Süddeutsche Zeitung

Politische Konsequenzen:"Gastrecht verwirkt"

Nach den Silvester-Attacken will Kanzlerin Merkel schärfere Abschiebe-Regeln. CDU und SPD fordern zudem mehr Polizei und Video-Überwachung.

Von Kim Björn Becker, Michael Bauchmüller und Nico Fried, Mainz/Berlin/Havanna

Vor Beginn der CDU-Vorstandsklausur in Mainz hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür ausgesprochen, straffällige Ausländer früher als bislang auszuweisen. Nach den mutmaßlich teils von Migranten verübten Übergriffen auf Frauen in Köln in der Silvesternacht müsse man überlegen, wann jemand das Gastrecht in Deutschland verwirkt, sagte sie am Freitagabend vor Mitgliedern der rheinland-pfälzischen CDU. Bislang gilt eine Freiheitsstrafe von zwei bis drei Jahren vielfach als Richtschnur für eine Ausweisung. "Man verwirkt es früher", sagte Merkel und erhielt dafür lang anhaltenden Applaus der Basis.

Bei der zweitägigen Klausur will der CDU-Vorstand einen entsprechenden Beschluss fassen. Im Entwurf für eine sogenannte Mainzer Erklärung heißt es, schon bei einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung - also gleich welcher Höhe - soll eine "Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen sein". Darüber hinaus mahnte die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende an, dass das geltende Recht besser umgesetzt werden müsse. In Deutschland sei "nicht mehr an allen Stellen sichergestellt", so Merkel, dass am Ende das herauskomme, was die Abgeordneten einst abgestimmt hätten. Zugleich bemühte sich die Kanzlerin, ihre Kritik vage zu halten. Sie wolle damit "niemanden an den Pranger stellen". Es sei in der Vergangenheit aber nicht gelungen, abgelehnte Asylbewerber rasch genug in ihre Heimat zurückzuschicken. Die Bürger "erwarten von uns, dass das, was wir als Rechtsstaat wollen, was unser politischer Wille ist, dann auch in der Praxis durchgesetzt wird", sagte Merkel. Die Zahl der aktuell nach Deutschland kommenden Flüchtlinge hält die Bundeskanzlerin trotz des Rückgangs der vergangenen Wochen für zu hoch. "Es ist deutlich weniger, als wir hatten. Aber es ist immer noch deutlich zu viel", sagte sie in Mainz. Die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin für die anstehende Landtagswahl, Julia Klöckner, dankte den mitunter scharf kritisierten Polizeikräften. "Wir müssen jetzt die schützen, die uns schützen", so Klöckner. Sie forderte zuvor mehr Polizeistellen, nannte aber keine konkreten Zahlen. Die Polizei habe in Köln die Kontrolle verloren. Und die Frage sei, ob die Polizei "ausreichend ausgestattet war, um angemessen reagieren zu können".

CDU und SPD wollen als Konsequenz aus den Übergriffen in mehreren Großstädten außerdem die Überwachung von öffentlichen Plätzen ausweiten. In dem Entwurf der "Mainzer Erklärung" der CDU heißt es, an "Kriminalitätsbrenn- und Gefahrenpunkten" sollten mehr Kameras installiert werden. Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nach einer Klausurtagung seiner Abgeordneten in Berlin. Juristische Bedenken wies Oppermann zurück. Er sei der Überzeugung, dass bei Aufzeichnungen an öffentlichen Plätzen das individuelle Persönlichkeitsrecht "hinter das öffentliche Interesse zurücktreten muss", so der Fraktionschef, "das hat mit einer Überwachungsgesellschaft nichts zu tun". Da solche Aufnahmen in der Regel nach 24 Stunden gelöscht würden, handele es sich nicht um einen dauerhaften Eingriff in die Rechte einzelner Personen.

Bei anderen möglichen Konsequenzen aus den Vorfällen zum Jahreswechsel liegen die Koalitionspartner noch auseinander. Offenbar ist aber der Klärungsprozess innerhalb der SPD nicht abgeschlossen. Die Fraktion dringt vor allem auf mehr Polizisten. So sollen bis 2019 insgesamt 12 000 neue Stellen geschaffen werden, je die Hälfte im Bund und in den Ländern. Was Gesetzesänderungen anging, sagte Oppermann: "Ich sehe im Augenblick keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf."

Die Beschlüsse von Kreuth

Asylbewerber, die Straftaten begehen, sollen künftig deutlich leichter abgeschoben werden können. Sich dafür stark zu machen, beschloss die CSU-Landesgruppe im Bundestag bei ihrer dreitägigen Klausur in Wildbad Kreuth. Demnach sollen straffällig gewordene Asylbewerber bereits bei Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe abgeschoben werden können. Bislang gilt in Deutschland in der Regel, dass sich erst eine Haftstrafe von drei Jahren auf ein Asylverfahren auswirkt.

Zudem stoßen sich die CSU-Bundestagsabgeordneten daran, dass "durch die bewusste Vernichtung von Ausweispapieren und falsche Angaben von Antragstellern" Asylverfahren nicht nur verschleppt, "sondern oftmals unmöglich gemacht" würden. Deshalb soll eine Einreise nach Deutschland künftig nur dann möglich sein, "wenn auch gültige Ausweisdokumente vorgezeigt werden können". Andernfalls seien die Einreisewilligen bereits an der Grenze zurückzuweisen. "Die Beschaffung von Ersatzpapieren kann schließlich auch in einem unserer Nachbarstaaten erfolgen", heißt es in dem Beschluss. Auf die Frage, ob das rechtlich überhaupt möglich sei, verwies Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt auf die Länder Dänemark und Schweden. Dort werde Ähnliches bereits praktiziert.

Die Landesgruppe fordert zudem, das europäische Asylsystem so zu reformieren, dass künftig sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen möglich sind. Daniela Kuhr

SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich dafür am Rande seiner Kuba-Reise offener: "Wenn es nötig ist, Gesetze zu ändern, werden wir auch das tun." Denkbar sei etwa, Staaten die Entwicklungshilfe zu entziehen, wenn sie straffällig gewordene Asylbewerber nicht wieder einreisen ließen. "Wir werden durchsetzen, dass Staaten abgelehnte Asylbewerber auch zurücknehmen", kündigte Gabriel an: "Wer bei uns Schutz bekommt, darf nicht die deutsche Bevölkerung angreifen."

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SZ vom 09.01.2016
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