Politiker und die NSA-Affäre:"Ich erzähle nichts mehr am Telefon"

Politiker und die NSA-Affäre: Sie tun es noch, aber vermutlich mit immer größerem Unbehagen: Politiker beim Benutzen ihres Handys

Sie tun es noch, aber vermutlich mit immer größerem Unbehagen: Politiker beim Benutzen ihres Handys

(Foto: dpa)

Wie im Kalten Krieg oder in Stasi-Zeiten: die Vorsicht vor möglicher Überwachung ist wieder da. Wie die NSA-Affäre schleichend die Kommunikation der Politiker verändert.

Von Stefan Braun, Berlin

"Hallo Herr Maier, wie geht es Ihnen? Ich hätte da ein paar Fragen."

"Hallo, danke, es geht mir gut. Was wollen Sie wissen?"

"Ich würde gerne etwas erfahren zur NSA und zum Umgang der Regierung mit der Abhöraffäre."

"Ich muss Sie enttäuschen. Wissen Sie, ich erzähle nichts mehr am Telefon."

"Ernsthaft jetzt?"

"Ja, ganz im Ernst. Ich mach nichts mehr am Telefon. Aber wir können uns gerne treffen."

Herr Maier heißt im normalen Leben anders. Ansonsten hat sich dieses Gespräch vor wenigen Tagen genau so zugetragen. Herr Maier arbeitet im Berliner Kanzleramt. Er sitzt schon länger in der Regierungszentrale. Er hat also viel Erfahrung. Und hin und wieder spricht er auch mit Journalisten. So gesehen ist dieses Gespräch alles andere als ungewöhnlich.

Ungewöhnlich ist der Zusatz. Er wäre vor einigen Monaten undenkbar gewesen. "Ich erzähle nichts mehr am Telefon." Das war früher ein Späßchen, eine Reminiszenz an die Zeiten des Kalten Krieges und an die Staatssicherheit der DDR. Dass so etwas ernst gemeint sein könnte, war nicht mehr in den Köpfen.

Das hat sich geändert. Schleichend. Allmählich. Es ist eher eingesickert als mit einem großen Schlag in den Köpfen gelandet: das Gefühl, dass das eigene Handy, das eigene Telefonat, die selbst geschriebene SMS nicht mehr geschützt sind. Dass sich Privatheit auflöst. Es ist ein Nebeneffekt der Abhöraffäre, der sich mit dem amerikanischen Geheimdienst National Security Agency verbindet. Und zwar einer, der womöglich viel nachhaltiger wirken könnte, als sich das die Amerikaner vorstellen.

Spaziergänge sind wieder in Mode

Auf Seiten der Berliner Politiker führt sie zu einer Vorsicht, die langsam wieder an ganz andere Zeiten erinnert. Und dazu gehört auch ein Misstrauen und ein Ansehensverlust der USA, wie er so nüchtern und spürbar in allen Parteien noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre.

Es gehört längst zu den täglichen Witzeleien, "NSA!" zu rufen, wenn bei einem Handy-Gespräch der Kontakt abbricht oder wenn es in der Leitung knackt oder wenn der eine noch was hört, der andere aber schon nichts mehr. Die NSA gehört zum Leben. Mal lustig, mal ironisch, mal zynisch, aber andauernd. Und die Folge? Spaziergänge sind wieder in Mode.

Dabei hat es bis zu diesem Punkt sehr verschiedene Phasen gegeben. Die erste war jene, die vor allem mit den Dimensionen überwältigte. 500 Millionen Datensätze in einem einzigen Monat. Das klang nach sehr viel und schien irgendwann relativiert, weil diese Daten als Daten aus Afghanistan und Nordafrika identifiziert wurden. Das klang nach Antiterrorkampf, schien begründbar und veränderte in den Köpfen der Regierenden noch wenig.

Dann kam die Botschaft, auch das Handy der Kanzlerin sei über Jahre hinweg abgehört worden. Das klang, zumal für Christdemokraten, plötzlich nach einer persönlichen Verletzung und Katastrophe, die man zwar in jedem Spionagefilm für angemessen, aber im Verhältnis zu den USA für ausgeschlossen gehalten hatte. Trotzdem schlug es emotional noch nicht voll durch, nach dem Motto: Nun ja, das Handy der Kanzlerin ist interessant, aber doch wohl kaum mein eigenes.

Auch das hat sich geändert. Klar ist, dass Merkels Handy keine Ausnahme war. Die Regierung Gerhard Schröders war genauso betroffen. Und vermutlich alle Minister ebenso. Außerdem zeichnet sich immer stärker ab, dass die US-Regierung zwar den deutschen Frust versteht, aber kaum Grundlegendes ändern möchte. Also macht sich Zynismus breit. Selbst die Frage, ob Merkel schon ihre Akte in Washington beantragt habe, wird nicht mehr belächelt. Man kann Abgeordnete, Beamte und Kabinettsmitglieder fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, dass die NSA elektronisch Akten über alle deutschen Politiker angelegt haben könnte - und erntet nicht etwa brüske Zurückweisung, sondern fast unisono die gleiche Antwort: Na ja, so weit habe man noch nie gedacht. Aber ausschließen, ganz ehrlich, könne man das nicht mehr.

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