Werkstatt Demokratie:Politisch sprechen, aber richtig

Lesezeit: 7 min

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Warum der politische Standardsatz unserer Zeit eine Floskel ist, wie man verhindert, dass bei Debatten immer der Lauteste gewinnt und was Groucho Marx damit zu tun hat, erklärt der Politolinguist Thomas Niehr.

Interview von Sebastian Gierke

SZ: "Man muss die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen." Dieser Satz war auch für die Wahlkämpfe in Sachsen und Brandenburg zentral, wo am Wochenende gewählt wird. Ist das der politische Standardsatz unserer Zeit?

Thomas Niehr: Dieser Satz weist auf ein Phänomen hin, auf das Phänomen des Populismus. Viele Menschen haben tatsächlich das Gefühl, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden. Vielen wird das auch eingeredet. Doch der Satz kommt so floskelhaft daher, dass ihn niemand mehr ernst nimmt.

Thomas Niehr, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft und Politolinguistik an der RWTH Aachen. (Foto: Peter Winandy; SZ)

Floskelhaft - macht das den Satz aus? Aus linguistischer Sicht?

Der Satz ist nicht falsch. Im Pflichtenheft eines jeden Politikers steht er zu Recht. Und trotzdem: Wenn man bestimmte Äußerungen mantraartig wiederholt, dann führt das dazu, dass sie nur noch als Leerformel wahrgenommen werden, als inhaltsleere Phrase.

Werkstatt Demokratie
:Klimakrise? Rechte Hetze? Ost-West? Stimmen Sie für Ihr Thema ab

Im SZ-Projekt Werkstatt Demokratie haben Sie die Wahl: Entscheiden Sie, was wir recherchieren sollen und worüber Sie diskutieren möchten.

Von Sabrina Ebitsch und Peter Lindner

Was ist das eigentlich, politische Sprache? Was ist ihr Ziel?

Zustimmungsbereitschaft zur eigenen Position zu erzeugen. Darum geht es. Von den eigenen Positionen, von den eigenen Lösungen, den eigenen Visionen zu überzeugen. Das Spannende daran ist: Es geht immer gleichzeitig darum, Sachpolitik zu machen und die eigene Macht zu erhalten. Politiker können nur agieren, wenn sie dazu durch die Wähler ermächtigt werden. Das ist das Spannungsverhältnis, in dem sie sich bewegen.

Und wie macht man das am besten? Was sind die sprachlichen Strategien?

Alle Politiker versuchen beispielsweise, sogenannte Hochwertwörter zu besetzen. Ein aktuelles Beispiel ist Nachhaltigkeit. Alle sind für Nachhaltigkeit. Was das aber genau bedeutet, das bleibt oft vage, da muss man schon genauer hinschauen. Für die FDP ist Nachhaltigkeit sicherlich etwas anderes als für Grüne. Aber alle versuchen, derartige Begriffe für sich zu reklamieren.

Das ist aber nicht neu.

Nein. Neu in den letzten Jahren sind die ständigen Tabubrüche. Diese Strategie verwenden nicht alle, das machen vor allem die AfD, die Populisten. Nach dem Motto: "Man wird ja wohl noch sagen dürfen ..." Da wird dann beispielsweise behauptet, über Migration dürfe man in diesem Land nicht reden: Dabei redet die AfD über wenig anderes. So wird der öffentliche Diskurs verschoben.

Gibt es diese "Sprechverbote", die meist von rechts beklagt werden, denn tatsächlich nicht?

Ich bezweifle, dass man das in ein Links-rechts-Schema pressen kann, glaube aber schon, dass es innerhalb von Diskursen einen Mainstream gibt. Wenn ich beispielsweise die Position vertreten würde, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei, dann hätte ich natürlich einen schweren Stand. Es gibt ja immer Rahmen, in denen wir uns argumentativ bewegen. Wenn ich die verlasse, also den Konsens über bestimmte Dinge infrage stelle, muss ich zumindest darauf gefasst sein, heftige Gegenreaktionen zu bekommen.

Das Ergebnis folgt in Kürze auf SZ.de. (Foto: Manuel Kostrzynski)

Und das immer zu Recht? Viele Menschen sind beispielsweise der Meinung: gendergerechte Sprache, das geht mir zu weit.

Das ist ein Thema, das die Menschen ganz offensichtlich bewegt. Und nicht wenige sagen: Es gibt halt Männer und Frauen und damit muss es auch gut sein. Über andere existierende Geschlechterkategorien wollen sie gar nicht erst nachdenken. Da spielt auch Überforderung eine Rolle, weil man das scheinbar nicht bedienen kann, was da von einem verlangt wird.

Ist die Angst vor der Überforderung nicht begründet?

Sprachwissenschaftler würden eher argumentieren, dass diese Angst insofern unbegründet ist, als ja niemand ernsthaft fordert, in allen Lebenslagen immer perfekt gendergerecht zu formulieren - wenn ich etwa mit meinen Kindern spreche oder auch am berühmten Stammtisch. Darum geht es nicht. Es geht um den öffentlichen Sprachgebrauch, dass zum Beispiel Behörden gendergerecht formulieren sollten - allein schon aus Gerechtigkeitsgründen.

Es existiert gerade das Gefühl einer wachsenden Brutalisierung der Sprache. Eine Art Aufrüstung der Redeweise.

Ich muss immer schmunzeln, wenn ich mich erinnere, wie es zu Zeiten von Strauß, Wehner und Brandt im Parlament zugegangen ist. Ich wage mal die Behauptung, dass wir das nicht mehr wollen, weil sich das gesellschaftliche Bewusstsein gewandelt hat und wir insgesamt politisch korrekter geworden sind. Andererseits sind die Debatten im Bundestag durch die Tabubrüche von rechts und die Reaktionen darauf wieder lebendiger geworden. Weil die etablierten Parteien sich natürlich genötigt fühlen, dem etwas entgegenzusetzen.

Das ist eine Seite. Die andere ist, dass die Debatten gesamtgesellschaftlich unversöhnlicher werden, polarisierter. Politische Gespräche werden schwieriger, weil die Fähigkeit, Ambivalenz zu ertragen, nachlässt. Wie soll man da noch Zustimmungsbereitschaft erzeugen?

Das ist eine schwierige Frage. Auf der einen Seite scheint das TINA-Prinzip - "there is no alternative" - die Leute nicht mehr zufriedenzustellen. Also die Argumentation mit sogenannten Sachzwängen. Aber auf der anderen Seite machen Populisten genau das. Trump sagt: "Ich weiß wie es geht, alle anderen sind Schwachköpfe, basta." Diese simple Rhetorik scheint für viele einen gewissen Reiz zu haben.

"Before I speak I have something important to say", hat Groucho Marx gesagt. Einfach was raushauen und schauen, was passiert. Scheint heute immer besser zu funktionieren.

Das ist ja eigentlich das Gegenteil von dem, was man sonst von politischer Kommunikation gewohnt ist: möglichst diplomatisch, sich absichern in alle Richtungen. Trump macht sich ja auch angreifbar. Ich finde das schon wirklich verblüffend, muss ich zugeben, wie lange das funktioniert.

SZ-Projekt Werkstatt Demokratie
:Mitmachen beim Bessermachen

Klimakrise, rechte Hetze, Ost-West-Konflikte: Welches Thema ist Ihnen am wichtigsten? Und wie können Lösungen aussehen? In der Werkstatt Demokratie der SZ suchen wir nach Antworten - mit Ihnen.

Von Peter Lindner und Sabrina Ebitsch

Glauben Sie, dass das eine Anomalie ist, die irgendwann wieder verschwindet?

Als denkender Mensch kann man nur hoffen, dass irgendwann wieder das rationale Argument zählt. Momentan scheint das zumindest bei weiten Bevölkerungskreisen außer Kraft gesetzt zu sein.

Die Blässe des Gedankens mit Lautstärke wettmachen: Ist an dieser Entwicklung die oft so floskelhafte Politikersprache nicht selbst schuld?

Das würde ich schon so sehen. Angela Merkel ist dafür ein wunderbares Beispiel. Sie drückt sich ja manchmal sehr verschwurbelt aus. Natürlich reißt das nicht zu Begeisterungsstürmen hin und provoziert offenbar lautstarke Gegenreaktionen.

Merkel hat das aber zu einer Stärke gemacht.

Werkstatt Demokratie
:Klimakrise? Rechte Hetze? Ost-West? Stimmen Sie für Ihr Thema ab

Im SZ-Projekt Werkstatt Demokratie haben Sie die Wahl: Entscheiden Sie, was wir recherchieren sollen und worüber Sie diskutieren möchten.

Von Sabrina Ebitsch und Peter Lindner

Sie macht das präsidial. "Keine Experimente" oder "Sie kennen mich" ist das Motto, mit dem sie um Vertrauen wirbt. Aber das ist natürlich auch nicht das reine Demokratieprinzip, wenn man über die Sache kaum mehr redet.

Wie beeinflusst das Sprechen der Politiker das Sprechen über Politik?

Man kann das Sprechen der Politiker und das Sprechen über Politik nicht klar trennen. Zur politischen Kommuninkation gehört eine ganze Bandbreite, zum Beispiel die Debattenrede, der Stammtisch, die Demo, die Medienberichterstattung über Politik. Und da gibt es ein Problem, das man sich immer wieder klarmachen muss: Nicht jeder kann über alles gleich gut informiert sein. Nehmen wir das Beispiel Rentenpolitik. Ich könnte auch nicht im Detail sagen, wie sich die Programme der einzelnen Parteien in diesem Punkt unterscheiden. Als Normalbürger kann man gar nicht den Überblick über die gesamte Agenda haben. Von unseren Politikern erwarten wir aber, dass man die nachts um drei Uhr wecken kann, und dann sollen sie sprechfähig sein - zu welchem Thema auch immer.

Außerdem gibt es Missverständnisse. Zum Beispiel, dass in Bundestagsdebatten Entscheidungen fallen. Bundestagsdebatten dienen eher dazu, Entscheidungen, die vorher gefallen sind, nochmals für die Öffentlichkeit zu begründen, die Positionen transparent zu machen. Aber natürlich fallen die Entscheidungen vorher in den Ausschüssen. Solche Missverständnisse führen zu Verdruss.

Sie sprechen damit auch die Komplexität der modernen Gesellschaft an. Oft hat man das Gefühl, dass genau deshalb oft nur noch über das Reden geredet wird, weil das einfacher ist. Da geht es nicht mehr um die Sache, sondern um Selbstbespiegelung.

Das Problem sehe ich. Es entsteht auch aufgrund der Schnelllebigkeit der Medien. Es gibt ja bei TV-Interviews die berühmten "Einsdreißig". Erklären Sie mal in eineinhalb Minuten Ihr Rentenkonzept und warum das besser ist als das Ihres politischen Gegners. Das schreit ja geradezu nach platten Formeln. Und dann kommen noch die sozialen Medien dazu ...

Mit Lautsprecherei immunisiert man sich ja auch gegen Zweifel, und der, der keine Zweifel äußert, beherrscht dann die politische Debatte. Man gewinnt so gegen alle, die wirklich diskutieren wollen. Was kann man dagegen tun?

Die Frage ist eher: Wer soll etwas dagegen tun? Am ehesten doch die seriösen Medien. Wobei die Qualitätspresse ein Problem hat. Einerseits soll sie ja objektiv und vollständig berichten. Doch sie gerät auch immer in die Gefahr, über jedes Stöckchen zu springen, das man ihr hinhält. Wenn Herr Poggenburg, seinerzeit noch AfD-Politiker, von "Kümmelhändlern" oder "Lehmhütten" spricht, beherrscht er die Schlagzeilen. Selbst wenn die Medien das nur zitierend wiederholen, bekommen diese Leute eine Bühne. Eine Woche nach der Rede hat Poggenburg in einem Facebook-Eintrag geschrieben: Haben wir nicht genau dann alles richtig gemacht, wenn das passiert, was jetzt nach meiner Rede passiert ist?

Wie können Medien das verhindern?

Medien können nur dann verhindern, sich ungewollt zum Sprachrohr zu machen, wenn sie das Gesagte gleichzeitig kommentierend begleiten und einordnen.

Aber was kann man im Alltag tun? Damit nicht immer der Lauteste gewinnt?

Ich habe ja immer noch den Glauben - den muss ich als Wissenschaftler auch haben - an das, was Habermas so schön benannt hat: den zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Und eine Strategie, wenn man sich mit allzu einfachen Lösungen konfrontiert sieht, könnte beispielsweise sein, dass man ganz nüchtern auf die Konsequenzen hinweist. Und darauf, dass bestimmte Dinge einfach falsch sind. Wenn wir beim Thema Migration bleiben: Da wird ja immer gerne mit der Kriminalstatistik argumentiert. Dann kann man einfach mal auf die Fakten hinweisen und darauf, dass solche Statistiken oft weniger eindeutig sind als es zunächst den Anschein hat. Oft werden auch nur Forderungen erhoben, wenn man aber nach den Konsequenzen fragt oder Argumente hören will, kommt nichts mehr.

Der Liberalismus, das zeigt die Geschichte seit der Antike, ist angewiesen auf rhetorische und logische Fertigkeiten.

In der Sprachkritik lautet das Schlagwort hier Angemessenheit: Je nach Kontext, je nach Gesprächssituation, je nach Gesprächspartner muss man sich bemühen, angemessen zu reden und zu argumentieren. Außerdem muss ich natürlich bereit sein, meine Position zu revidieren, wenn mein Gegenüber die besseren Argumente hat. Ich muss mich auf die gegnerischen Argumente einlassen, diese unvoreingenommen prüfen und dann mittels meiner Vernunft eine Entscheidung treffen.

Das klingt gut, aber nicht unbedingt realistisch.

So geht es natürlich in der Politik tatsächlich oft nicht zu. Weil es nicht einfach um die beste Lösung geht, sondern auch um Macht. Menschen handeln und entscheiden außerdem nicht immer rational. Und es kommen ethische Fragen ins Spiel, Fragen, bei denen es schlicht unterschiedliche Positionen gibt. Bei einem Thema wie Sterbehilfe kann ich mit guten Gründen sehr unterschiedlicher Meinung sein. Das muss ich dann akzeptieren und darf Andersenkende nicht gleich verteufeln.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Projekt Werkstatt Demokratie
:Mitmachen beim Bessermachen

Klimakrise, rechte Hetze, Ost-West-Konflikte: Welches Thema ist Ihnen am wichtigsten? Und wie können Lösungen aussehen? In der Werkstatt Demokratie der SZ suchen wir nach Antworten - mit Ihnen.

Von Peter Lindner und Sabrina Ebitsch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: