Süddeutsche Zeitung

Regierungskrise in Italien:Geschichte eines seltsamen Bündnisses

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Balbierer und Christian Simon

Die Regierung aus Cinque Stelle und Lega war nach den italienischen Parlamentswahlen am 4. März 2018 noch gar nicht im Amt, da entbrannte bereits der erste Machtkampf zwischen beiden Parteien. "Wir sind die absoluten Gewinner", sagte Fünf-Sterne-Spitzenkandidat Luigi Di Maio am Montag nach der Wahl angesichts des Ergebnisses von 32,6 Prozent.

Als stärkste Kraft pochte seine Partei auf das Amt des Ministerpräsidenten. Auch Lega-Chef Matteo Salvini erhob Anspruch auf die Führung des Landes. Die Rechtspopulisten hatten mit knapp 18 Prozent ihr bislang stärkstes Ergebnis auf nationaler Ebene geholt und Salvini versprach, das Land "von der Unsicherheit und Instabilität zu befreien". Einer Zusammenarbeit mit Di Maio stand Salvini skeptisch gegenüber. Es werde keine "seltsamen Bündnisse" geben.

Was folgte, war wochenlanger Streit über mögliche Koalitionen, sogar Neuwahlen schienen möglich. Am 18. Mai einigten sich Di Maio und Salvini nach harten Verhandlungen doch noch auf das "seltsame Bündnis". Da keiner der beiden dem anderen das Amt des Ministerpräsidenten gönnte, wählten sie den parteilosen Rechtswissenschaftler Giuseppe Conte an die Regierungsspitze. Er wurde am 23. Mai mit der Regierungsbildung beauftragt.

Mai 2018: die Koalition steht erstmals fast vor dem Aus

Doch der nächste Streit ließ nicht lange auf sich warten. Noch bevor die Regierung vereidigt war, drohte sie bereits an der Ernennung des Finanzministers zu scheitern. Staatspräsident Sergio Mattarella weigerte sich am 27. Mai, den Euro- und Deutschland-Kritiker Paolo Savona als Finanzminister seines hoch verschuldeten Landes zu akzeptieren.

In der Europäischen Union befürchtete man, die Populisten könnten einen Austritt Italiens aus der EU planen. Die Koalition aus Lega und Fünf Sterne hing am seidenen Faden - und hielt. Am 31. Mai schlugen die Parteien den moderaten Giovanni Tria als Finanzminister vor, am 1. Juni wurde das neue Kabinett vom Staatspräsidenten vereidigt.

Sommer 2018: Salvini blockiert die Aufnahme geretteter Flüchtlinge

Als im Sommer 2018 die Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer entbrannte, knirschte es wieder in der italienischen Regierung. Salvini, mittlerweile Innenminister, wehrte sich gegen die Aufnahme geretteter Migranten und verweigerte Hilfsorganisationen die Einfahrt in italienische Häfen. Einmal mehr intervenierte Staatspräsident Mattarella und erhielt für seine Forderung, die Blockade zu beenden, Unterstützung von Vize-Premier Luigi Di Maio. Ohnehin liegen die fremdenfeindliche Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung beim Thema Migration weit auseinander.

In die Schlagzeilen geriet die italienische Blockadehaltung gegen Seenotretter wieder im Juni 2019, als Carola Rackete, Kapitänin des Schiffs Sea-Watch 3, Flüchtlinge trotz des italienischen Verbots auf die Insel Lampedusa brachte. Die Deutsche wurde verhaftet und von der Staatsanwaltschaft befragt. Salvini beschimpfte die Kapitänin als "Verbrecherin".

Wieder Krach vor der Wahl der neuen EU-Kommissionspräsidentin

Die Gräben zwischen beiden Partnern rissen immer häufiger auf. So auch im Juli, als das Europäische Parlament die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen zur neuen Kommissionspräsidentin wählte. Während die Cinque Stelle der Deutschen im Parlament ihre Stimme gaben, lehnte die Lega von der Leyen ab. Salvini drohte mit Neuwahlen. Daraufhin zeigte sich Di Maio schon fast resigniert: "Um die Wahrheit zu sagen, ich bin es ein wenig satt. Ich will weitermachen, aber wenn die Lega die Regierung stürzen will, sollte sie es klar sagen."

Der Lega-Chef profiliert sich mit harter Haltung

Während seiner ganzen bisherigen Amtszeit als Innenminister inszeniert sich Salvini als harter Hund, er provoziert mit heftiger Europakritik und sorgt fast täglich für Schlagzeilen. Rassismus nennt er eine "Erfindung der Linken" und Straftaten von Migranten sind für ihn "der einzige wahre Alarm". Er versucht, den Regierungspartner in den Schatten zu stellen und stichelt gegen das Prestigeobjekt der Fünf Sterne - ein Grundeinkommen für Italiens Bürger. "Das Bürgergeld gefällt einem Italien, das wir nicht mögen", sagt der Lega-Politiker Giancarlo Giorgetti im Februar 2019. Lega-Chef Salvini lässt das Gesetz im Senatsausschuss sogar umschreiben, um die Zahl der Berechtigten einzuschränken. In Meinungsumfragen und bei Regionalwahlen gewinnt die Lega, während Di Maios Sterne sinken.

Der Streit eskaliert wegen einer Bahnstrecke

Zum Stein des Anstoßes ist jetzt eine geplante Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke zwischen dem italienischen Turin und dem französischen Lyon geworden. Bereits im März gab es Streit über das Projekt, auch wenn die Bauarbeiten teilweise schon begonnen haben und Frankreich bereits kräftig investiert hat. Unter anderem soll ein Dutzende Kilometer langer Tunnel durch die Alpen gebohrt werden. Die Fünf-Sterne-Bewegung hält das Projekt für umweltschädliche Geldverschwendung, die Lega hofft auf positive Effekte für die italienische Wirtschaft. Zu diesem Zeitpunkt bemühen sich die Parteien noch, die Gefahr eines Koalitionsbruchs kleinzureden.

Salvini: Diesmal ist etwas kaputt gegangen

Am Mittwoch haben sich die Fünf Sterne im römischen Senat erneut gegen die Bahnstrecke ausgesprochen - Salvini nutzt seine Chance. In den vergangenen Monaten sei in der Koalition "etwas kaputt gegangen", sagt der Lega-Chef am Mittwochabend.

Sollte es jetzt zu Neuwahlen kommen, könnte seine Partei gestärkt hervorgehen, er selbst gar Ministerpräsident werden: In den Umfragen liegt die Lega inzwischen deutlich vor der Konkurrenz. Doch selbst wenn Präsident Mattarella dem mit einer Regierungsumbildung zuvorkäme: Für die Rechten könnten zusätzliche Ministerposten oder ein genehmerer Koalitionsvertrag herausspringen.

Bisher rauften sich die beiden Parteien immer wieder zusammen. Fraglich ist, ob das auch nach den harten Worten Salvinis nun weitergehen kann. In einer Erklärung am Mittwochabend forderte er Regierungschef Conte auf, "das Wort schnell an die Wähler zurückzugeben". Mit Streitereien wie in den vergangenen Wochen weiterzumachen, sei "zwecklos".

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