Ist die Diskussion um Peer Steinbrücks Nebeneinkünfte wirklich eine Debatte, die "nur Verlierer produziert", wie es an anderer Stelle heißt? Oder wird sie am Ende - jenseits einer Handvoll "politischer Köstlichkeiten" - sowieso zu nichts führen?
Was im Vorwahlkampf-Getöse untergeht: Hier herrscht tatsächlich Redebedarf. Nicht nur über Nebeneinkünfte, sondern über die Regeln, die dieses Land seinen Volksvertretern an die Hand geben möchte, um mögliche oder echte Interessenskonflikte zu vermeiden und über das eigene Gebaren Transparenz zu schaffen, wo es geboten ist.
Der "Nationale Integritätsbericht" der Organisation Transparency International hat gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der Bundesbürger von einem wachsenden Korruptionsproblem ausgehen, obwohl den politischen Institutionen ein relativ ordentliches Zeugnis ausgestellt wird.
Dieses Ergebnis signalisiert Nachholbedarf und Lücken, die Misstrauen schaffen. Süddeutsche.de hat deshalb Beispiele für Transparenzverpflichtungen und politische Verhaltensregeln aus anderen Ländern gesammelt, um zu zeigen: Es geht auch anders. Diese Maßnahmen könnten auch in Deutschland diskutiert werden.
Wie Großbritannien: Finanzen von Abgeordneten komplett offenlegen
Ob Eintrittskarten für die Olympischen Spiele, Reden vor Interessensgruppen oder Reisen auf Einladung ausländischer Regierungen: Wer wissen möchte, wann britische Abgeordnete auf fremde Rechnung unterwegs sind oder was sie neben ihrer Haupttätigkeit einnehmen, findet diese Informationen in einem Online-Register des Unterhauses. Die Posten werden auf Pfund und Pence angegeben, Ausnahme bildet einzig der Besitz von Immobilien, der ohne Details publiziert wird. Die seit 1974 bestehende Transparenzverpflichtung konnte allerdings nicht verhindern, dass 2009 zahlreiche Abgeordnete über zu hohe Spesenabrechnungen stolperten. Diese überwacht nun eine unabhängige Behörde.
Wie in Dänemark: Minister legen monatlich Rechenschaft ab
Wer im dänischen Kabinett sitzt, muss dem Steuerzahler ganz genau erklären, was er so treibt: Reisekosten müssen ebenso jeden Monat offengelegt werden wie Geschenke, die ein Minister erhält. Die Offenheit trägt dazu bei, dass die Dänen Umfragen zufolge stets überdurchschnittlich hohes Vertrauen in ihre Politiker haben.
Wie in Kanada: Einrichtung eines Lobbyregisters
Über eine Eintragspflicht für die etwa 5000 aktiven Lobbyisten rund um den Bundestag diskutiert die Politik bereits seit Jahren, vor allem Union und FDP sperren sich gegen ein entsprechendes Gesetz. Anderswo ist man weiter: In Australien, den USA und Kanada existieren bereits seit Jahren Lobbyregister, auch in Brüssel gibt es entsprechende Listen. Irland und Österreich haben die Einführung vor einiger Zeit beschlossen. Kanada hat sein Lobbyregister bereits 1989 eingeführt und es dabei nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in den Provinzen durchgesetzt. Dabei gilt jede Interessensgruppe, die mit Abgeordneten oder der Regierung kommuniziert, als Lobbyorganisation und damit registrierungspflichtig. Wer dies versäumt, muss Strafen in Höhe von mindestens 25.000 kanadischen Dollar zahlen. Ein Lobbyismus-Kommissar überwacht die Einhaltung der Regeln und des (vage gehaltenen) Verhaltenskodex, dem sich die Lobbyisten verpflichten müssen.
Wie Brüssel und Washington: Seitenwechsler kontrollieren
Beispiele für deutsche Politiker, die nach ihrer Amtszeit bei Privatunternehmen unterkamen und dort Lobbyarbeit zu Themen machten, über die sie früher selber entschieden hatten, gibt es genügend. Weil auch in der EU-Kommission einige Fälle für Ärger sorgen, hat man nun dort strengere Regeln veranlasst: EU-Kommissare müssen die Kommission 18 Monate lang über ihre neuen Tätigkeiten informieren. Während dieser Zeit dürfen sie keine Lobbyarbeit betreiben, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft.
In den USA müssen Senatoren zwei Jahre und Abgeordnete des Repräsentantenhauses ein Jahr nach Mandatsende darauf verzichten, als Lobbyisten auf ihre ehemaligen Kollegen Einfluss zu nehmen. Allerdings gibt es bereits zarte Bestrebungen, diese Frist zu verlängern. US-Präsident Barack Obama veranlasste kurz nach seinem Antritt im Januar 2009, dass Mitarbeiter des Weißen Hauses im Falle eines Ausscheidens für den Rest der Amtszeit des Präsidenten keiner politische Lobbyarbeit nachgehen dürfen, die auf die Regierung oder Regierungsbehörden zielt.
Wie (beinahe) der Rest der Welt: Unterzeichnung der UN-Konvention zur Korruption
140 Länder haben die UN-Konvention gegen Korruption (Uncac) unterzeichnet - Deutschland ist nicht darunter und findet sich in Gesellschaft mit Ländern wie Syrien oder Sudan. Der bisherige Paragraf 108 des Strafgesetzbuchs verbietet hierzulande nur direkten Stimmenkauf und -verkauf. Das Abkommen hingegen macht "das unmittelbare oder mittelbare Versprechen, Anbieten oder Gewähren eines ungerechtfertigten Vorteils" an oder durch einen Amtsträger zur Straftat, also letztlich Mauscheleien im Gesetzgebungsverfahren. Linke, Grüne und SPD haben zur Reform des Paragrafen bereits jeweils eigene Gesetzesvorschläge vorgelegt. Die Piraten haben sich ebenfalls positioniert. Am 17. Oktober findet im Innenausschuss des Bundestags eine Anhörung zum Thema statt.
Wie die Niederlande: Einsetzung eines Ombudsmannes
Der "Nationale Ombudsman" ist in den Niederlanden eine Institution: Er und seine 170 Mitarbeiter nehmen Beschwerden und Anregungen der Bevölkerung zum Verhalten von Politikern entgegen und machen Vorschläge für Benimmregeln von Behördenmitarbeitern und größere Transparenz. Er kann dabei auch als Schlichter und Vermittler bei Fällen agieren, die nicht vor ordentlichen Gerichten geklärt werden - zum Beispiel, wenn es um die Feststellung von Interessenskonflikten geht.
Wie Schweden und Großbritannien: Informationsfreiheit für alle
In Schweden gibt es bereits seit Jahrhunderten die Tradition, viele Regierungsinformationen für die Bürger des Landes zugänglich zu machen, was sich unter anderem in der Möglichkeit widerspiegelt, die meisten Behördengänge inzwischen online zu erledigen. Großbritannien wiederum hat sich mit seiner Open-Data-Initiative neben den USA an die technische Spitze der neuen Offenheitsbewegung gesetzt und publiziert zum Beispiel Informationen über Ausgaben von Behörden oder visualisiert relevante Statistiken. Damit ist zwar noch nicht die Frage nach der Nähe von Politik und Wirtschaft geklärt - doch der Bürger erhält einen Überblick darüber, was mit seinem Geld passiert und wie Behörden und Verwaltungen arbeiten. Deutschland arbeitet zwar an der Umsetzung von Konzepten im Bereich Open-Government, hat aber auch hier deutlichen Nachholbedarf.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück:Der Anti-Parteisoldat
"Die SPD, die mich aufstellt, muss erst noch erfunden werden": Damit lag Peer Steinbrück falsch. Der große Absturz fand nicht statt, die Sozialdemokraten legten unter seiner Führung sogar ein bisschen zu. Ein unkomplizierter Spitzenmann ist er für seine Partei trotzdem nicht gewesen.
Ob Verhaltenskodex oder Transparenzgesetz: Welche Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie fehlen in der Liste? Was halten Sie von den vorgestellten Ideen? Schreiben Sie einen Kommentar oder kontaktieren Sie den Autor bei Twitter unter @kopfzeiler. Der Artikel wird entsprechend ergänzt.