Politik in Frankreich:So hat sich Macrons Russlandpolitik verändert

Politik in Frankreich: "Nicht naiv": Emmanuel Macron sieht sich inzwischen als wichtigster Ansprechpartner Wladimir Putins in Europa.

"Nicht naiv": Emmanuel Macron sieht sich inzwischen als wichtigster Ansprechpartner Wladimir Putins in Europa.

(Foto: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP)

Der französische Präsident hat schon immer geglaubt, dass Frankreich und Europa eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielen sollen. Jetzt will er es auch im Ukraine-Konflikt unter Beweis stellen.

Von Thomas Kirchner und Nadia Pantel, München/Paris

Der Präsident reist allein, aber er nimmt die anderen mit. Das ist die Botschaft, die an diesem Wochenende vom Élysée-Palast verbreitet wurde. Emmanuel Macron wird am Montag zu seinem russischen Kollegen Wladimir Putin fliegen und am Dienstag dann zum ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Die Zeit davor nutzte der französische Präsident zu innereuropäischen Absprachen. Am Samstag telefonierte er mit dem britischen Premierminister Boris Johnson, mit dem lettischen Premierminister Krišjānis Kariņš und außerdem auch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Macrons Team fasst die Telefonate alle mit derselben Formel zusammen: Der Präsident habe die "Notwendigkeit der Deeskalation und des Dialogs" in der Ukraine-Krise betont. Und: Man bleibe mit allen Partnern und Verbündeten in engem Kontakt. Für den Élysée geht es darum, Macron als Verhandler mit Rückendeckung zu präsentieren.

Gleichzeitig bleibt Macron der Rolle treu, die er seit 2017 für sich gefunden hat. Er ist angetreten als Politiker, der führt, der zeigt, wo es langgehen soll. Er versucht, das Führungsvakuum zu füllen, das er während der Amtszeit Donald Trumps im Westen insgesamt erkannt hat, und besonders in Europa. Seinem Politikstil entspricht es, dafür auch ins Risiko zu gehen. "Disrupteur" nennt ihn Isabelle Lasserre in ihrem neuen Buch über Macrons Außenpolitik: also einen, der stört, umwälzt, die Dinge in Bewegung bringt. Einen, der "die Löcher füllen will, die sich durch die Neuformierung der geopolitischen Kräfteverhältnisse aufgetan haben".

Putin war auch in Macrons Sommerresidenz zu Besuch

In der Russland-Politik hieß das für Macron, andere Wege zu gehen, eine eigene Beziehung zu Putin aufzubauen. Er etablierte einen gesonderten Sicherheitsdialog mit Moskau, redete viel mit dem russischen Präsidenten. 2017 lud er Putin nach Versailles ein und nutzte dort Frankreichs royale Kulisse, um dem Treffen die Aura eines historischen Moments zu geben. 2019 besuchte Putin Macron dann in dessen Sommerresidenz an der Côte d'Azur.

Er sei trotz dieser Avancen "nicht naiv", erklärte Macron seine Russlandpolitik. Und tatsächlich hat Macron von Anfang an zu spüren bekommen, was für ein skrupelloser Gegner Putin ist. Der unterstützte 2017 vor der Präsidentschaftswahl nicht nur offen Macrons rechtsextreme Konkurrentin Marine Le Pen, das Putin freundlich gesinnte Nachrichtenportal Sputnik verbreitete zudem das Gerücht, Macron sei homosexuell und lebe in einer Scheinehe. Außerdem wurden die E-Mail-Konten von Macrons Wahlkampfteam von Russland aus gehackt, um interne Informationen zu leaken.

All dies hielt Macron nicht davon ab zu glauben, dass Putins "langfristiges Projekt nichts anderes als eine Partnerschaft mit der EU" sein könne. So formulierte es Macron 2019 in einem Interview mit dem Economist. "Welche anderen Optionen hat Putin?", fragte Macron und beantwortete die Frage selbst, als könnte er in Putins Kopf schauen. Dieser brauche ein "politisches Gleichgewicht mit Europa" und "Respekt". Den nötigen Freiraum für sein Zugehen auf Putin hat Macron, weil Frankreich wirtschaftlich und energiepolitisch nicht annähernd so abhängig von Moskau ist wie Deutschland. Und weil das Land traditionell etwas Abstand zur Nato hält. Dass sich Macron energisch gegen eine EU-Erweiterung auf dem Balkan einsetzte, wurde in Moskau gern gesehen.

Macron hat dieser Kurs viel Kritik eingetragen, auch weil er gleichzeitig, in demselben Economist-Interview, die Nato diskreditierte ("hirntot"). Der Vorwurf lautete, dass in ihm letztlich der Gaullist stecke, der wie die meisten seiner Vorgänger vor allem von französischen Interessen geleitet wird; dass ihm, was Russland betrifft, nicht zu trauen sei.

Inzwischen hat sich Macrons Russlandbild nach Ansicht von Beobachtern deutlich gewandelt, es ist, wie es in Paris heißt, "realistischer" geworden. Bewirkt hat diese Ernüchterung zum einen Putin selbst, dessen Auftreten in Europa und weltweit Macron nicht mehr hinnehmen will. Zumal sich Aktionen wie die Aktivitäten der kreml-nahen russischen Wagner-Söldner in Mali direkt gegen französische Interessen richten. Zum anderen hat Paris gemerkt, wie sehr sich osteuropäische Nato- und EU-Partner wie die baltischen Staaten oder Polen von einer französisch-russischen Sonderbeziehung irritiert fühlen.

Macron hat darauf reagiert, indem er die Russlandpolitik "europäisieren" und wieder stärker mit der Nato synchronisieren will. In enger Zusammenarbeit mit den USA und Großbritannien. In einer europäischen Führungsrolle sieht sich Macron dabei mehr denn je, das erklärt seinen besonderen Einsatz in der Russland-Krise. Angela Merkel, erste europäische Ansprechpartnerin Putins bei allen Krisen der vergangenen Jahre, ist weg. Zudem hat Macron als amtierender EU-Ratspräsident auch das nötige Amt, um eine europäische Perspektive auf die Ukraine-Krise zu vermitteln. Gleichzeitig kann er durch seine aktive Vermittlerrolle in dem aktuellen Konflikt vormachen, was er schon lange fordert: Europa kann und soll, wenn es nach Macron geht, seine strategische Unabhängigkeit in geopolitischen Fragen stärken.

Die Rechten werfen Macron vor, auf internationaler Bühne "nicht existent" zu sein

Macrons Wille, Putins Ambitionen zu stoppen, ist offensichtlich. Insbesondere lehnt er Putins Vorstellung eines "Jalta-Europas" ab, also einer Aufteilung in Einflusssphären, wie während des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten auf der Krim verabredet. Schon im November drohte er Putin mit "ernsthaften Konsequenzen", sollte dessen Land in der Ukraine einmarschieren. Zudem bietet Frankreich an, Soldaten nach Rumänien zu schicken, um die Nato dort zu stärken. In einem Interview kurz vor der Reise nach Moskau nährte der Präsident allerdings wieder Zweifel an seinen Intentionen. Russland gehe es nicht um die Ukraine, sagte er, sondern darum, "die Regeln der Koexistenz mit EU und Nato zu klären". Die russischen Sicherheitsbedenken seien legitim.

Im Wahlkampf vor der Präsidentschaftswahl im April dürfte es Macron helfen, dass die Wähler ihn als einen Politiker mit internationalem Gewicht erleben. Wie unangenehm seinen Gegnern ein möglicher Erfolg des Außenpolitikers Macron wäre, bewies der Parteichef der rechtsbürgerlichen Républicains, Christian Jacob. In einem Fernsehinterview behauptete Jacob am Freitag, Macron sei "auf der internationalen Bühne völlig inexistent" und habe in der Ukraine-Krise "keine einzige Initiative gezeigt".

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