Polen:Erst kommt der Machterhalt, dann Recht und Ordnung

Polen: Jarosław Kaczyński ist vor allem an seinem Machterhalt interessiert.

Jarosław Kaczyński ist vor allem an seinem Machterhalt interessiert.

(Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Jarosław Kaczyński ist eigentlich "nur" Chef der Regierungspartei PiS, doch in Polen gibt er den Ton an. Mit der Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Land haben seine Volten nichts mehr gemein.

Kommentar von Florian Hassel, Warschau

Polen spürt wie andere Teile Europas die globale Erwärmung; Bananen aber wachsen an der Weichsel noch nicht. Dabei könnten diese Pflanzen treffend den Zustand der Politik unter Jarosław Kaczyński und seinen Alliierten illustrieren. Denn ihre Volten im Umgang mit Wahl und Amt des Präsidenten haben nichts mehr mit den demokratischen Gepflogenheiten und der Rechtsstaatlichkeit in einem EU-Land gemein.

Da kommen zwei Parteichefs zusammen und entscheiden ohne juristische Befugnis über die Absage, Annullierung oder Neuansetzung einer Wahl. Eine Entscheidung, die die Kompetenz von Staatsorganen und Gerichten berührt und diese bindet, und zugleich nur einem Zweck dient: dem Machterhalt des Kaczyński-Lagers. Dabei ist dies lediglich eine besonders grelle Illustration des Herrschaftsstils, mit dem Kaczyński Polen seit 2015 regiert - und Gesetze nach Belieben verabschiedet oder missachtet, Staatsorgane gründet oder missachtet oder sich mit der Chefin des Verfassungsgerichts in deren Wohnung auf die Fragen der Woche einigt.

Kaczyński sieht sich in der Tradition von Józef Piłsudski, vor einem Jahrhundert Wiedererrichter eines unabhängigen Polens. Piłsudski war ein großer Feldherr und Staatsmann. Mit Demokratie allerdings hatte er wenig im Sinn und regierte bis zu seinem Tod 1935 erst autokratisch, dann diktatorisch, bevorzugt mit Hinterzimmerdeals. Kaczyński hat diesen Regierungsstil wiederaufgenommen; großen Widerstand der Polen hat er dabei nicht erfahren.

Die Wahl wird eine Pseudo-Abstimmung

Daran wird sich jetzt nichts ändern, erst recht nicht unter den Bedingungen der Corona-Pandemie, während derer öffentliche Versammlungen verboten sind. Dies wird unter dieser Regierung auch sicher so bleiben, bis der für Kaczyński bequeme Präsident Andrzej Duda im Amt bestätigt ist. Noch Anfang 2020 erschien es möglich, dass der Präsident die Wahl gegen eine damals erstarkende Opposition verlieren würde. Dies ist jetzt, ohne Wahlkampf, dafür aber mit grenzenloser Propaganda und dem Ausschluss oder der Diskreditierung der Opposition durch die Staatsmedien, in weite Ferne gerückt.

Die Wahl wird, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Rechts- und Verfassungsverstöße, lediglich eine Pseudo-Abstimmung, und Duda wird ein Präsident von schwacher Legitimität. Doch dies ist für Kaczyński ebenso zweitrangig wie Reaktion und Bewertung durch Europa. Das Einzige, was den PiS-Chef und seine Brüder im Geiste wie den Ungarn Viktor Orbán - möglicherweise - zu demokratischem Regieren bewegen könnte, wäre der Verlust aller Fördermilliarden der EU. Von derlei Konsequenzen aber ist Europa weit entfernt, erst recht unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Kaczyński kann so ungehindert fortfahren, seine Macht zu sichern. Allerdings kann diese schnell ins Wanken geraten, wenn die aufziehende tiefe Wirtschaftskrise Polen voll erfasst und die PiS ihr Modell des politischen Stimmenkaufs durch eine Erhöhung des Kindergelds, eine Senkung des Rentenalters oder einen Steuerbonus für Berufsanfänger nicht mehr weiterführen kann. So kann es gut sein, dass sich Polens Herrscher nach den Kapriolen um die Präsidentenwahl weitere Manöver überlegt - etwa, dass er seine Regierung im Amt bestätigen lässt, bevor die Kassen leer sind. Um entsprechende Einfälle ist Kaczyński sicher nicht verlegen.

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