Süddeutsche Zeitung

Politiker-Spesen in Großbritannien:"Keine Quittung nötig"

Noch vor wenigen Wochen gelobten britische Politiker nach beispiellosen Skandalen eine Runderneuerung ihres Spesensystems. Nun genehmigen sich Abgeordnete offenbar still und leise neue Vorteile.

Irene Helmes

Geld her, und bitte keine lästigen Fragen: Auf diese einfache Formel lässt sich eine neue Initiative britischer Abgeordneter bringen, von der der Daily Telegraph berichtet. Wie die Londoner Tageszeitung schreibt, hat eine Gruppe von Parlamentariern nämlich vor der Sommerpause heimlich, still und leise eine neue Regelung zur Spesenabrechnung beschlossen, die alle Bekenntnisse zu mehr Transparenz ad absurdum führt.

Abgeordnete dürfen demnach für Nächte, die sie wegen parlamentarischer Verpflichtungen nicht zu Hause verbringen, mit einer Pauschale von 25 Pfund und einem jährlichen Höchstsatz von 9125 Pfund fast doppelt so hohe Auslagen wie bisher zurückfordern - und zwar ohne Belege. "Es sind keine Quittungen nötig", zitiert das Blatt aus der neuen Regelung. Lediglich die Anzahl der fraglichen Nächte sei anzugeben. Wie man das Geld ausgebe: Ermessenssache.

Bislang lag die Grenze für Spesenzahlungen ohne Quittung bei maximal 4800 Pfund im Jahr. Darüber hinaus hatten und haben die Abgeordneten Anspruch auf Zahlungen für Miete, Stromrechnungen und andere Ausgaben.

Der Telegraph berichtet weiter, dass beinahe die Hälfte der Unterhausmitglieder unter dem neuen System durchschnittlich 200 Pfund für Essen ausgeben und als Spesen abrechnen - mehr als unter dem alten System.

Ohne die Öffentlichkeit zu informieren oder eine Debatte in Ober- oder Unterhaus anzusetzen, hatte dem Telegraph zufolge ein kleines, aber mächtiges Grüppchen um den jetzigen Unterhauspräsidenten John Bercow (Tories) und Harriet Harman (stellvertretende Labour-Vorsitzende) die neue Regelung im Frühjahr beschlossen und sie auch in die aktuelle Version des parlamentarischen Grünbuchs vom 13. Juli übernommen - ohne viel Aufhebens darum zu machen.

Der neue Pauschalbetrag von 25 Pfund pro Nacht ist in der Tat auf Seite 14 des Grünbuchs aufgeführt, das die Spesenerstattung regelt. In seiner neuen Fassung wurde es den Abgeordneten vor knapp zwei Wochen ausgehändigt und auch auf der Website des Unterhauses veröffentlicht.

Nach der Offenlegung der neuen Regelung beeilte sich Bercow und ließ durch einen Sprecher des Unterhauses mitteilen, dass er diese Sache als Angelegenheit von öffentlichem Interesse ansehe und sie demnächst auf die Tagesordnung setzen werde.

Erst im Frühsommer hatten Enthüllungen über kompromittierende Spesenabrechnungen das Vertrauen der britischen Öffentlichkeit in die Politik massiv erschüttert. Über Wochen hinweg veröffentlichten Zeitungen - allen voran der Daily Telegraph - immer mehr Details über das Finanzgebahren von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien.

Pornos und Entenhäuschen

Dabei kamen die erstaunlichsten Eskapaden ans Licht. So hatte Innenministerin Jacqui Smith (Labour) Pornofilme ihres Mannes auf ihrer Spesenrechnung aufgeführt und der konservative Unterhausabgeordnete Sir Peter Viggers etwa 1600 Pfund für ein Entenhäuschen in seinem Teich abgerechnet. Nur zwei Beispiele unter vielen, die die jeweils Kompromittierten zum Rücktritt zwangen und eine fassungslose Bevölkerung zurückließen. Zeitweise sprachen sich zwei Drittel für schnelle Neuwahlen aus.

Premier Gordon Brown sah ein Kabinettsmitglied nach dem anderen zurücktreten und seine Regierung am Rande des Scheiterns. Kurz vor der Europawahl Anfang Juni schien Browns Rücktritt höchstens noch eine Frage von Tagen - doch bereits politisch totgesagt überstand er die Krise.

Es seien "extreme Schritte" nötig, um das Vertrauen der Briten in die Politik wiederherzustellen, so Brown im Frühling. Auch die vom Telegraph nun schwer beschuldigte Labour-Politikerin Harman sprach sich auf dem Höhepunkt der Enthüllungswelle dafür aus, künftig für alle Spesenforderungen Quittungen zu verlangen.

Unterhauspräsident Bercow wurde erst Ende Juni als Nachfolger des - über Spesen gestolperten - Labour-Politikers Michael Martin gewählt, obwohl er selbst keine ganz reine Weste hatte. Zum Zeitpunkt seiner Wahl hatte er umstrittene Posten in seinen Abrechnungen jedoch bereits beglichen - und sich als Vorkämpfer für eine Imagepolitur des Unterhauses präsentiert. Die Vorwürfe des Telegraph nun strafen die Versprechungen Lügen.

Hoffnung auf eine Rundumerneuerung ist trotzdem noch vorhanden. Christopher Kelly, der als oberster "Aufseher" des Unterhauses darüber wachen soll, dass die Parlamentarier von nun an sauber mit ihren Spesenabrechnungen umgehen, wird voraussichtlich im Oktober empfehlen, die 25-Pfund-Regelung zu kippen. Die Parlamentarier dürften seiner Empfehlung wohl nachkommen.

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