Katalonien-Konflikt:Und sie bewegen sich doch

Katalonien-Konflikt

Die Freilassung ihrer inhaftierten Politiker ist inzwischen die wichtigste Forderung der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter. Am Sonntagabend verliehen sie dieser Forderung nahe eines Gefängnisses in Sant Joan de vilatorrada Ausdruck.

(Foto: AP)
  • Vor genau einem Jahr hielten die Separatisten in Katalonien ihr Unabhängigkeitsreferendum ab.
  • In der Folge eskalierte der Konflikt: Die Regionalregierung wurde von Madrid entmachtet, führende katalanische Politiker verhaftet. Oder sie setzten sich ins Ausland ab.
  • Doch unter der neuen spanischen Regierung von Ministerpräsident Sánchez hat sich die Lage verändert.

Von Thomas Urban, Madrid

Polizisten in schwarzen Kampfmonturen prügeln auf friedliche Bürger ein. Diese Bilder vom katalanischen Unabhängigkeitsreferendum gingen vor genau einem Jahr um die Welt. Sie belegten die Ratlosigkeit der konservativen Zentralregierung unter Mariano Rajoy angesichts der katalanischen Separatisten, die Hunderttausende mobilisieren konnten. Das überaus negative internationale Echo auf die Polizeieinsätze war eine schwere Niederlage für Madrid. In Barcelona feierten derweil die Separatisten einen glänzenden Sieg: 90 Prozent der Wähler hatten für die Abspaltung der wirtschaftsstarken Region vom Königreich Spanien gestimmt.

Doch die Reaktionen im Ausland auf dieses Ergebnis waren viel verhaltener: Die Wahlbeteiligung bei dem von Madrid verbotenen Referendum hatte bei nur 42 Prozent gelegen. Dies bedeutete, dass weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit der 7,5 Millionen Einwohner zählenden Region eintraten. Ähnlich waren die Ergebnisse der Regionalwahl im Dezember, die den Separatisten nicht die Mehrheit der Stimmen, aber eine knappe Mehrheit der Mandate brachte. Der 1. Oktober 2017 bedeutete somit auch eine Niederlage für die Verfechter einer unabhängigen Republik Katalonien.

Diese unterschätzten überdies die Entschlossenheit der Regierung Rajoy, die spanische Verfassung durchzusetzen, die die Sezession einer Region verbietet. Auf die Proklamation der Unabhängigkeit durch den damaligen katalanischen Premier Carles Puigdemont folgten postwendend die Absetzung der Regionalregierung und die Auflösung des Regionalparlaments durch Madrid.

Die führenden Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung wurden verhaftet, sofern sie sich nicht rechtzeitig ins Ausland abgesetzt hatten. Zu letzteren gehört Puigdemont, der nun versucht, vom Brüsseler Vorort Waterloo aus weiter Einfluss auf die katalanische Politik zu nehmen. Das gelingt ihm immer weniger, er ist stets ein politisches Leichtgewicht ohne Konzept gewesen. Der Ortsname Waterloo passt dazu.

Puigdemont sitzt im belgischen Waterloo - und verliert an Einfluss

Auf den ersten Blick besteht der Grundkonflikt heute fort: Auch die neue Zentralregierung in Madrid unter dem Sozialisten Pedro Sánchez lehnt ein Unabhängigkeitsreferendum ab. Genau dies aber fordert die Regionalregierung in Barcelona unter Quim Torra, der regelmäßig zu Puigdemont nach Waterloo reist; er war früher einer der Berater des abgesetzten Regionalpremiers und hat zweifellos mehr politisches Format als dieser.

Weder die spanische noch die katalanische Regierung verfügen über eine sichere Mehrheit im eigenen Parlament. Sánchez weiß, dass von einer Lösung des Katalonien-Konflikts seine politische Zukunft abhängt. Weitgehende Zugeständnisse kann er nicht machen, weil wohl die überwältigende Mehrheit der Spanier einen harten Kurs gegenüber den abtrünnigen Katalanen fordert. Aber Sánchez setzt - im Gegensatz zu Rajoy - auf Dialog.

Auf der Agenda steht auch der umstrittene Finanzausgleich zwischen den Regionen. Vergeblich forderten die Katalanen in der Vergangenheit einen erweiterten Zugriff auf das Steueraufkommen der Region, mehr Transparenz und staatliche Investitionen. Als Beispiel wurde die Forschungspolitik angeführt: Mehr als drei Dutzend staatlich finanzierte Institute befinden sich in der Region Madrid, aber nur zwei in Katalonien.

"Unabhängigkeit kann man nicht gegen die Hälfte der Bevölkerung erreichen"

Sánchez kommt zugute, dass die drei separatistischen Fraktionen in Barcelona mittlerweile untereinander zerstritten sind. Die kleine neomarxistische CUP fordert eine harte Konfrontation mit Madrid. Auch die Demokratische Europäische Partei (PDCat) von Torra und Puigdemont hält unverdrossen an der Unabhängigkeit als Ziel fest, will aber mit Madrid darüber verhandeln. Hingegen halten die traditionsreichen Linksrepublikaner (ERC) dieses Ziel derzeit für nicht erreichbar.

Ausgerechnet der inhaftierte ERC-Vorsitzende Oriol Junqueras sagte nun in einem Interview aus der Gefängniszelle in Anspielung auf das umstrittene Referendum und die jüngste Regionalwahl: "Die Unabhängigkeit kann man nicht gegen den Willen der Hälfte der Bevölkerung erreichen." ERC-Abgeordnete machen klar: Erstes Ziel müsse die Freilassung der Inhaftierten sein.

In diesem Punkt stoßen sie durchaus auf Verständnis bei der neuen Zentralregierung. Außenminister Josep Borrell, selbst Katalane, einst Präsident des Europaparlaments und somit ein politisches Schwergewicht, sagte unverblümt: "Die Untersuchungshaft dauert schon zu lange." Dies war eine Spitze gegen die spanische Justiz, in der Konservative den Ton angeben.

Doch auch die Spitzenjuristen Madrids mussten eine Reihe empfindlicher Niederlagen hinnehmen: Sie werfen den führenden katalanischen Separatisten Rebellion vor, was mit 30 Jahren Gefängnis zu Buche steht; doch Gerichte in Deutschland, in Belgien, Großbritannien und in der Schweiz, die über die Auslieferung prominenter Katalanen zu befinden hatten, wiesen diesen Vorwurf als unbegründet zurück.

Beim Schicksal der Inhaftierten deutet sich eine Lösung an

Die spanische Justiz befindet sich nun in einem Dilemma: Sie würde dem Ruf des Landes weiteren Schaden zufügen, wenn die Beschuldigten als Rebellen für viele Jahre hinter Gitter kämen, obwohl im Ausland dieser Tatbestand angezweifelt wird, ganz abgesehen davon, dass harte Urteile die Lage in Katalonien explodieren lassen könnten. So wird in den Kulissen längst darüber nachgedacht, wie ein Ausweg aus der verfahrenen Lage aussehen könnte. Eine Möglichkeit wäre eine rasche Begnadigung nach einer Verurteilung durch das Staatsoberhaupt, also durch König Felipe.

Obwohl Sánchez in Madrid ein Minderheitskabinett führt, hat er gute Karten im Konflikt mit Barcelona: Alle Umfragen zeigen, dass er sich bei vorgezogenen Wahlen im Amt halten würde, hingegen würden die Separatisten in Barcelona starke Einbußen hinnehmen müssen.

Überdies wird auf den Regionalpremier Torra auch aus den eigenen Reihen immer stärkerer Druck ausgeübt: Hinter der liberalkonservativen PDCat stehen einflussreiche Wirtschaftskreise. Und die sind an allem anderen interessiert als an politischer Instabilität. Die führenden Wirtschaftsverbände Kataloniens haben längst klargemacht: Ihre Region müsse in der EU bleiben. Und wenn dies nur innerhalb Spaniens möglich ist, so sei dies eben hinzunehmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: