Süddeutsche Zeitung

Politik in Italien:Die Italiener müssen ihre Republik neu erfinden wollen

Regierungen sind in Rom schon oft zerbrochen und immer ging es doch irgendwie weiter. Doch diesmal ist schon die Regierungsbildung gescheitert. Für manche Parteien scheint diese nicht einmal das Ziel zu sein.

Kommentar von Kia Vahland

"Sind nicht auch wir dabei, so denken sich die Kerle noch die Republik aus. Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert." Mit diesem Satz beschreibt der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman "Der Leopard" die Ängste der alten aristokratischen Eliten, die Ende des 19. Jahrhunderts die neuen bürgerlichen Zeiten fürchten - und sie doch in ihrem Sinne zu gestalten wissen.

Seit Erscheinen des Romans im Jahr 1958 war es in Italien oft so: Regierungen bildeten sich schnell und zerbrachen noch schneller, stets aber blieb mehr oder weniger alles beim Alten. Die Bürokratie gedieh, die Korruption und Schattenwirtschaft auch, und doch ging es immer irgendwie weiter. Insofern erzeugt die Nachricht, dass die Regierungsbildung in Italien nun gescheitert ist, bei vielen Resteuropäern nur Achselzucken.

Doch diesmal ist die Lage ernst. Erstmals ist ein italienisches Parlament nicht in der Lage, überhaupt eine Regierung zu bilden, die dann zerbrechen kann. Die Vertreter der nun tonangebenden populistischen Parteien Lega und Cinque Stelle verweigern sich einer Grundtugend parlamentarischer Demokratie: reden, verhandeln, einen gemeinsamen Nenner finden, und sei er noch so bemüht.

Nun sieht es so aus, als wollten sie den Staatspräsidenten Sergio Mattarella daran hindern, bis Ende des Jahres wie schon früher in solchen Fällen eine Übergangsregierung zu bilden aus sogenannten Technikern, also unabhängigen Persönlichkeiten und Experten. Diese könnte die Geschäfte führen, Italien in Europa vertreten, über den Haushalt entscheiden und vielleicht auch ein neues Wahlgesetz in die Wege leiten.

Eine solche Regierung wäre mit dem Makel behaftet, nicht demokratisch legitimiert zu sein, deshalb kann und darf sie sich nicht krallen an Amt und Würden. Aber sie könnte für einen kurzen, vorher definierten Zeitraum dafür sorgen, dass der Staat handlungsfähig bleibt bis hin zu den notwendigen Neuwahlen.

Eine funktionierende Regierung? Offenbar gar nicht das Ziel

Dass die neuen großen italienischen Parteien meinen, sich auch solch pragmatischen Lösungen verweigern zu können, zeugt davon, wie sehr sich Grundannahmen des Politischen gerade ändern. Es geht den Populisten gar nicht darum, Verantwortungsgefühl für das Land zu demonstrieren und ihre Mitbürger, das Ausland und die Märkte zu beruhigen. Sondern sie wollen dessen reale oder vermeintliche Missstände dramatisieren, um sie anzuprangern.

Eine funktionierende Regierung ist in dieser destruktiven Logik gar nicht das Ziel, denn nur die angebliche Dysfunktionalität könnte frustrierte Bürger auch nächstes Mal wieder in den Fatalismus und die Protestwahl treiben.

Damit das, was gut ist in Italien und eben doch funktioniert, bleiben und besser werden kann, braucht es etwas Neues: den Willen der Italiener, die Republik noch einmal zu erfinden, als Ort nicht der Schaukämpfe und Zerwürfnisse, sondern konstruktiver, lösungsorientierter Debatten.

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