Süddeutsche Zeitung

Politik und Internet:Grüne entdecken die Piraten in sich

Die Grünen haben eine neue "Herausforderung" ausgemacht: das Internet. So jedenfalls steht es im Text des Vorstands zum Bundesparteitag im November in Kiel. Dort soll es vor allem um Netzpolitik gehen. Das klingt ein bisschen nach einer Antwort auf die Piratenpartei - was die Grünen aber gar nicht gerne hören.

Daniel Brössler, Berlin

Wenn in der Politik zum Ausdruck gebracht werden soll, dass ein Thema als wichtig erkannt wurde und von nun an absolut ernst zu nehmen ist, wird es gerne mit der Vokabel "Herausforderung" versehen. Der Vorstand der Grünen hat für den Parteitag Ende November in Kiel einen 16-seitigen Antrag über die Chancen des Internets formuliert. Dort ist viel von Herausforderungen die Rede, elf Mal, um genau zu sein. Überhaupt nicht erwähnt wird die Piratenpartei. Man muss sie schon zwischen den Zeilen suchen.

Am Donnerstag haben die Piraten eine Mitteilung veröffentlicht, in der unbescheiden die Rede ist von einem "Ansturm". Wöchentlich gewinne die Partei mehr als tausend neue Mitglieder. Insgesamt seien es bereits 15 000. Das passt zu den Umfragen: Da liegen die Piraten bundesweit bei acht Prozent. Mit dem richtigen Thema zur rechten Zeit klappt es eben auch beim Wähler. Wer wüsste das besser als die Grünen.

Schmerzhaft müssen sie nun erleben, wie eine junge politische Kraft mit einem Thema Erfolge feiert, das den Zeitgeist trifft. Ihnen geht es dabei ein wenig so wie einst der SPD mit den Grünen. Sie halten die Neuen für Fleisch vom eigenen Fleische. "Wir als Bündnis90/Die Grünen nehmen uns dieser Fragen seit über einem Jahrzehnt leidenschaftlich an, die öffentliche Diskussion wird seit Jahren auch von grünen Stimmen mitgeprägt", heißt es im Antrag des Vorstands.

Daran stimmt, dass die Grünen das Thema Internet früh ernster genommen haben als andere, aber eben auch noch nicht wirklich ernst. Im Grundsatzprogramm von 2002 wird das Internet fünf Mal erwähnt. Im Wahlprogramm von 2009 füllt das Kapitel "Digital ist besser - für ein freies Internet" sieben von 220 Seiten.

Auf dem Parteitag sollen die Lücken nun gefüllt werden. "Die Herausforderungen des Internets lassen sich nicht mit den Antworten des 20. Jahrhunderts meistern", ist im Text des Vorstands zu lesen. Die Netzpolitik sei das "große Querschnittsthema unserer Zeit". Sie tangiere schließlich nahezu alle Politikbereiche.

Das klingt ein bisschen nach einer Antwort auf die Piratenpartei, was die Grünen freilich gar nicht gerne hören. "Das Thema Netzpolitik steht für uns seit dem Frühjahr als Thema des Parteitags fest. Dass es mit dem Einzug der Piraten ins Parlament in Berlin plötzlich einen erneuten Aufmerksamkeitsschub bekommen hat, erfreut uns natürlich", sagt Parteichefin Claudia Roth.

Konkret legen die Grünen nun ein ganzes Bündel von Forderungen vor, die das Thema Internet und Demokratie verbinden. So verlangen sie einen "globalen Kodex zur Sicherung unserer Freiheits- und Bürgerrechte im Internet". Deutschland soll keine Schnüffelsoftware mehr exportieren. Gewahrt bleiben soll in Deutschland die "Netzneutralität", also die gleichberechtigte Durchleitung aller Daten.

Überdies fordern die Grünen den Ausbau kostenloser WLAN-Netze und sprechen sich gegen "Vermummungsverbote" im Internet aus. Die Möglichkeit zur Verwendung von Pseudonymen oder Anonymität sei ein "zentraler und rechtlich zu schützender Bestandteil eines freien Internets". Und natürlich treten sie ein für eine "transparente Demokratie", Bürgerbeteiligung im Netz und gegen "Internetsperren".

Inhaltlich habe sich bei den Grünen durch den Erfolg der Piratenpartei gar nichts verändert, versichert Roth. Dass die Piraten "mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt" haben, das räumt sie dann aber doch ein.

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SZ vom 14.10.2011/str
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