Süddeutsche Zeitung

Coronakrise:Politik dämpft Hoffnung auf Lockerung

Bund und Länder beraten darüber, wie Gottesdienste und Schulunterricht aussehen und wann Lokale wieder öffnen können. Das Kanzleramt hält nun individuelle Regelungen für möglich.

Von Kristiana Ludwig, Berlin, und Lisa Schnell

Seit diesem Montag gilt in fast ganz Deutschland die Maskenpflicht, nun beraten Bundesregierung und Bundesländer über das weitere Vorgehen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Donnerstag mit den Regierungschefs der Länder unter anderem über einen Vorschlag diskutieren, wie künftig wieder Messen stattfinden könnten. In den Gotteshäusern könne man etwa Abstandsregeln und eine Begrenzung der Teilnehmerzahl vorschreiben oder auch den Gesang einschränken. Mehrere Religionsgemeinschaften hatten im Vorfeld Schutzkonzepte erarbeitet, in denen sie "jeden Teil ihrer Liturgie" überprüft hätten, sagte ein Regierungssprecher.

Merkel hatte allerdings bereits angedeutet, dass sie in dieser Woche noch keine Lockerungen beschließen wolle. Erst am 6. Mai könnten Entscheidungen fallen. Auch der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), sagte am Montag, man werde noch "die nächsten zwei Wochen abwarten und die Infektionszahlen beobachten müssen, bevor man etwa über Grenzöffnungen entscheiden könne. "Wir brauchen jetzt eine Strategie für einen gemeinsamen Neustart des Tourismussektors in der EU", erklärte er nach einer Videokonferenz mit seinen EU-Kollegen. Ein einheitliches Vorgehen bei Entschädigungen und Gutscheinen für ausgefallene Pauschalreisen fehlt noch. Wegen der Pandemie und geschlossener Grenzen sind überall die Buchungen eingebrochen, und noch ist unklar, ob man im Sommer in die Feriengebiete Europas fahren kann.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte ebenfalls, dass es Zeit brauche, um die Wirkung von Lockerungen auf die Zahl der Corona-Infizierten abschätzen zu können. Den Gesprächstermin am Donnerstag nannte auch er "zu früh". Allerdings musste Bayern nach einer scharfen Rüge des Verwaltungsgerichtshofs seine Einschränkungen für den Einzelhandel nun doch ändern: Auch große Geschäfte dürfen ab sofort wieder öffnen, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter beschränken. Der bayerischen Gastronomie könne man Söder zufolge Ende Mai mehr Freiheit ermöglichen. Bis spätestens kommende Woche wolle er weitere Konzepte für die Normalisierung des Lebens erarbeiten. Bis Pfingsten solle etwa jeder Schüler mindestens einmal wieder eine Schule von innen gesehen haben. In Altenheimen erwägt Söder, ein Besuchsrecht von einer Person pro Bewohner einzuräumen. Gottesdienste sind in Bayern ab dem 4. Mai unter Auflagen wieder zugelassen. In Nordrhein-Westfalen sollen die Kirchen schon ab dem 1. Mai öffnen dürfen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte zudem, er werde "die Ärzte ermutigen, auch wieder andere Operationen zu machen, die auch nötig sind".

Bislang halten Kliniken bundesweit Betten für Corona-Erkrankte frei. Während die Bundesregierung in der Vergangenheit oft auf Geschlossenheit der Länder gepocht hatte, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen, hat sich das Kanzleramt nun offen dafür gezeigt, dass die Länder individuelle Regelungen treffen: Es müsse "berücksichtigt werden, dass die Epidemie sich in Deutschland nicht gleichmäßig ausbreitet", schrieb Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) an die Abgeordneten von Union und SPD: "Das kann bedeuten, dass Beschränkungen in bestimmten Regionen aufrechterhalten oder nach zwischenzeitlichen Lockerungen wieder verschärft werden müssen." Trotz der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Situation, sagte Braun, sei es aber "für eine Aufhebung der Kontaktbeschränkungen" aus seiner Sicht "noch zu früh".

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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte dagegen gewarnt, dass der Staat nicht auf Dauer den Umsatz der Wirtschaft ersetzen könne. "Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig", sagte er: Die Würde des Menschen sei unantastbar - "aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen". Man dürfe wegen der Pandemie auch nicht andere bedeutende Themen wie den Klimawandel vergessen.

Armin Laschet zeigte sich skeptisch, inwiefern die Einschränkungen weiter sinnvoll seien. "Wir handeln alle in Unsicherheit", sagte er, die Aussagen der Virologen über die Verbreitung der Epidemie seien widersprüchlich: "Es kommt immer was Neues." Aus Bayern erfuhr Laschet für die Aussagen massiven Gegenwind. Ohne ihn beim Namen zu nennen sagte Söder: "Wir halten es für falsch, den medizinischen Rat einfach zu ignorieren."

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SZ vom 28.04.2020
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