubarak?

Sawiris: Ich vertraue dem Vizepräsidenten. Und ich glaube Mubarak das, was er öffentlich sagte. Er wird nicht mehr antreten, aber als Soldat will er seine Ehre wahren. Außerdem: Nicht alles, was Mubarak als Präsident gemacht hat, war schlecht. Er ist weder der Schah von Persien noch ein Hitler oder ein Ben Ali. Der Offizier Mubarak hat 1973 gekämpft für unser Land, hat den Sinai von Israel zurückerobert. Der Präsident Mubarak hat die Wirtschaft liberalisiert. Wir Unternehmer haben das begrüßt. Mubaraks Gesamtbilanz ist nicht so schlecht.

SZ: An Freiheit und Demokratie fehlt es trotzdem in Ägypten.

Sawiris: Ja, er hat zu wenig Freiheit gewährt. Mubarak ist kein Demokrat, sondern ein Diktator. Er hat alles allein entschieden. Sein Sohn Gamal ist ohne jede Ankündigung auf der politischen Bühne erschienen. All das funktioniert nicht mehr im 21. Jahrhundert. Nur: Es war auch nicht alles so schlimm, wie es jetzt dargestellt wird.

SZ: Was war denn gut?

Sawiris: Mubarak war kein Monster. Unter dem tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali konnte kein einziges Geschäft gemacht werden, ohne dass die Familie des Präsidenten ihre Prozente bekam. Das ist in Ägypten nicht der Fall.

SZ: In Ihrer Familie sind Ägyptens wichtigste Unternehmer; haben Sie nie Prozente an das Regime zahlen müssen?

Sawiris: Nie! Ich habe nie gezahlt.

SZ: Wie groß ist die Chance, dass die ägyptische Intifada gut endet?

Sawiris: 60 Prozent. Was mich betrifft: Ägypten ist mein Land. Ich bin keiner, der beim ersten Druck ins Ausland flieht. Als einziger Unternehmer habe ich schon vor Jahren mehr Demokratie gefordert. Ich habe immer gesagt, dass es so nicht weitergeht.

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