Politische Bewegung um Beppe Grillo:Überdruss als Programm

Five Star Movement leader and comedian Beppe Grillo leaves after casting his vote at the polling station in Genoa

Er ist der neue Machtfaktor in der italienischen Politik: Beppe Grillo.

(Foto: Reuters)

Beppe Grillo hat Italiens politische Landschaft umgewälzt. Die Anhänger seiner Bewegung haben eins gemeinsam: den völligen Überdruss an der Politik, wie sie sie bisher aus Rom kannten. Grillos Wahlerfolg könnte eine Reform des Parlamentarismus einleiten.

Von Andrea Bachstein, Rom

Eine Frage dazu, wer denn nun was tun wird bei den "5 Stelle", hat Beppo Grillo am Tag nach der Wahl immerhin beantwortet: "Ich werde zu den Beratungen gehen mit Präsident Napolitano, so will es das Gesetz." Er werde sogar was Gutes anziehen, teilte der Komiker mit, als er am Dienstag sich endlich dazu herabließ, mit Journalisten zu reden. Vor seinem Haus in der kleinen Teilgemeinde Sant' Ilario in den Hügeln oberhalb seiner Geburtsstadt Genua hat Grillo notgedrungen so etwas wie eine Pressekonferenz gegeben. Nur mit Twittern und Bloggen allein wird es nicht mehr gehen, das hat der Gründer der Bewegung nun gemerkt, die mit ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen Italiens politische Landschaft umwälzt. 8,7 Millionen Stimmen haben Grillos "Fünf Sterne" geholt, gerade mal drei Jahre, nachdem er seine Bewegung gegründet hatte.

Es sind Stimmen von Bürgern jeden Alters und jeden Bildungsstandes, fast gleichstark verteilt auf alle Regionen Italiens. Wenn man seine Anhänger fragte auf Kundgebungen zwischen Mailand und Sizilien, warum sie den Fünf Sternen folgen, nannten manche die Umweltpolitik oder ihre Zweifel am Euro. Aber eines war allen gemeinsam: der völlige Überdruss an Italiens Politik, wie sie sie bisher kannten. An einer Kaste, die sich bereichert und nichts tut für das Land und die Bürger, denen es immer schlechter geht, ein totales Misstrauen in die Parteipolitiker.

Viele junge Leute ohne Hoffnung auf Jobs hat man dort getroffen. Aber jetzt hat auch ein 66 Jahre alter Textilfabrikant und Vize-Chef seines lokalen Unternehmerverbands sich öffentlich als Fünf-Sterne-Wähler bekannt: Er habe keine Lust mehr, auf Berlusconis Revolution zu warten. 108 "Grillini" werden als Deputierte ins Abgeordnetenhaus einziehen, die stärkste einzelne Partei. Zudem stellt "5 Stelle" künftig 54 Senatoren - was dazu führt, dass im Senat keine klare Mehrheit absehbar ist und keine Regierungsbildung.

Was Grillo dazu vor seinem Gartenzaun gesagt hat, bringt die anderen Parteien keiner Lösung der mehrheitslosen Lage näher: "5 Stelle" geht keine Koalitionen ein, "aber wenn Vorschläge präsentiert werden, die in unser Programm passen, dann stimmen wir dafür". So wie sie das in Sizilien tun, wo "5 Stelle" seit Oktober im Regionalparlament die meisten Abgeordneten hat, während die Regierung von einem Sozialdemokraten geführt wird. Bisher haben sie sich ganz ordentlich zusammengerauft auf der Insel.

Garant oder Guru?

In Rom müsste Grillo aber erst einmal mit dem Präsidenten reden, den er bei jeder Kundgebung in seinen Rundumschlägen attackiert und zum Adressaten des großen "Bumm"-Rufs gemacht hat, mit dem die versammelte Menge Politiker erschrecken sollte. Die Politiker sind nun alle erschrocken und Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano wahrscheinlich auch, weil diesmal die Gespräche so schwierig werden dürften, die er nach Wahlen stets mit den Führern der gewählten Parteien und Gruppen über die Regierungsbildung führt. Was die Sache bei den "5 Stelle" speziell macht, ist, dass Beppe Grillo selbst gar nicht im Parlament sein wird, er kandidiert aus Prinzip nicht. Als "Garant" beschreibt er seine Rolle, andere beschreiben ihn als Guru, weil er so voller Selbstgewissheit predigt. Über das Internet hat der 64-Jährige die Bewegung bisher gelenkt, da gibt er den Ton an, hat entschieden, wer kandidieren darf.

Aber ansonsten ist das Ganze eine horizontale Bewegung, wer bei den künftigen Parlamentariern eine herausragende Rolle haben wird, das weiß man nicht. Auch die Neugewählten wissen es nicht. Bei "5 Stelle" gibt es neben Grillo keine Hierarchien, keine Landesvorsitzenden, keine Stellvertreter oder Ähnliches. Am Samstag will Beppe Grillo nach Rom kommen und die Parlamentarier seiner Bewegung treffen, dann wollen sie besprechen, wie das alles laufen soll. Klar ist auf jeden Fall, dass ihre Meinungsbildung auch als Parlamentarier weiter im Internet passieren soll - über sämtliche Vorschläge wollen sie zunächst online abstimmen, ehe sie es im Parlament tun.

Bürger, nicht "Ehrenvolle"

Sie haben bisher noch keine politischen Mandate gehabt, die neuen Parlamentarier, das war Bedingung für eine Kandidatur. Politologen befürchten, dass ihr völliger Mangel an politischer Erfahrung die Grillini in den komplexen parlamentarischen Entscheidungsprozessen scheitern lassen könnte. Jünger sind sie jedenfalls als die übrigen Abgeordneten, 32,5 Jahre ist der Durchschnitt, zehn Jahre unter dem der anderen Fraktionen.

Arbeitslose, Studenten, normale Angestellte und Anwälte sind dabei wie etwa Alfonso Bonafede, der Grillo besonders nahe stehen soll. Der 36-jährige Jurist war der Spitzenkandidat in der Toskana. 2009 wollte er Bürgermeister von Florenz werden. Aber da siegte der aufmüpfige Sozialdemokrat Matteo Renzi, von dem viele glauben, er hätte als Spitzenkandidat der Linken viele angezogen, die jetzt Grillo wählten. Bonafede sagte jetzt: "Eine neue Ära hat angefangen. Wir sind bereit zu allem. Wenn es nötig ist, auch zum Regieren." Die frisch gebackene Abgeordnete Carla Ruocco, 39 und Finanzbeamtin aus Rom, ließ vernehmen: "Wir sind alles, was ihr bisher noch nicht gesehen habt." Andere werden konkreter. Die Mailänderin Paola Carinelli konnte Journalisten sofort die Themen aufzählen, die die Bewegung als Prioritäten definiert hat. Die 33-jährige Speditionsangestellte betonte die Kosten von Politik und Staat. "5 Stelle" will die Zahl der Parlamentarier halbieren, Provinzen und kleine Gemeinden abschaffen. Vom garantierten Mindesteinkommen sprach Carinelli, 1000 Euro möchte Grillo jedem Arbeitslosen garantieren.

Grillos Vorhaben kosten 85 Milliarden Euro

Grillo will aber noch mehr. Vernünftige Dinge zählen dazu, die Forderung etwa, dass die Wasserversorgung öffentlich bleiben soll, und andere, die an seinem Realitätssinn zweifeln lassen. Auf seinen Kundgebungen hat er unter großem Applaus verlangt, die gerade unter Monti gemachte Rentenreform rückgängig zu machen. Jeder solle künftig wieder mit 60 in Rente gehen, wenn die extrem hohen Pensionen gestrichen würden. Das Politmagazin Panorama hat kürzlich ausgerechnet, dass die von Grillo propagierten Vorhaben mindestens 85 Milliarden Euro kosten würden. Einige der neuen Parlamentarier haben gesagt, sie würden sich nicht als "Onorevole" anreden lassen, wie Abgeordnete in Italien heißen, "Ehrenvoller" heißt das, sie würden den Titel "Bürger" bevorzugen, was ein bisschen an Französische Revolution erinnert. Eine Revolution wollen sie ja auch erreichen, friedlich, versteht sich.

Hinter ihnen steht niemand, das betonen sie von Grillo angefangen alle bei den Fünf Sternen. Sie wollen die staatliche Finanzierung abschaffen und die Politikergehälter reduzieren. Eine programmatische Forderung, die den Nerv der Bürger getroffen hat. Die haben immer weniger in der Tasche und erfahren von immer neuen Exzessen, die sich vor allem Regionalabgeordnete mit Steuergeld geleistet haben. "5 Stelle" finanziert sich aus Spenden. Die Wahlkostenerstattung, hat Grillo angekündigt, wollen sie in einen Fonds geben, aus dem Kleinunternehmen Kredite bekommen sollen - um die 100 Millionen Euro werden sie wohl einzahlen können.

Casaleggio und der Jesus-Vergleich

Viele trauen Grillo indes nicht, dass er den Abgeordneten wirklich freie Hand lässt. Er hat schon Aktivisten ausgeschlossen, weil sie ihm widersprachen. Ein paar von ihnen haben eine eigene Bewegung gegründet. Unklar erscheint auch die Rolle des Mitgründers von "5 Stelle": Gianroberto Casaleggio. Der 59-Jährige hat eine Internetberatungs-Firma in Mailand. Manche halten ihn für das wahre Gehirn der Bewegung. Casaleggio tritt kaum in Erscheinung. Es sind von ihm banale Sätze bekannt: Ideen seien nicht links oder rechts, sondern gut oder schlecht. Im Interview mit dem britischen Guardian hat er Beppe Grillo schon mit Jesus verglichen.

Eine Absage hat Grillo indes nach der Wahl bereits kassiert: Dario Fo, der Dramatiker, Literaturnobelpreisträger und Fünf-Sterne-Anhänger, hat sich bedankt bei Grillo - aber als nächster Staatspräsident werde er sich nicht bewerben.

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