Politische Lehren aus 2017:Leidenschaft lässt sich nur mit Leidenschaft besiegen

Demonstration gegen Einzug der AfD in den Bundestag

Tausende Menschen versammelten sich Ende Oktober in Berlin, um "gegen Hass und Rassismus im Bundestag" zu demonstrieren.

(Foto: picture alliance / Jörg Carsten)

Brexit, Trump, der Aufstieg der AfD: In aufgeklärten Gesellschaften kann viel negative Energie stecken. Zeit, dass stolze Demokraten diesem Destruktivismus etwas entgegensetzen.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Wahlabend 2017 ist das Entsetzen groß in der Republik: Mehr als zwölf Prozent für die teilweise rechtspopulistische, teilweise rechtsradikale Alternative für Deutschland (AfD) - das wollten bis zu diesem 24. September viele für unmöglich halten. Doch als die Wahllokale geschlossen sind, gibt es kein Vertun mehr und keinen Zweifel: Auch in Deutschland feiert eine Ausländer- und islamfeindliche Partei Triumphe.

Sie hat ihren Erfolg nicht mit einem ausgeklügelten Programm oder einer positiven Idee errungen. Angst ist zu ihrem größten Verbündeten geworden. Die Angst vor Ausländern und Flüchtlingen; die Angst vor Abstieg und Arbeitsplatzverlust; die Angst vor Armut und Abgehängtwerden. Es ging ihr um die Wut gegen Ausländer, um den Zorn auf eine vermeintlich entrückte Elite. Es ging ihr um den Hass auf eine Kanzlerin, die das Land noch einmal ganz neu für alles Fremde geöffnet habe. Auch wenn die AfD, wenn Trump und die Brexiteers vorgeben, etwas beschützen zu wollen - sie möchten nichts heilen oder verbinden. Sie wollen trennen und spalten.

Aus diesem Grund wird es höchste Zeit, dass sich die anderen Parteien bewusst machen, was da passiert ist. Bemerkenswert ist nicht der Fremdenhass und auch nicht die Tatsache, dass dieser Haltung sozial Schwache wie gut Betuchte erliegen können. Bemerkenswert ist, dass es der AfD wie keiner anderen Partei gelungen ist, ihre Auftritte und ihre Kampagne mit einer mächtigen Leidenschaft aufzuladen. Bei keiner anderen Partei war die Stimmung so angeheizt, keine Partei entwickelte auch nur annähernd so viel Energie; bei keiner waren Anziehung und Abstoßung so stark wie bei der Alternative für Deutschland.

Damit hat sie 2017 wiederholt, was die Brexit-Anhänger und das Trump-Team 2016 vorgemacht haben: Wer siegen will, muss die Energie und die Leidenschaft auf seiner Seite haben. Wer genau hinsah, konnte diesen Unterschied zwischen Brexit-Anhängern und EU-Befürwortern in Großbritannien präzise studieren; wer mit offenen Augen durch die Welt geht, konnte ihn im Vergleich zwischen Clinton- und Trump-Veranstaltungen binnen Minuten ausmachen. Und wer wirklich verstehen wollte, was da geschieht, konnte dem gleichen Phänomen im Herbst 2017 in Deutschland begegnen.

Nicht die ruhige Analyse, nicht die sachliche Begründung bewegte Millionen Wähler dazu, der AfD ihre Stimme zu geben. Zum Sieg verhalf ihr eine ungezügelte Emotion, oft vermengt mit der Ablehnung aller Fakten. Hauptsache Zorn auf die Eliten, Hauptsache Hass gegen die Vertreter eines demokratischen Liberalismus.

Union, SPD, Grüne konnten der AfD kaum etwas entgegensetzen

Der Wucht, die damit erzeugt wird, hatten die Europa-Befürworter in Großbritannien und die Hillary-Clinton-Demokraten in den Vereinigten Staaten so wenig entgegen zu setzen wie die Union oder die Sozialdemokraten der AfD in Deutschland. CDU und CSU brachten dabei ein doppeltes Kunststück fertig: Intern stritten sie sich so heftig als seien sie mittendrin im demokratiegefährdenden US-Wahlkampf; extern dagegen taten sie so als hätte trotz ihres so absurden wie öffentlich ausgetragenen Rosenkriegs keiner etwas vom Ehekrach mitbekommen. Kein Wunder, dass die Union ihr schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik erzielte. Energie? Leidenschaft? Herz? Mussten bei der Union im besten Fall zuhause bleiben.

Die SPD machte es nicht viel besser. Ihr Frontmann Martin Schulz merkte zwar, dass etwas nicht stimmte. Nicht von ungefähr versuchte er mit allen möglichen Themen und Thesen, doch noch Energie und Gefühle loszutreten. Am Ende stand aber nicht eine durchdachte, leidenschaftliche Kampagne, sondern eine Art Tischfeuerwerk mit einem Raketchen für jedes Thema. So kann man der negativen Energie der AfD keine positive der SPD entgegensetzen.

Auch den kleinen Parteien gelang das allenfalls mittelmäßig. Die Linkspartei segelte bei mauem Wind durch den Wahlkampf; und die Grünen entdeckten ihre Leidenschaft erst auf den letzten Metern - was ihnen keinen Sieg brachte, sondern nur half, eine bedrohlich nahe gekommene Niederlage gerade eben noch abzuwenden.

Allein die FDP schaffte so etwas wie eine positive Idee. Der Partei Christian Lindners gelang es, ihre Thesen von der neuen Liberalität und dem neuen Liberalismus mit einer durchkomponierten Kampagne unter die Leute zu bringen. Dauerhafte Substanz aber hätte das der FDP nur gebracht, wenn ihr Parteichef diese Ideen anschließend auch mit Mut und Kraft in eine Jamaika-Koalition eingepflanzt hätte.

Durch die Art seines Ausstiegs aus den Sondierungen wird hingegen der Zweifel an ihm hängen bleiben, ob er das je ernsthaft versucht hat. Ob er also tatsächlich bemüht war, auf die Herausforderung durch die AfD mit einem liberalen Gegenentwurf zu antworten. Ihm dürfte es fürs Erste schwer fallen, sich als glaubwürdige Alternative zu einer großen Koalition zu präsentieren.

Man kann ihm nur zugutehalten, dass nicht nur er, sondern auch alle anderen Parteiführungen die Veränderung durch die AfD noch unterschätzen. Es gibt nach wie vor in jeder Partei zentrale Figuren, die meinen, sie könnten die alten Rituale des in Jahrzehnten einstudierten Parteienduells auf ewig fortsetzen. Ob nun Simone Peter bei den Grünen, Ralf Stegner bei der SPD oder Alexander Dobrindt bei der CSU - alle drei schaffen es immer wieder wortreich, neue Ideen durch alte Abwehrreflexe zu hintertreiben. Und das auch, weil es in den genannten Parteien bis heute keine klaren Mehrheiten für neue Wege gibt.

Dabei wird man die Verwundungen, die die westlichen Demokratien durch Trump, Brexit und AfD erlitten haben, nur durch eine neue Glaubwürdigkeit heilen können. Und die wird nicht durch billige Reflexe der alten Parteiprofis zu erzielen sein, sondern nur durch ehrliche Versuche, auf gefährliche neue Herausforderungen auch neue Antworten zu geben. Zum Beispiel beim Kampf gegen die Angst vor den negativen Folgen der Digitalisierung; zum Beispiel bei den Bemühungen, ausgeblutete ländliche Regionen wieder lebensfähig und attraktiv zu machen. Oder bei dem dringend nötigen Versuch, die absurden Zustände auf dem Wohnungsmarkt zu bändigen. Bezahlbare Wohnungen sind kein Luxus der Armen, sondern können sehr schnell zu einem überlebenswichtigen Grundbedürfnis werden.

Zu den neuen Ideen wird überdies eine neue Leidenschaft kommen müssen. Eine Kenntlichmachung der eigenen Überzeugungen. Nur wer das kann und dazu bereit ist, kann auch tragfähige Brücken zu anderen schlagen, ohne sich im Unkenntlichen zu verlieren.

Auch eine Angela Merkel wird kenntlich machen müssen, wofür sie steht

Dieser Mangel ist zuletzt nirgendwo offener zutage getreten als bei den gescheiterten Bemühungen um ein Jamaika-Bündnis. Und die Schwäche ist bei niemandem deutlicher geworden als bei der immer noch wichtigsten politischen Figur: bei Kanzlerin Angela Merkel. Die deutsche Regierungschefin lebte jahrelang davon, Wahlkämpfe und sonstige politische Auseinandersetzungen nicht aufzuladen, sondern abzukühlen. Mit einer AfD aber, die mittels Wut und Energie vieles von dem attackiert, was die liberale Demokratie ausmacht, werden alte Beruhigungsrituale nicht mehr ausreichen.

Auch eine Angela Merkel wird kenntlich machen müssen, wofür sie steht, was sie will, wo sie das Land hinführen möchte. Was heißt es für sie, auf Emmanuel Macron richtig zu reagieren? Was bedeutet es für sie, Deutschland und Europa im Duell mit der Großmacht China richtig aufzustellen? Und wie will sie - nach zwölf Jahren Kanzlerschaft - die maroden Schulen und schlecht ausgestatteten Universitäten in Deutschland so modernisieren, wie es einem modernen Industrie- und Digitalisierungsland angemessen wäre?

Die Jamaika-Sondierungen haben gezeigt, wo Merkels Schwächen liegen. Sie hat es nie geschafft, dem Vielleicht-Bündnis eine gemeinsame Idee zu geben. Auch eine solche hätte das Risiko des Scheiterns in sich getragen. Aber es wäre gleichwohl die unabdingbare Voraussetzung dafür gewesen, ihm überhaupt Richtung und Rahmen zu geben. Wer zeigen will, dass er eine bessere, glaubwürdigere, friedlichere und ja, auch stärkere Alternative anbietet als die Alternative für Deutschland, muss dafür offen, mit Leidenschaft, mit Herz eintreten.

Anders werden die liberalen, weltoffenen, große persönliche Freiheiten schenkenden Demokratien gegen die Attacken ihrer neuen Feinde nicht bestehen. Wer möchte, dass der Brexit, dass Trump und die AfD nicht die Zukunft prägen, muss ihren negativen Energien eine positive entgegenhalten. Dass das gelingen kann, hat den Deutschen ein Franzose vorgemacht. Emmanuel Macrons Wahlsieg hat viele Hoffnungen geweckt, aber vor allem eines bewiesen: dass auch eine positive Leidenschaft sehr stark sein kann. Dass er siegte, indem er von Anfang an offen und mit Verve für ein stärkeres und solidarischeres Europa warb, ist die wichtigste Botschaft seines Erfolges.

Man kann der Angst und dem Zorn etwas Positives entgegensetzen. Man muss sich nur trauen. Macron hat Mut gemacht.

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