Süddeutsche Zeitung

Politische Bildung:Schon im Kindergarten Demokratie lernen

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Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert mehr Mitwirkungsrechte für junge Menschen. So sollen sie sich zum Beispiel früher an Wahlen und politischen Diskussionen beteiligen dürfen.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Wenn das Jugendparlament einer Stadt eine "Party on Ice" in der Eishalle organisiert oder ein Konzert mit jungen Musikern gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, dann ist das vorbildliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene. Und auf dieser Ebene ist Deutschland aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerks in den vergangenen Jahren durchaus ein Stück vorangekommen. So steht es in der Studie "Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen", die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Allerdings ist es damit aus Sicht der bundesweiten Kindervertretung nicht getan. Sie fordert mehr. Zum Beispiel, das Wahlrecht im Bund auf 16, sowie in Ländern und Kommunen auf 14 Jahre zu senken - auch zur Stärkung der Demokratie, wie der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, in Berlin sagte.

Kinder und Jugendliche dürfen laut der Untersuchung des Hilfswerks nur sehr wenige sie betreffende Entscheidungen in der Politik mitgestalten. Dabei sei es für die Zukunft der Demokratie unerlässlich, sie für diese Staatsform zu begeistern. Um diese Begeisterung in ihnen auszulösen, müsse man ihnen auch praktisch erfahrbar machen, was Demokratie heiße.

Dass Kinder und Jugendliche sich beteiligen wollen und politische Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen, zeigt das aktuellste Beispiel, die Demonstrationen "Fridays for Future". Zunächst wurde den demonstrierenden Kindern unterstellt, sie wollten vor allem die Schule schwänzen. Mittlerweile scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und viele Wissenschaftler zollten ihnen öffentlich Respekt. Eine Seltenheit, wie aus den Ergebnissen der Studie hervorgeht. Denn der Partizipation von Heranwachsenden wird laut Krüger in der Regel nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Deshalb wäre es aus Sicht des Verbandes notwendig, eine Bund-Länder-Konferenz unter Federführung der Bundesregierung zu veranstalten. Dort sollten die Vorteile der Kinder- und Jugendbeteiligung diskutiert und Empfehlungen für Bund, Länder und Kommunen erarbeitet werden. "Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungen muss endlich zu einer Selbstverständlichkeit werden", sagte Krüger.

Jugendliche dürfen nur in vier Bundesländern mit 16 Jahren an Landtagswahlen teilnehmen

In Deutschland gibt es derzeit keine einheitliche Linie, wie Kinder und Jugendliche zum Mitmachen aufgefordert werden. Jugendliche dürfen demnach bisher nur in vier Bundesländern - Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein - mit 16 Jahren an Landtagswahlen teilnehmen. In elf Bundesländern ist 16-Jährigen immerhin die Beteiligung an Kommunalwahlen erlaubt, das sind zusätzlich zu den vier vorher genannten Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. "Die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind ein Flickenteppich und entsprechen nicht durchgängig den Standards, die nötig und möglich sind", kritisierte Krüger in Berlin. Das Kinderhilfswerk wertet das als schwerwiegenden Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die in Artikel 12 festlegt: "Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife."

Dabei ist es durchaus möglich, Kindern und Jugendlichen auf allen politischen Ebenen die Wahl zu geben - auch im Bund. Österreich macht es vor. Dort konnten im September 2008 erstmals 16-Jährige an den Nationalratswahlen teilnehmen. In einer Studie, die das Institut für Strategieanalysen in Wien nach dieser Wahl vorstellte, wurde deutlich, dass die österreichischen Jugendlichen vor allem von der Schule erwartet hatten, auf ihr Wahlrecht vorbereitet zu werden. Wie das geschah, damit waren viele aber nicht zufrieden.

Die Schule und - mit zunehmender Nachmittagsbetreuung - die Kindertagesstätten sind auch für das Kinderhilfswerk die Schlüssel zu Beteiligungsrechten, neben Verbänden und dem Elternhaus. Wie Kinder in Schulen und Kitas mitentscheiden dürfen, ist allerdings ebenfalls nicht einheitlich geregelt. Nur in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein können Kinder zum Beispiel bereits in der ersten Klasse Klassensprecher wählen. In den anderen Ländern erst in der dritten, vierten oder gar fünften. Ob Schüler auch an der Lehrer- und der Schulkonferenz teilnehmen können, das entscheidet ebenfalls jedes Bundesland für sich. In 13 Ländern müssen Kinder bereits in der Kita angemessen beteiligt werden, hier habe es große Fortschritte gegeben, lobt die Studie.

Negativ bemerkt das Kinderhilfswerk, dass in den vergangenen Jahren auf gesetzlicher Ebene kaum Veränderungen in Bayern und Rheinland-Pfalz zu verzeichnen waren. Ausgewertet wurden für die Analyse die Gesetzesbestimmungen der Landesverfassungen und Gemeindeordnungen, Ausführungsgesetze der Länder zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, Kindertagesstättengesetze und Schulgesetze der Bundesländer.

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SZ vom 14.03.2019
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