Analog ist dem Wähler die politische Landschaft Deutschlands vertraut - digital ist sie weniger überschaubar. Aber Facebook ist ein Faktor im Machtgefüge der Republik geworden, zumal in diesem Wahljahr. Wie wird in diesem sozialen Netzwerk Politik gemacht und welchen Einfluss übt es auf die Bundestagswahl aus? Die SZ hat über mehrere Monate in einer Datenrecherche eine Million öffentliche Likes von Nutzern analysiert, die auf den Facebook-Seiten der Parteien agierten - mit diesen Ergebnissen:
Es gibt keine Filterblasen, aber die AfD ist weitgehend isoliert
Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten gilt die Filterblase als bedrohlich - für den Einzelnen und für das demokratische Miteinander. Der Internetaktivist Eli Pariser warnte, dass Nutzer von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken allein auf ihre persönlichen Vorlieben zugeschnittene Informationen präsentiert bekämen, ohne in ihrer Filterblase mit anderen Meinungen konfrontiert zu werden.
Derartige hermetisch abgeschottete Filterblasen existieren der Datenauswertung zufolge aber in der deutschen Parteienlandschaft auf Facebook praktisch nicht. Denn wie die spinnennetzartigen Verbindungen in der Netzwerk-Grafik ( oben) zeigen, gibt es Beziehungen zwischen fast allen Milieus um die Parteien. Allein die Sphäre der Alternative für Deutschland (AfD) liegt auf der rechten Seite etwas im Abseits und wirkt vergleichsweise isoliert.
Das ist auch deswegen aussagekräftig, weil die räumliche Nähe von Knotenpunkten im Netzwerk sich nach der Anzahl der Verbindungen richtet: Je näher zwei Punkte, hinter denen jeweils Facebook-Seiten stehen, einander sind, desto mehr direkte Verbindungen gibt es zwischen ihnen. Die Facebook-Seite von Horst Seehofer etwa wird dicht neben der CSU positioniert, weil viele Nutzer beide Seiten gelikt haben.
So ergibt sich auf der rechten Seite der Grafik ein Ballungsraum, der sich aber mit dem Bild der Echokammer besser fassen lässt als mit dem der Filterblase. Mit Echokammer ist ein abgegrenzter Bezugsraum gemeint, in dem Meinungen stetig widerhallen und verstärkt werden. "Dieser Begriff ist realitätsnäher", sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Technischen Universität München. "Informationen bewegen sich innerhalb dieser Echokammern schneller. Die Meinung der eigenen Gruppe ist präsenter als die Gegenmeinung."
Es passt in dieses Bild, dass sich in der Auswertung der 100 im AfD-Umfeld beliebtesten Facebook-Seiten weit mehr als die Hälfte, insgesamt 62, bei keiner anderen Partei finden. Während es bei anderen Parteien Querverbindungen zu potenziellen Koalitionspartnern oder auch zum politischen Gegner gibt, rangieren bei der AfD die eigenen Landesverbände oben. Es ist ein Indikator dafür, wie eng die Verbindungen innerhalb des Milieus und wie groß die Vorbehalte gegenüber dem Rest des politischen und medialen Systems sind. Man setzt in AfD-Kreisen stärker auf das Netz, um Inhalte zu transportieren und Anhänger zu mobilisieren. Das sei auch deswegen heikel, weil Facebook ursprünglich als soziales Netzwerk angelegt worden sei und nicht für politische Zwecke, sagt Hegelich. So könne es leicht missbraucht werden.
Der Mitte-links-Ballungsraum reicht von der CDU bis zur Linkspartei
Der "Mainstream", wie sich das AfD-Umfeld ausdrückt, also die gesellschaftlich weithin akzeptierten Mehrheitsmeinungen und ihre Repräsentanten, zeigt sich in der Facebook-Grafik als ein dichtes Gewebe, um das sich fünf Parteien gruppieren: CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke. Am Rand dieses Ballungsraums liegt die CSU, die gleichsam als Brücke zum rechten Spektrum rund um die AfD fungiert.
Was diesen Ballungsraum prägt, sind Seiten, auf die sich bis auf AfD-Anhänger alle einigen können. Diese Facebook-Seiten sind vor allem die der großen Medien (etwa "Tagesschau", Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung) oder Satireseiten ( Postillon, "Heute-Show"). Sie landen in den Milieus fast aller Parteien weit oben in der Aufstellung der beliebtesten Seiten. Einen ähnlichen Stellenwert haben der Facebook-Auftritt der Kanzlerin, der Bundesregierung und des Ex-US-Präsidenten Barack Obama. "In der gesellschaftlichen Mitte gibt es keine parteipolitisch orientierte Auswahl von Informationen", sagt Katharina Kleinen-von Königslöw, die an der Universität Hamburg zu digitalisierter Kommunikation forscht. Sprich: Der Grünen- oder CDU-Wähler konsumiert kein gezielt linksliberales oder konservatives Medienmenü, sondern bedient sich am Büfett.
Gesellschaftspolitische Bindemittel sind darüber hinaus Konsum (etwa die Seite von Amazon) und Fußball, wobei Borussia Dortmund und die Nationalmannschaft hoch im Kurs stehen. Auch bei diesen unpolitischen Seiten muss jedoch das rechtspopulistische Milieu ausgenommen werden, dessen inhaltlicher Fokus stark von Migrationspolitik bestimmt wird.
Links dominiert Altruismus, rechts herrschen klare Feindbilder vor
Im linken Teil des Netzwerks ist die Stoßrichtung klar: für Toleranz, Menschenrechte, gegen rechts. Wenn es um gesellschaftliches Engagement geht, rangieren bei Grünen und Linken Facebook-Seiten wie "Laut gegen Nazis", Pro Asyl und Amnesty International Deutschland weit oben. In der Tendenz sieht das bei SPD-Nutzern ähnlich aus, hier kommt noch eine ausgeprägte Europa-Orientierung dazu.
Das rechte Lager auf Facebook definiert sich dagegen über Ablehnung. Das ist besonders augenfällig bei populären Seiten wie "Multikulti? Nicht mit uns" oder "Bürger sagen Nein". Man nährt Ängste vor "Terrorimport" und "asylbetrügenden Mördern, Vergewaltigern und Gewalt-Verbrechern". AfD-nahe Facebook-Nutzer haben Feindbilder wie den Islam und die angebliche "Lügenpresse". Studien über die Anhänger der Partei in der analogen Welt weisen in eine ähnliche Richtung: Politisches Engagement müsse nicht automatisch konstruktiv sein, betonen die Autoren der Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass AfD-Anhänger in "nahezu allen Dimensionen rechtsextremer und menschenfeindlicher Einstellungen den höchsten Zustimmungswert" erreichen. Mit Kampfbegriffen wie "Asylchaos", "EU-Krise" oder "Merkel muss weg" sammle die Partei wie ein Staubsauger die Unzufriedenen ein und betreibe mit den Mitteln des Tabubruchs eine Politik der Feindbilder.