Polen:Wie Jaroslaw Kaczyński Polen in einen autoritären Staat verwandeln will

POLAND-RUSSIA-ACCIDENT-AIR-KACZYNSKI-MOVIE

Kinderstars: 1962 bezaubern die Kaczyński-Brüder das ganze Land in dem Jugendfilm "Die beiden, die den Mond stahlen", da sind sie zwölf Jahre alt.

(Foto: Witold Rozmyslowicz/AFP)

Fünf Jahre nach dem Tod seines Zwillingsbruders erhält Jarosław Kaczyński die zweite Chance, die gemeinsame "Mission" zu erfüllen. Wie weit er dafür zu gehen bereit ist, hat er bereits bewiesen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es gibt wohl nicht viele Wahlsieger, die in der Stunde des Triumphes zehn Jahre zurückschauen und sich bei jemand anderem bedanken. Doch als Jarosław Kaczyński erfuhr, dass seine nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) als erste Partei seit Ende des Kommunismus die absolute Mehrheit im polnischen Parlament errungen hatte - dies bestätigte am Dienstag Polens Wahlkommission -, bedankte sich Kaczyński erst einmal bei seinem Bruder.

"Vor zehn Jahren und zwei Tagen wurde Lech Kaczyński zum Präsidenten gewählt. Ohne ihn wären wir jetzt nicht hier", sagte Jarosław Kaczyński. Dann erstattete er dem im April 2010 bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk gestorbenen Zwillingsbruder Meldung: "Herr Präsident, ich melde: Aufgabe erfüllt!" Die Aufgabe, so sieht es der 66 Jahre alte Jarosław, ist nicht nur die Eroberung der Macht, sondern auch die Rückkehr zu einem nationalkonservativen, ja autoritären und streng katholischen Polen. Einen solchen Um- oder Rückbau versuchten beide Brüder vor einem Jahrzehnt schon einmal - Lech als Präsident, Jarosław erst als graue Eminenz, dann als Ministerpräsident. Damals scheiterten sie: an den Zwängen einer Koalitionsregierung, mangelnder Machtfülle - und vor allem an sich selbst.

Für Jarosław Kaczyński liegen Politik, Kampf und Verschwörung eng beieinander

Lektionen der Geschichte sind für viele Politiker Grundlage ihres Handelns - ganz besonders in Polen, das mitten in einem Prozess historischer Selbstvergewisserung steckt. Aber selbst unter geschichtsinteressierten Polen sticht Jarosław Kaczyński mit dem starken Gewicht hervor, das er auf die Vergangenheit legt.

Geboren wurde er am 18. Juni 1949, eine Dreiviertelstunde früher als sein eineiiger Zwillingsbruder Lech. Er wuchs im zu 90 Prozent von den Deutschen zerstörten Warschau auf. Der Vater, selbst Kämpfer gegen Wehrmacht und SS, zog die Söhne mit Heldengeschichten über den Widerstand sowohl gegen die Deutschen wie gegen die Rote Armee auf. Jarosław ist seitdem ein Waffennarr; Politik, Kampf, Verschwörung liegen für ihn eng beieinander. Der Vater hielt ihnen auch die wichtige Rolle der katholischen Kirche und Józef Piłsudskis vor Augen: Politiker, Marschall, schließlich Diktator, der den Polen bis heute als Vater der Wiederauferstehung Polens nach dem Ersten Weltkrieg gilt.

Die Zwillingsbrüder waren unzertrennlich. Als Zwölfjährige brannten sie sich 1962 in dem Kinderfilm "Die beiden, die den Mond stahlen" ins nationale Gedächtnis, später wurden beide Juristen. In der Endphase des Kommunismus engagierten sie sich bei der Solidarność und berieten Polens ersten frei gewählten Präsidenten Lech Wałęsa - bis zum Zerwürfnis 1993. Wałęsa hatte genug von den Verschwörungstheorien der Kaczyńskis, diese wiederum hielten Wałęsa für allzu kompromissbereit mit den alten Kommunisten.

Ab 2001 machten sich die Brüder daran, Polens Interesse mit ihrer neuen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) zu vertreten. 2005 wurde Lech Kaczyński Präsident, die Pis übernahm die Regierung. So wie Jarosław Kaczyński 2015 den Polen erst im Juni die Hinterbänklerin Beata Szydło als potenzielle Regierungschefin präsentierte, machte er es auch schon 2005 mit dem zuvor ebenfalls unbekannten Kazimierz Marcinkiewicz. Hinter den Kulissen aber regierte Jarosław - im Sommer 2006 wurde er auch selbst Ministerpräsident.

Die Vision der Brüder: eine "starke Regierung" mit einem "starken Präsidenten"

Die Vision der Brüder: eine "starke Regierung" mit einem "starken Präsidenten"; ein Umbau à la Piłsudski, der Polen von 1926 an in einen autoritären Staat umwandelte. "Der Präsident erhielt damals das Recht zum Erlass von Verordnungen mit Gesetzeskraft", schwärmte Jarosław 2007 im Magazin Wprost. Der Einfluss des Präsidenten solle mit Verfassungsänderungen "vergrößert" werden. Und dann seien "zwanzig Jahre ruhiger, guter Regierung" das Beste für Polen.

Daraus aber wurde nichts - und das nicht nur, weil die Pis selbst mit ihren Koalitionspartnern, der populistischen Bewegung für Selbstverteidigung und der ultrakatholischen Liga polnischer Familien, weit von einer für Verfassungsänderungen nötigen Zweidrittelmehrheit im Parlament entfernt war. Jarosław Kaczyński begann mit seiner Regierung zwar einen Feldzug gegen die Korruption, er und sein erst 36 Jahre alter Justizminister und Generalstaatsanwalt nahmen es mit dem Rechtsstaat dabei aber nicht so genau. Tatsächlich oder vermeintlich korrupte Politiker, ja sogar Ärzte wurden von schwerbewaffneten Agenten des neu gegründeten Antikorruptionsbüros vor laufenden Kameras verhaftet und dann im Staatsfernsehen vorverurteilt. Richtern empfahl Kaczyński, nicht nur nach den Gesetzen zu urteilen, sondern auch nach "Staatsräson" und "nationalem Interesse".

Der Tod des Bruders soll Kaczyński tief traumatisiert haben

Der unrühmliche Höhepunkt kam im Spätsommer 2007: Da sagte der von Kaczyński entlassene Innenminister dem Parlament, der Regierungschef habe über seinen Justizminister die Geheimdienste angewiesen, politische Gegner und selbst politische Mitstreiter zu überwachen und belastendes Material zu sammeln, etwa über Sex-Affären oder illegale Geschäfte. Bevor der Ex-Minister und ein ehemaliger Polizist solche Vorwürfe im Parlament untermauern konnten, ließ Kaczyński sie verhaften. Kurze Zeit später wurde seine noch durch andere Skandale erschütterte Koalitionsregierung abgewählt. Bruder Lech konnte als Präsident fortan wenig mehr tun, als die neue, europafreundliche Regierung der Bürgerplattform ab und an mit einem Veto gegen eines ihrer Gesetze zu ärgern.

Jarosław Kaczyński gab nicht auf. Nach dem Tod des Bruders, der ihn Vertrauten zufolge zutiefst traumatisierte, trat der unverheiratete, kinderlose und bis zu ihrem Tod mit seiner Mutter zusammenlebende Politiker 2010 erfolglos als Präsidentschaftskandidat an. Doch auch nach dieser Niederlage herrschte Kaczyński von seinem Haus in Warschau aus über die Pis und entwarf eine neue, autoritär gefärbte Verfassung für Polen, die eines Tages verwirklichen sollte, wozu er in seiner kurzen Regierungszeit nicht gekommen war.

Kaczyńskis Ambitionen, der Glaube an eine seiner Familie anvertraute Mission, sind nicht geringer geworden. Mitte Oktober bekräftigte er in dem konservativen Magazin Wsieci: "Es ist meine Verpflichtung gegenüber meiner Mutter und meinem Bruder, Polen mit all meiner Kraft zu verändern." Von einer Aufnahme syrischer Flüchtlinge etwa hält Kaczyński nichts. "Wir sollten helfen, aber auf sichere Weise, finanziell." Mit 235 von 460 Sitzen im Parlament kann Kaczyński nun uneingeschränkt regieren - und bei der ebenfalls nationalpopulistischen Partei Kukiz'15 und anderen Parteien im Parlament die notwendigen Stimmen für Verfassungsänderungen einsammeln. Dass er sich darauf versteht, Abgeordnete durch Geschenke oder Druck auf seine Seite zu bringen, hat Kaczyński früher bereits bewiesen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: