Polen:Warschau als Freund der Opposition

August 14, 2020, Gdansk, Poland: A protester holds a placard expressing his opinion during the demonstration..Belarusia

"Ich liebe Belarus", steht auf dem Plakat, mit dem eine Frau während einer Solidaritäts-Kundgebung auf dem Langen Markt in der polnischen Hafenstadt Danzig faire Wahlen im Nachbarland fordert.

(Foto: Mateusz Slodkowski/imago)

Die Regierung hilft kritischen belarussischen Medien, auch sind Menschen aus dem Nachbarland willkommen, die gegen Lukaschenko sind.

Von Viktoria Großmann

Fünf Punkte und 50 Millionen polnische Złoty, mehr als elf Millionen Euro, umfasst das Hilfsprogramm "Solidarität für Belarus", das Polens Premier Mateusz Morawiecki in der vergangenen Woche verkündet hat. Opfer von Repressalien im Nachbarland können Geld für Behandlungs- oder Gerichtskosten bekommen. Ausreisewilligen werden Visagebühren erlassen, Zuschüsse für Nichtregierungsorganisationen werden in Aussicht gestellt. Auch für Medien. Die polnische Regierung unterstützt die Pressefreiheit.

Zumindest wenn es um den Fernsehsender Belsat geht, der in weißrussischer Sprache aus Warschau sendet. Zwar gab es kürzlich innerhalb der Regierungspartei PiS ein bisschen Knatsch um die Finanzierung des Senders, aber nun scheinen die Mittel ja sogar erhöht zu werden. Auch der Kanal Nexta, der über den Messenger-Dienst Telegram sendet, wird von Warschau aus betrieben. Sein Gründer, der 22-jährige Student Stepan Putilo, ist nach Polen ausgewandert, weil Belarus für ihn wegen seines politischen Engagements zu unsicher wurde. Knapp 2,17 Millionen Nutzer haben den Kanal Nexta Live abonniert, der sie über Aktionen informiert, warnt und mitorganisiert. Zudem wenden sich die Oppositionsführer hier an die Öffentlichkeit.

Polen hat schon vielen Belarussen Unterschlupf geboten, große Communitys gibt es in Warschau und Krakau, etwa 300 000 Menschen gehören der polnischen Minderheit in Belarus an. Seit Jahren werden Studenten und Forscher aus dem Land unterstützt. Der Arbeitsmarkt stehe den Nachbarn offen, bekräftigt die Regierung. Polen hatte bereits im Ukraine-Konflikt mehr als 400 000 Emigranten aufgenommen.

Roman kam weder, um Arbeit zu suchen, noch um zu studieren. "Ich wollte einfach in einem freien Land leben", schreibt er über Telegram. Seit mehr als drei Jahren lebt der 32-Jährige in Warschau, wo er als Software-Techniker arbeitet. Aus Sorge um seine Familie in Belarus engagiere er sich in Polen nicht politisch, aus demselben Grund will er nicht, dass sein Nachname geschrieben wird. Weil Roman polnische Wurzeln hat, war die Einreise für ihn leicht. "Sie haben großartige Unterstützung geleistet für Aktivisten, die nach der Wahl 2010 drangsaliert wurden", schreibt er. "Und ich bin sicher, sie werden uns auch jetzt helfen." Polen habe sich schließlich selbst in den Achtzigerjahren von einer Diktatur befreit. "Deshalb verstehen sie uns." So mancher in Polen aber zweifelt daran. Auch Jakub Kocjan von der Aktivistenplattform Akcja Demokracja, die sich mit den Demonstranten in Belarus solidarisch zeigt. Der Jura-Student misstraut der PiS-Regierung zutiefst. Befürchtet, dass sie ihre Versprechen, den Sender Belsat besser zu fördern, nicht einhält. Man müsse beobachten, ob und wie das versprochene Geld verteilt werde. Es tue ihm weh, dass das kleine Litauen viel aktiver sei. Aus Litauen wendet sich Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja nun an die Weltöffentlichkeit, nachdem sie einen Tag nach der Wahl dort Zuflucht gefunden hatte. Der Außenminister Litauens hatte als erster erklärt, dass er das Ergebnis der Wahl vom 9. August nicht anerkenne.

Was die PiS eigentlich von unbequemer Presse hält, zeigte sie gerade im Wahlkampf

Die Gründe für das Misstrauen von Aktivisten wie Kocjan erscheinen offensichtlich. Sechs Wochen ist die Präsidentschaftswahl in Polen her. Die einseitige Pro-PiS-Berichterstattung des staatlichen Fernsehens war eines der emotionalsten Themen im Wahlkampf. Die Angst wuchs, dass die Regierungspartei PiS ihre Ideen von einer Re-Polonisierung, also der Verstaatlichung von Medienhäusern, wahr machen könnte. Von deutscher Einflussnahme auf den polnischen Wahlkampf sprach der knapp wiedergewählte, von der PiS unterstützte Präsident Andrzej Duda und zielte auf die deutschen Verleger einiger polnischer Medien, darunter Springer. Das Kanzleramt fühlte sich genötigt, die Vorwürfe zurückweisen.

Nun sagt Premier Mateusz Morawiecki der polnischen Nachrichtenagentur PAP: "Wenn nichtdemokratische Regime Probleme bei sich im Land haben, dann kommt es sehr häufig vor, dass sie auf irgendeinen äußeren Feind zeigen." Morawiecki wies damit Vorwürfe aus Belarus zurück, Polen mische sich in die inneren Angelegenheiten des Landes ein. Polen sei an einem unabhängigen und souveränen Belarus gelegen, und die Hilfe beim Prozess der Demokratisierung solle es stärken.

Das klingt nicht für jeden glaubwürdig. Im Vergleich zu Litauen, schimpfte die Tageszeitung Gazeta Wyborcza, habe Polen "verschlafen, chaotisch und ohne Überzeugung" reagiert. Immerhin hatte Polen gemeinsam mit Tschechien auf den EU-Sondergipfel zur Lage in Belarus gedrängt. Und der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz telefonierte mit Tichanowskaja und empfing bei sich das Oppositionellenpaar Valerij und Veronika Zepkalo. Vergangenen Donnerstag aber trat er zurück. Mitten in der Krise.

Polen, so scheint es, ist mit sich selbst beschäftigt. Anscheinend ungerührt vom stetigen Drängen der EU, die Rechtsstaatlichkeit zu erhalten, baut die Regierung weiter an ihrer Justizreform, hetzt Justizminister Zbigniew Ziobro gegen Homosexuelle, verschwinden Studenten, die an öffentlichen Orten die Regenbogenfahne aufhängen wollen, für Stunden und Tage in Gefängnissen, wo sie laut Augenzeugenberichten bedroht und verhöhnt werden, bevor man sie mit einer Strafanzeige nach Hause schickt.

"Ich empfehle, die Situation in Polen nicht mit der in Belarus zu vergleichen", sagt Piotr Micuła vom Thinktank Wise Europa in Warschau. "Es geht uns hier viel besser." Polen, sagt er bedauernd, verpasse jedoch die Chance, in dem Konflikt zu vermitteln. Wegen des schlechten Ansehens in der EU und der fehlenden Beziehungen zu Russland sei es dazu nicht in der Lage. Aber immerhin, sagt Micuła, biete Polen der belarussischen Opposition eine gute Plattform zum Dialog. "Das ist eine Stärke."

"In Polen fühle ich mich sicher. In Belarus nicht", schreibt Roman. Viele Belarussen seien aus Furcht unpolitisch gewesen. "Bis zum 9. August." Polen tue nun gut daran, sich auf eine geordnete Einwanderungswelle im Zeichen der Corona-Pandemie vorzubereiten. Denn wenn das Regime an der Macht bleibe, "werden sie sich an allen rächen, die sich gegen sie gestellt haben und sie werden jeden finden, der an den Protesten teilgenommen hat."

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