Polen:Vergiftete Stimmung

Polen: Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, seine Ehefrau und seine Tochter geben ihre Stimmen in Sopot ab.

Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, seine Ehefrau und seine Tochter geben ihre Stimmen in Sopot ab.

(Foto: Mateusz Slodkowski/afp)

Die Polen wählen einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Duda tritt gegen seinen Herausforderer Trzaskowski an. Duda setzte auf Verleumdung, Trzaskowski auf Themen wie Bildungsgerechtigkeit und Gesundheitsversorgung.

Von Viktoria Großmann, Warschau

In den Tagen vor der Stichwahl zwischen Präsident Andrzej Duda und seinem Herausforderer Rafał Trzaskowski fanden die Polen einen Handzettel in ihrem Briefkasten. "Pass auf!", stand darauf. "Mit Trzaskowski kommen Konflikte, Krisen, Affären", er werde die Entwicklung Polens blockieren, der Wirtschaft schaden, seine Partei teile die Menschen in A und B, in bessere und schlechtere. Auf der Rückseite wird ausgeführt, was Duda dem Land bringen wird: Arbeit für alle Polen, Investitionen in den Fortschritt, transatlantische Zusammenarbeit und eine Festigung der Position in der EU sowie unabhängige Energieversorgung. Fazit: "Ich wähle Duda." Gekennzeichnet ist der Zettel mit dem Logo der Wahlkampagne "Duda 2020". An diesem Sonntag nun waren mehr als 30 Millionen Polen zur Wahl aufgerufen, die Wahllokale schlossen um 21 Uhr, Ergebnisse wurden erst gegen Mitternacht erwartet.

Beobachtern gilt diese Wahl als die bedeutendste seit der ersten freien Wahl 1989. Die Wahlbeteiligung war bereits im ersten Durchgang mit 64,3 Prozent historisch hoch. Für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS, die Duda an der Macht halten will, geht es darum, ob sie weiterhin ungestört regieren und ihre umstrittene Justizreform weiterführen kann. Befürchtet wird, dass sie die Pressefreiheit weiter beschneidet. Rafał Trzaskowski hingegen ist angetreten, die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen. Er wird unterstützt von der liberal-konservativen Bürgerplattform PO, als deren liberalster und fortschrittlichster Vertreter er gilt. Schon die erste Runde am 28. Juni war für den Bürgermeister von Warschau ein Erfolg: Er hatte 30,5 Prozent der Stimmen gewonnen, Duda 43,5 Prozent - deutlich weniger als erwartet. Und Trzaskowski konnte in den zwei Wochen bis zur zweiten Runde noch viel aufholen. Ende der Woche sahen Prognosen Duda bei 47 bis 53 Prozent, Trzaskowski bei 44 bis 50 Prozent.

Dass Trzaskowski überhaupt soweit gekommen ist, sehen einige in Polen als ein Wunder an. Dudas Kampagne hatte konsequent auf Angriff und Verleumdung gesetzt. Bis zum Schluss. Trzaskowskis letzter Post auf seiner Facebookseite am Samstagabend vor der Wahl lautet: "Legia ist polnischer Meister! Ich gratuliere zum Titel." Auf Dudas Kampagnenseite hingegen wird gepostet, dass unter Trzaskowski Grundschülern das Masturbieren beigebracht werde und der Kandidat Drogen nehme. Das staatliche Fernsehen berichtet zudem strikt im Sinne Dudas und der PiS. Besonders heftig attackierten Duda und seine Unterstützer, dazu zählt auch die katholische Kirche, zuletzt Menschen der LGBTQ-Gemeinschaft, Juden, Journalisten und Deutsche. Die Hetze zeigt Wirkung: Es gibt Berichte über tätliche Angriffe auf Homosexuelle, aber auch auf Demonstranten sowie über Polizeigewalt.

Doch möglicherweise hat es Duda mit der ständigen Thematisierung der LGBTQ-Rechte zu weit getrieben. Denn eine Mehrheit dürfte sich letztlich mehr für die soziale Absicherung interessieren, für die PiS viel getan hat, sowie für Bildungsgerechtigkeit und die Gesundheitsversorgung. Themen, die Trzaskowski aufgegriffen hat. Zudem ließ er sich auf die Schmutzkampagne der Gegenseite nicht ein, sondern blieb sachlich. In seinem Programm wirbt er für einen "positiven Patriotismus", einen, der sich auf die Errungenschaften der Solidarność bezieht, welche in den Achtzigerjahren die friedliche Revolution im gesamten Ostblock angestoßen hat. "Für ein gutes, offenes und herzliches Polen", wolle er einstehen.

Die Regierung, ihre Propagandamethoden und nun dieser Wahlkampf haben die Gesellschaft tief gespalten. Im Osten des Landes erklären sich ganze Woiwodschaften "LGBT-frei". In Warschau hingegen wird Trzaskowski vermutlich ein erfolgreiches Heimspiel haben. Seine Plakate zieren Litfaßsäulen, hängen an Balkonen. Auch im zehnten Stock eines Wohnhauses gegenüber dem Sejm, dem polnischen Parlament. Zwei Stockwerke darüber grüßt noch eine Regenbogenfahne - wohl nicht nur ein persönliches Bekenntnis, sondern auch eine Botschaft an die polnischen Abgeordneten.

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