Politikwissenschaft:Blick in die Glaskugel

Wie lässt sich Politik für die Zukunft planen? Forscher der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik spielen mit dem Undenkbaren: Sie entwickeln Szenarien, die zwar extrem erscheinen - aber andererseits durchaus im Bereich des Möglichen liegen.

Von Stefan Kornelius

Politik wird mit dem Terminkalender gemacht - sagen zumindest alle Akteure, die Gipfel planen, Kommuniqués verhandeln oder luftige Versprechungen in konkrete Budgetzahlen umsetzen müssen. Visionen und Absichtserklärungen haben selten die Welt verändert. Und dennoch gibt es immer häufiger Schocks in der Weltpolitik, unerwartete Ereignisse, die alles auf den Kopf stellen und Erschütterungen auslösen.

Der Brexit, die Wahl von Donald Trump, die Annexion der Krim oder die rapide Öffnungspolitik von Kim Jong-un in Nordkorea - das sind die sogenannten schwarzen Schwäne in der Weltpolitik. Eigentlich selten anzutreffen, aber von einer faszinierenden Kraft.

Für die Politik, aber auch die Wirtschaft, wird es immer wichtiger, diesen schwer planbaren Großereignissen die Überraschung zu nehmen. Planungsstäbe in Ministerien, Arbeitsgruppen, Stabsabteilungen in Konzernen spielen gerne mit der Zukunft, vor allem auch, um daraus Lehren für die nächsten Entscheidungen zu ziehen. Im Koalitionsvertrag von 2013 legte sich die Bundesregierung sogar darauf fest, die "strategische Vorausschau" systematisch zu betreiben.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutschlands führender politischer Thinktank, unterzieht sich schon seit vielen Jahren dieser Übung. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen in der Außenpolitik erlauben sich, das Undenkbare zu denken, wissenschaftlich zu hinterfragen und Szenarien für den Umgang mit dem nächsten Schockmoment zu entwerfen.

"Foresight" nennt sich dieses Spiel mit der Glaskugel - der Blick in die Zukunft (www.swp-berlin.org). 2016 erschien die letzte Szenariensammlung über mögliche Wege der russischen Außenpolitik, zwei Jahre zuvor über globale Überraschungsmomente.

In diesem Jahr nehmen sich die Forscher Themen vor, bei denen schon jetzt kein Mangel an Überraschungen herrscht. Südkorea etwa könnte plötzlich Nuklearmacht werden wollen - und hat dafür schon alle Vorbereitungen getroffen. Oder die USA legen einen 180-Grad-Schwenk in ihrer UN-Politik hin und nutzen plötzlich die Instrumente der Völkergemeinschaft. Zwei Szenarien werden hier vorgestellt: eine große Cyberattacke auf die EU und der Austritt der Türkei aus der Nato. Nichts davon ist undenkbar.

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