Polens Außenminister Sikorski:Polterer aus Warschau

Polens Außenminister Sikorski: Der polnische Außenminister Radosław Sikorski macht sich Hoffnung auf den Posten des EU-Chefdiplomaten.

Der polnische Außenminister Radosław Sikorski macht sich Hoffnung auf den Posten des EU-Chefdiplomaten.

(Foto: AFP)

Polens Außenminister Radosław Sikorski ist bekannt für derbe Sprüche, nun will er ausgerechnet Chefdiplomat der EU werden. Der heimische Abhörskandal dürfte seine Chancen kaum mindern, womöglich aber der europäische Proporz.

Von Daniel Brössler und Klaus Brill, Luxemburg/Warschau

Radosław Sikorski weiß, dass jetzt erst einmal Haltung gefragt ist. Vor den Kameras aus der Heimat würdigt er zunächst die Wichtigkeit des Luxemburger Außenministertreffens. Dann beginnt der polnische Außenminister, ganz Routinier, mit Ausführungen zu den "dramatischen Entwicklungen in zwei Regionen", womit er die Ukraine und den Irak meint. Ganz zum Schluss geißelt er einen "Angriff einer organisierten kriminellen Gruppe" auf die eigene Regierung und kommt so auf jenes Drama zu sprechen, das die polnischen Journalisten wirklich interessiert, den Abhörskandal von Warschau. Eine polnische Zeitschrift hat saftige Zitate Sikorskis veröffentlicht, und das in für Sikorski entscheidenden Tagen: Der Pole hofft auf den Posten des EU-Außenbeauftragten.

Dabei sind die bekannt gewordenen Zitate für Sikorskis Ambitionen gar nicht unbedingt schädlich. Garniert mit Kraftausdrücken setzt sich Sikorski in dem abgehörten Gespräch mit dem früheren Finanzminister Jacek Rostowski kritisch mit dem Glauben der Polen an die USA auseinander. "Wir streiten uns mit den Deutschen und mit Russland und werden glauben, dass alles super ist, weil wir den Amerikanern einen geblasen haben", wird Sikorski zitiert, was ziemlich deutlich dem Klischee des verbissenen Transatlantikers widerspricht, das in Teilen der EU Sikorski noch anhaften mag. In Wahrheit ist Sikorskis Distanz zu den USA mittlerweile so groß, dass er zwar auch für den Posten des Nato-Generalsekretärs gehandelt wurde, aber nie ernsthaft in Frage kam.

Von den Kollegen in der EU wird Sikorski indes als schwierig, aber auch als überaus engagiert wahrgenommen. Ihm wird durchaus zugetraut, nach der scheuen Britin Catherine Ashton Leben in den Auswärtigen Dienst der EU zu bringen. Zweifel, ob ein streitbarer Pole gerade jetzt der Richtige für Verhandlungen mit Russland wäre, sind Sikorski bewusst. Auch deshalb wohl hat er unlängst eine Reise mit dem Deutschen Frank-Walter Steinmeier nach Sankt Petersburg unternommen, die ihm zu Hause viel Kritik eingetragen hat.

Seine Chancen werden nun - zumindest aus Brüsseler Sicht - weniger vom Abhörskandal bestimmt als vom Paket aus Proporz, das rund um Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident errichtet wird. Für Sikorski spricht, dass viele die Notwendigkeit sehen, zehn Jahre nach der Erweiterung der EU einen der Top-Jobs in einen östlichen Mitgliedstaat zu vergeben. Gegen ihn als Konservativen spricht, dass die Sozialdemokraten sowohl die Ratspräsidentschaft als auch den Job des Außenbeauftragten für sich reklamieren.

Hinzu kommt der steigende Druck in der Heimat. Zwar hat Ministerpräsident Donald Tusk eine Entlassung abgelehnt. "Ich werde keine Konsequenzen ziehen gegen Politiker, deren einzige Sünde eine unzensierte Äußerung in einem vertraulichen Gespräch ist", sagte er. Die Politiker, die jetzt durch ihre Äußerungen beschämt seien, müssten mit einer kritischen Bewertung der Medien und später der Wähler rechnen - was auch auf Sikorski zielt, der einem Gesprächspartner unter anderem Bordellwitze erzählt hatte.

"Die Sprache des Lumpenproletariats"

In Anspielung vor allem auf die Wortwahl Sikorskis in Sachen USA sagte der nationalpatriotische Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, dies sei "die Sprache des Lumpenproletariats", Polen werde heute von einer "Gruppe des Lumpenproletariats" regiert. Leszek Miller, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, erklärte, Sikorski solle zurücktreten, wenn er die Allianz mit den USA nicht möge, andere Abgeordnete verschiedener Parteien schlossen sich dem an.

Angegriffen wurde der konservative Außenminister, der seinerseits offenbar ein stärkeres Engagement der Amerikaner in Mitteleuropa im Sinne hatte, auch wegen eines rassistisch anmutenden Begriffes, mit dem er seine polnischen Landsleute belegte. Er bezichtigte sie der "murzyńskość" - was man mit "Negermentalität" übersetzen könnte und hier offenbar Unterwürfigkeit meinte. "Das wird dem Minister im Ausland sehr schaden", sagte der einflussreiche polnische Präsidentenberater Tomasz Nałęcz. Sikorski solle sich fragen, "wie der Außenminister eines ernsthaften, zivilisierten Landes der Welt an seiner Stelle handeln würde", auch das eine kaum verhüllte Rücktrittsforderung. Staatspräsident Bronisław Komorowski beklagte allgemein den Sprachverfall und sagte, die offizielle Linie des polnischen Staates gegenüber den USA sei unverändert.

Unschön sind auch einige der nun bekannt gewordenen Zitate des einstigen Oxford-Studenten über den britischen Premierminister David Cameron. Sikorski beklagte demnach dessen "Inkompetenz in europäischen Fragen", sprach davon, Cameron habe den Fiskalpakt "versaut" und kam zum Schluss, dass Cameron "diese ganze dumme Propaganda glaubt". Auf britische Unterstützung wird Sikorski nun eher nicht hoffen dürfen. Anderswo hat er womöglich sogar Sympathien gewonnen.

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