An diesem Dienstag unterzeichnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron in Aachen einen Vertrag, mit dem sie die deutsch-französische Freundschaft offiziell erneuern und vertiefen wollen. 56 Jahre nachdem Kanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle den ersten Élysée-Vertrag unterzeichneten. Ein Gespräch mit dem Philosophen Wilhelm Schmid, 65, über die Frage, ob es Freundschaft zwischen Staaten geben kann.
SZ: Von de Gaulle stammt der Ausspruch, wonach Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen haben. Was halten Sie davon?
Wilhelm Schmid: Ich fürchte, das stimmt. Ich überlege ohnehin immer, was diese deutsch-französische Freundschaft sein soll. Ist es eine Nutzenfreundschaft oder eine wahre Freundschaft? Die Unterscheidung geht auf Aristoteles zurück. Geht es also um den wechselseitigen Nutzen oder ist der eine wirklich am anderen interessiert? So eine wahre Freundschaft kann auch nicht von Missstimmigkeiten beeinträchtigt werden.
Die gemeinsame Vergangenheit, die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ist eine schöne Geschichte. Kanzler Helmut Kohl und Präsident François Mitterrand standen Hand in Hand in Verdun. Spricht das nicht für eine wahre Freundschaft zwischen Staaten?
Nein. Wahre Freundschaften werden nicht dadurch bestärkt, dass es schöne Momente gibt, sondern dass sie schwierige Zeiten durchstehen. Das wird vor allem dadurch möglich, dass viele Menschen in diesen Staaten miteinander befreundet sind. Dann kommt es auch nicht so sehr auf die aktuelle Politik an.
Auch ich habe einen engen französischen Freund, wir diskutieren sehr viel über die Politik unserer Länder und wir haben uns darüber auch schon entzweit. Aber wir haben uns auch wieder gefunden. Das ist wahre Freundschaft. Und da das Millionen Menschen, Deutsche und Franzosen, so miteinander halten, ist mir nicht bange um diese Beziehung.
Was können Politiker für die Freundschaft zwischen beiden Ländern tun?
Politik kann eine Initialzündung geben. Und das ist die wirklich historische Leistung von Adenauer und de Gaulle. Dazu musste man erst mal in der Lage sein. Allerdings gilt auch hier: Es gab viele historische Erfahrungen, die gezeigt haben, dass diese beiden Länder sich unendlich weh tun können - und wenn das aufhören soll, müssen sie sich miteinander befassen. Hier kann die Politik ansetzen.
Was meinen Sie konkret?
Beim damaligen Élysée-Vertrag war das der Fall. Da wurde auch das deutsch-französische Jugendwerk mit begründet, es sind eine ganze Reihe von Städtepartnerschaften entstanden. Vor allem die Jugend mit einzubeziehen, hat sich ganz hervorragend bewährt. Wenn Sie als junger Mensch in das jeweils andere Land kommen und freundliche Aufnahme finden, prägt sich das ein fürs ganze Leben. Es geht kein Weg daran vorbei, dass die Menschen selbst sich engagieren.
Merkel und Macron inszenieren ihr persönliches Verhältnis als innig und vertraut - kann man von einer Freundschaft sprechen?
Ja. Wobei für Politiker selbstverständlich gilt: Sie haben Interessen im Sinn, und die Freundschaft auf den Lippen.
Welche Gefahren sehen Sie für die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland?
Freundschaft steht in Frage, wenn es um Machtverschiebung zu gehen beginnt. Und wenn die Ungleichheit zwischen den Freunden zunimmt. Das sind zwei Probleme, mit denen die deutsch-französische Beziehung zu tun hat. Deutschland ist mächtiger geworden, und die Menschen haben wirtschaftliche Unterschiede zu spüren bekommen. Ich bin aber relativ sicher, dass in der deutschen Regierung ein Bewusstsein dafür da ist.
Kann der neue Élysée-Vertrag zur Bekräftigung der Freundschaft beitragen oder ist das nur Inszenierung?
Das ist eine Sache für die Lippen.
Von Ihnen stammt der Begriff der Selbstfreundschaft. Kann man diesen auf eine Gesellschaft übertragen?
Unbedingt, ja. Die Voraussetzung für Freundschaft, das sagte schon Aristoteles, ist Selbstfreundschaft. Das gilt auch für ganze Länder. Seit Deutschland besser mit sich selber zurechtkommt, kann es auch Freund für andere sein. Ein Land, das in sich zerrissen ist, wie es die Deutschen einmal waren, wie es jetzt die Briten und die Amerikaner sind, hat auch große Schwierigkeiten, sich anderen zuzuwenden.