Politik rätselt über Neonazi-Mordserie:Protokoll der Ratlosigkeit

Ahnungslos, bemüht, verzweifelt: Der Innenausschuss des Bundestages sollte eigentlich Klarheit über die Zwickauer Neonazi-Gruppe und ihre möglichen Helfer schaffen. Doch das Gremium stellt nur weitere Fragen.

John Goetz und Hans Leyendecker

Protokolle der Ausschüsse von Parlamenten liefern in der Regel keinen spannenden Lesestoff. Das liegt nicht zuletzt am Sprachgebrauch, der an solchen Orten herrscht. Politiker oder Fachleute, die etwas Neues zu sagen haben, sind ebenso rar wie Politiker oder Fachleute, die etwas Neues hören wollen. Das Ausschussprotokoll der außerordentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags vom vergangenen Montag stellt insofern eine Ausnahme dar. Die Bundesregierung wollte das Parlament über den "Ermittlungsstand in Sachen Rechtsextremismus" unterrichten. Zu diesem Zweck waren der Bundesinnenminister, drei Staatssekretäre, der Generalbundesanwalt und Präsidenten diverser Sicherheitsbehörden erschienen.

Mordserie Neonazis - Krisengipfel

Mehr Fragen als Antworten: Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm (links).

(Foto: dpa)

Die Aufzeichnungen sind ein Dokument der Ratlosigkeit, des Bemühens und auch der Verzweiflung. Ein Jahrzehnt lang mordete eine terroristische Bande, die von den Behörden nicht als solche erkannt wurde: Es gab zehn Tote, 14 Banküberfälle und Sprengstoffanschläge. Jetzt stellen diejenigen, die von Berufs wegen Antworten geben sollen, erst mal die Fragen - die meisten davon wohl ausgerechnet der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke: "Ist es nur eine Terrorzelle, oder gibt es weitere Terrorzellen?", fragte er, und weiter: "Welche Ausdehnung hat das Ganze eigentlich in der rechtsextremistischen Szene? Gibt es Planer bei den Mordanschlägen oder den Banküberfällen? Gibt es Personen, die Geld aus den Banküberfällen angenommen haben?" Auch die Ermittler seines Hauses, des BKA, könnten darauf keine Antwort geben.

"Es muss einen Plan gegeben haben"

Stattdessen stellte Ziercke weitere Fragen, etwa danach, wer sich die Bekenner-DVD, die 2007 "sehr professionell" hergestellt wurde, angeschaut habe. Oder: "Ist damit in der Szene im internen Kreis im Grunde geprahlt worden?" Er schließe das nicht aus, sagte Ziercke dazu, "denn das, was alles an Beweismitteln gefunden worden war, erweckt den Eindruck einer Trophäensammlung". Aus "jeder Tat" sei "das eine oder andere, sei es das Foto des gerade Getöten, sei es die Waffe der Polizeibeamtin von den Tätern aufbewahrt worden", so der BKA-Chef.

Wie dann das Ende ablief, warum sich die Terroristen nach dem Bankraub erschossen, warum ihre Wohnung in Flammen aufging, dafür gebe es zumindest eine Theorie: "Es muss einen Plan gegeben haben", erklärte Ziercke den Bundestagsabgeordneten: "Offensichtlich haben sich beide in dem Wohnwagen in die Enge getrieben gefühlt, weil die Polizei auftauchte. Das hatten sie vorher so auch noch nicht erlebt. Sie haben dann wohl planvoll gehandelt". Dann hätten sie vermutlich noch mit ihrer Komplizin Beate Z. telefoniert, die dann die Wohnung mit "Brandbeschleunigern, die vorhanden gewesen sein müssen" angezündet habe. Aber ob es wirklich so abgelaufen sei, müssten die Ermittlungen zeigen.

"Sie wissen nichts?"

Dann präsentierte Ziercke am Montag ein "Detail", das durch die Ermittlungen neu herausgekommen sei und eine "erstaunliche Veränderung" darstelle: Im Umfeld der Familie der von den Killern erschossenen Polizistin habe es 2007 Bemühungen gegeben, eine Gaststätte in Obeweißbach in Thüringen anzumieten. Zum Zuge sei aber "einer unserer jetzt Beschuldigten" gekommen, um dort seine rechtsradikale Szene zu empfangen, sagte er. Zudem habe die Polizistin zeitweise "direkt gegenüber gewohnt". Das seien "Zufälligkeiten, wo man sich wirklich fragen muss, wie das zustande gekommen ist". Das Meiste, was Ziercke zu diesem Punkt gesagt hat, erwies sich später als falsch. Doch damit nicht genug. In gleicher Sitzung kam es auch noch zu einen Dialog zwischen Parlamentariern und Staatsschützern, der ratlos machte:

Abgeordneter Clemens Binninger, CDU: "Gibt es derzeit andere rechtsextremistische Täter, die wir mal per Haftbefehl gesucht haben, deren Aufenthaltsort wir nicht kennen, die abgetaucht sind?"

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz: "Das kann ich im Moment nicht verbindlich sagen. Bisher ist mir dergleichen nicht mitgeteilt worden. Aber ich kann das nicht völlig ausschließen. Das müssen wir klären."

Ausschussvorsitzender Wolfgang Bosbach, CDU:Was kann man in diesen Tagen schon ausschließen?"

Catrin Rieband,Verfassungsschutz Hessen: "Ich kann mich dem anschließen."

Thomas Sippel,Verfassungsschutz Thüringen: "Ich sehe das auch so."

Zuruf von der SPD: Sie wissen nichts?"

Bosbach: Liebe Leute, ich bin ja an für sich gemütlich vom Wesen her. Aber nach so einem Konflikt muss man doch wissen, ob es Haftbefehle gibt und diejenigen, die man sucht, untergetaucht sind. Das ist doch das Erste, was man nachguckt."

Rieband:Uns sind keine präsent. Das ist aber nicht ausgeschlossen."

Bosbach:Gibt es nicht vollstreckbare Haftbefehle in der Szene? Das ist doch die Frage. Das kann man doch nicht mit Nichtwissen beantworten."

Zuruf: "Anscheind ja!"

Bosbach: "Ja, gut! Herzlichen Glückwunsch."

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