Politik und Geschäfte:Europas Staaten wetteifern um Pekings Gunst

Angela Merkel besucht China

Angela Merkel bei ihrem China-Besuch im Sommer 2014 mit Staatschef Xi Jinping.

(Foto: dpa)

EU-Staaten wie Großbritannien biedern sich China an und schwächen so Europa. Der Druck auf die Kanzlerin, mehr nach Pekings Pfeife zu tanzen, wird wachsen. Sie darf ihm nicht nachgeben.

Kommentar von Kai Strittmatter

Es wird ungemütlicher. Angela Merkel und China, das war in der Vergangenheit eine vergleichsweise harmonische Affäre: Die deutsche Industrie machte fette Geschäfte, die Bundeskanzlerin vergaß darüber nicht die Menschenrechte, und auch nicht all die anderen stacheligen Themen, die den Aufstieg Chinas zur mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt begleiteten. Chinas Führung, ganz pragmatisch, schluckte das, beide Nationen feierten ihre Partnerschaft, und Deutschland durfte nicht nur die stets steigenden Gewinne seiner Investitionen in China zählen, sondern sich darüber hinaus in der Gewissheit sonnen, für Peking Anlaufstelle Nummer eins in Europa zu sein. Weder das eine noch das andere werden in Zukunft sicher sein.

Wenn die Kanzlerin an diesem Donnerstag in Peking landet, wird die Atmosphäre sehr viel nüchterner sein als früher. Die fetten Jahre sind vorüber, das ist das eine. Chinas Wachstum sackt ab. Das ist erst einmal - anders als oft berichtet - keine Überraschung, denn das wurde von der chinesischen Regierung seit zwei Jahren so angekündigt und gewollt: Peking möchte nicht mehr nur auf Investition und Produktion bauen. Neue Wachstumstreiber sollen Konsum, Dienstleistung und Innovation werden. Klar ist, dass damit auch die Nachfrage nach den klassischen deutschen Industriegütern sinken wird. In diesem Jahr schon sind Deutschlands Exporte nach China fast auf Vorjahresniveau verharrt.

Ob Peking nach den verrückten Boomjahren der Wandel zu einem nachhaltigen Wachstum gelingt, ist noch einmal eine andere Frage: Bei der entscheidenden Reform der Staatsbetriebe hakt es gewaltig, auch zeigte sich Chinas Führung zuletzt in ihrem wirtschaftlichen Krisenmanagement mehrfach bemerkenswert konfus. Aber schon jetzt trifft die Strukturkrise der chinesischen Wirtschaft zentrale Teile der in China engagierten deutschen Unternehmen. Deutschlands Autofirmen, aber auch seine Maschinenbauer und Chemiefabrikanten müssen Abschied nehmen von den paradiesischen Jahren, als Chinas Wachstum ein Selbstläufer war. Es wird gewaltig knirschen.

Das andere ist: China scheint nicht länger der Meinung zu sein, andere umwerben zu müssen. Vielmehr genießen die Regenten in Peking es, selbst so umworben zu werden, dass der Werbende sein Rückgrat nicht mehr spürt. Partei- und Staatschef Xi Jinping träumt von der "Wiedergeburt der großen chinesischen Nation". Unausgesprochen steckt darin auch die historische Tatsache, dass das starke China von einst Beziehungen zwischen zwei Nationen immer nur als eine von Hegemon und Bittsteller kannte.

Die Briten wollen Deutschland als Chinas Partner Nummer eins ablösen

Großbritannien macht gerade vor, wie das geht: sich an China so rückhaltlos heranzuwerfen, dass man sich als Zuschauer winden möchte vor Scham. China belohnt das, mit Aufträgen, Investitionen, Aufmerksamkeit. Die wenigen Länder, die wie Deutschland noch die Menschenrechte ansprechen oder die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer, werden im Wettlauf um die Gunst Chinas zunehmend unterboten von den anderen. Deutsche Diplomaten bekommen von Peking heute zu hören, sie sollten sich gefälligst ein Beispiel an London nehmen.

Londons Ziel ist klar: Es will Deutschland als Chinas Partner Nummer eins in Europa ablösen. Es ist bei Angela Merkel schon aufgrund ihrer Geschichte und Persönlichkeit nicht anzunehmen, dass sie den Weg David Camerons geht, nur um ein paar Punkte zu machen. Täte sie es dennoch, es wäre fatal. Camerons knallhart kalkulierte Liebedienerei ist nicht nur ein Verzicht auf Werte und Würde, es ist der Verzicht auf Außenpolitik überhaupt. Kurzfristig mag das profitabel sein, langfristig ist es dumm.

Flüchtlinge, Ukraine, Griechenland: Europa ist im Moment so mit sich beschäftigt, dass es kaum über seinen Tellerrand hinausblickt. Das ist verständlich, aber auch gefährlich. Als ob uns die Konflikte im Südchinesischen Meer, ein möglicher Krieg gar, nichts angingen. Dabei wäre ein solcher Krieg ein Schlag für die gesamte Weltwirtschaft, er hätte unmittelbare Auswirkungen auf unseren Wohlstand in Europa. Als ob wir uns nicht ins eigene Fleisch schnitten mit unserem blinden Wettlauf um die Gunst Chinas: Die EU lässt sich auseinanderdividieren und kastriert sich damit selbst, und das in einer Zeit, in der China sich anschickt, die Regeln des globalen Zusammenlebens mitzubestimmen, egal ob bei der internationalen Finanzordnung oder beim Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe.

Der Druck auf die Kanzlerin, mehr nach Pekings Pfeife zu tanzen als bisher, wird wachsen: von chinesischer Seite, aber auch von Seiten der deutschen Industrie. Die Kanzlerin sollte nicht nachgeben.

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