Das Edward-Gierek-Rondell in der Industriestadt Sosnowiec im Südosten Polens ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und erinnert an den berühmtesten Sohn der Stadt: Edward Gierek war 1970 bis 1980 Polens kommunistischer Parteichef. Viele Polen verbinden mit dem 2001 verstorbenen Politiker nicht nur das kommunistische Regime, sondern auch verklärend Modernisierung und wirtschaftlichen Aufschwung. Als die etwa 12 000 Einwohner gefragt wurden, ob das Gierek-Rondell seinen Namen behalten solle, stimmten 97,3 Prozent mit "Ja".
Doch der Wille des Volkes ist nicht immer maßgeblich unter der Regierung der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis). Und so verkündete der von Warschau eingesetzte Wojewod, eine Art Gouverneur der Region, der Verkehrskreisel werde umbenannt - nach dem Dombrowaer Kohlebecken. Die Einwohner sind aufgebracht. Die Stadtverwaltung klagt gegen die Entscheidung.
Auch in anderen polnischen Städten schlagen die Wogen hoch, weil die Regierung Hunderte Straßen nach ihrem Weltbild umbenennt - und zwar schon mit Wirkung vom 1. Januar.
Grundlage ist ein Gesetz zur "Dekommunisierung" - also zum Sich-Entledigen aller noch im Straßenbild verewigten "Personen, Organisationen, Ereignisse oder Symbole des repressiven, autoritären und nicht souveränen Regierungssystems in Polen in den Jahren 1944-1989". Beschlossen wurde es 2016, eigentlich sollten Stadt- und Gemeinderäte selber bis September über neue Straßennamen entscheiden. Aber Hunderten Städten, die es nicht taten, verordnete die Regierung am 13. Dezember zum 1. Januar die Umbenennung nach ihren Vorstellungen.
Das Institut für nationales Gedenken, eine staatliche Behörde mit weitgehenden Vollmachten, setzte Hunderte Namen von Straßen, Plätzen oder Brücken auf den Index: So soll alles, was mit Kommunismus oder der Roten Armee, manchmal auch nur mit Russland zu tun hat, aus Polens Straßenbild verschwinden.
Erinnerungen an Kommunisten werden entfernt
In Breslau ist das Ende für die "Straße der Verteidiger Stalingrads" gekommen. Auch den mit dem Sowjetregime verbundenen Schriftsteller Maxim Gorki traf es - in Łódź wird er immerhin durch einen anderen Russen ersetzt: Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.
Auch die Namen von Polen verschwinden aus dem Straßenbild, wenn diese Verbindungen zum kommunistischen Regime hatten: etwa der Romancier und Dramatiker Leon Kruczkowski, der nach dem Zweiten Weltkrieg Präsident des Schriftstellerverbandes war.
Es verschwinden selbst Straßennamen, die an Jarosław Dąbrowski erinnern, einen polnischen General, der im Spanischen Bürgerkrieg als Teil der Internationalen Brigaden gegen die spanischen Faschisten kämpfte - weil Dąbrowski auch Kommunist war. In Danzig protestieren Einwohner, weil die an den General und seine Mitstreiter erinnernde Straße in Margaret-Thatcher-Straße umbenannt werden soll.
Polens Regierung pflegt ein fast ausschließlich einheimische Helden feierndes Geschichtsbild. Auch die Schulen werden "nun die richtige polnische Geschichte lehren, in der wir sehen, wer ein Verräter war und wer ein Held", sagte Präsident Andrzej Duda.
Ähnlich ist es im ursprünglich international gedachten Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig, wo es für die Pis unter Ausschluss dunkler Seiten der eigenen Geschichte nun um die Heldentaten polnischer Soldaten geht. Auch mit den neuen Straßennamen solle "in erster Linie unserer gemeinsamen Anstrengungen zur Erlangung und Bewahrung der Unabhängigkeit" gedacht werden, so der Wojewod der Region Łódź, Zbigniew Rau.
Und so führen beim Umbenennungsmarathon in Polen nun der Weltkriegsheld General Władysław Anders oder Rittmeister Witold Pilecki, ein Offizier, der sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig ins Konzentrationslager Auschwitz einliefern ließ und nach seiner Flucht die Alliierten über das deutsche Massenmorden informierte.
Dritter neuer Namensspitzenreiter ist Lech Kaczyński, 2010 bei einem Flugzeugabsturz gestorbener polnischer Präsident. Der hat zwar weder eine Heldentat vollbracht noch etwas zur polnischen Unabhängigkeit beigetragen, war aber der Zwillingsbruder von Polens heutigem Machthaber Jarosław Kaczyński. So werden nun in ganz Polen Straßen nach Lech benannt. In Warschau soll etwa die bisherige "Allee der Volksarmee" im Zentrum künftig "Lech-Kaczyński-Allee" heißen.
Das sorgt in Warschau ebenso für Unmut wie etwa in Kattowitz, wo Kaczyński als Namensgeber den Schriftsteller und Parlamentarier Wilhelm Szewczyk ablösen soll - was "ohne jede Konsultation der Einwohner von Kattowitz entschieden wurde", beschrieben es Organisatoren einer Protestdemo.
Warschau klagt gegen alle neuen Straßennahmen
Die Stadtverwaltung Warschaus, noch von der oppositionellen Bürgerplattform kontrolliert, klagt gegen alle 47 verordneten neuen Straßennamen für die Hauptstadt. Ob die Klagen bei fast völlig von der Regierung kontrollierten Gerichten Erfolg haben, ist jedoch fraglich.
Nicht nur die Opposition ärgert sich: Vor allem in ärmeren Städten stöhnen Lokalpolitiker über die Umbenennungen, die neue Straßenschilder, Karten und Adressverzeichnisse, neue Visitenkarten oder Schilder für Bus- oder Straßenbahnhaltestellen und neue Verkehrsnetzpläne bedeuten. Den wohl elegantesten Ausweg fand die Pis in Białystok in Ostpolen. Dort ist die "Straße der Partisanen" auch künftig Teil des Stadtbildes - mit der Begründung, sie erinnere gar nicht an sowjetische, sondern an polnische Partisanen.
Auch die Straße des Sieges darf bleiben. "Die Bezeichnung erinnert an den Sieg der Roten Armee und der verbündeten Streitkräfte über Hitler", gab Pis-Stadtrat Paweł Myszkowski in der Gazeta Wyborcza zu. "Wir haben die Papiere so geändert, dass es um (Polens) Sieg 1920 über die Bolschewiken geht - und um die siegreichen Polen an den Fronten des Zweiten Weltkrieges. Die Straße behält also ihren Namen - aber es geht um andere Siege."