Polit-Talk bei Jauch:Perfekter Buhmann

ARD-Talksendung 'Günther Jauch'

Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, Heiko Maas, Bundesjustizminister (SPD), und Moderator Günther Jauch (v.l.n.r.).

(Foto: dpa)

Spätestens als Justizminister Maas bei Jauchs Polit-Talk AfD-Mann Höcke mit dem Ausdruck "widerlich" ins Wort fiel, hatte der stramm rechte Landespolitiker sein Ziel erreicht.

Kommentar von Andrian Kreye

Natürlich hat auch ein Mann wie Björn Höcke von der AfD ein Recht auf seine Meinung und damit auf einen Platz in der Öffentlichkeit. Am Sonntagabend sorgte er mit seiner stramm rechten Deutschtümelei in der Talkshow von Günther Jauch allerdings für viel Empörung. Nun könnte man sagen, da sei doch endlich mal die Seite der Debatte zu Wort gekommen, bei der sich die deutsche Öffentlichkeit gerade nicht so recht entscheiden kann, ob man sie als ernst zu nehmende Bürgerwut oder als schlichte Äußerungen von "Pack" behandeln sollte. An die deutschen Gesetze zur Meinungsfreiheit hat er sich ja gehalten. Was er an fremdenfeindlichen Ressentiments von sich gab, stand vor nicht allzu langer Zeit noch in großen Boulevardzeitungen. Und die Deutschlandfahne, die er präsentierte, sah aus wie aus dem Fanshop.

Bei der Zusammenstellung von Talkshow-Runden geht es aber weder um Meinungsfreiheit noch um eine ausgewogene Debatte. Es geht um die richtige Mischung, mit der man Empörungspotenziale freisetzen kann. Das macht Quote. Urknall für diese Regel war in unseren Breiten die österreichische Talksendung "Club 2" im August 1979, bei der Nina Hagen mit der deutlichen Demonstration weiblicher Selbstbefriedigung zur Fernsehlegende wurde.

Einen Außenseiter wie Höcke in eine Runde mit drei klugen Menschen zu setzen, die sich in ihrem humanistischen Menschenbild einig sind, garantiert so eine Dynamik. Darin mag für viele ein Erkenntniswert liegen, weil Höcke sich als Radikaler entlarvte. Als solcher kann er da aber nur gewinnen. Spätestens als Justizminister Heiko Maas ihm mit dem Ausruf "widerlich" ins Wort fiel, hatte er sein Ziel erreicht. Denn damit bestätigte er seine Rolle als verfolgter Minderheitenmeinungsträger. Das gehört zu einer Medienstrategie der Rechten, die so die Empörungsmechanismen des modernen Debattenwesens für sich instrumentalisieren.

Einladen oder nicht? Das ist das Toleranzdilemma

In Amerika ist diese Debattenkultur schon viel älter und verbreiteter. Was in den Nischen des sogenannten "Talk Radios" begann, hat längst die Talkshows der großen Fernseh- und Nachrichtensender erreicht. Der Rechtsradikale Tom Metzger, Gründer der "White Aryan Resistance", hat das mal erklärt. Metzger war in den Achtzigerjahren ein beliebter Talkshowgast, der Ärger garantierte. Mit seinem Rassismus und den Nazisprüchen war er der perfekte Buhmann. Genau das war sein Plan. Denn wenn 98 Prozent der Zuschauer ihn hassen, so sagte er, blieben immer noch zwei Prozent übrig, die heimliche Sympathien für ihn entdeckten. Diese zwei Prozent waren immer noch viele Zehn- oder Hunderttausend, die damit zur Rekrutierungsmasse für seine Organisation wurden.

Auch die AfD arbeitet bei ihrer "Man wird doch noch mal"-Rhetorik mit solchen heimlichen Sympathien. Das führt zu dem Effekt, dass das Sympathiepotenzial parallel zu Empörung und Abscheu steigt. Je heftiger sich die Humanisten im Jauch-Studio also in ihre Ablehnung hineinsteigerten, desto mehr Anerkennung bekam Höcke unter Anhängern und Sympathisanten. Wenn man nun davon ausgeht, dass es sich um zwei Prozent handelt, sind das bei 5,54 Millionen Zuschauern am Sonntagabend immerhin 110 800 potenzielle Sympathisanten. Nicht schlecht für einen Lokalpolitiker, der damit prahlte, seine AfD-Aufmärsche von zwei- auf achttausend Menschen gesteigert zu haben.

Soll man Leute von rechtsaußen einladen oder nicht? Darauf gibt es keine Antwort. Das ist das Toleranzdilemma jeder offenen Gesellschaft. Lässt sie zu, was sie zerstört, gefährdet sie ihre Existenz. Zensiert sie diese Kräfte, stellt sie sich als offene Gesellschaft infrage. Die deutsche Demokratie hält Demagogen aus. Bleibt man beim Bild der rhetorischen Zündler, liefern ihnen solche Talkshows die Streichhölzer.

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