Polen:Verfolgt von einem Mythos

Polen: Soll "zum Schaden des Staates" gehandelt haben: Donald Tusk.

Soll "zum Schaden des Staates" gehandelt haben: Donald Tusk.

(Foto: John Thys/AFP)

Die Warschauer Regierung zeigt EU-Ratspräsident Donald Tusk an. Die rechtskonservative Regierung fürchtet, Tusk könnte in Polens Politik zurückkehren.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war im Herbst 2016, als Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis), erklärte, warum die polnische Regierung den Polen Donald Tusk nicht für eine zweite Amtszeit als Präsident des Europäischen Rates wolle: Es gebe in der Justiz und im Verteidigungsministerium Ermittlungen, die Tusk ungeeignet für eines der höchsten Ämter Europas machten. Kaczyńskis Kampagne half nichts - Anfang März wurde Tusk im Europäischen Rat mit 27:1 Stimmen für eine zweite Amtszeit bestätigt. Aus den Ermittlungen aber werden nun Strafverfahren gegen Tusk. Am Montag stellte Verteidigungsminister Antoni Macheriewicz, ein enger Vertrauter Kaczyńskis, Strafanzeige wegen des "Verdachts auf Verübung eines Verbrechens zum Schaden des polnischen Staates durch Donald Tusk".

Der Vorwurf rührt aus Tusks Zeit als Polens Ministerpräsident: Nach dem Absturz des Flugzeugs des damaligen Präsidenten Lech Kaczyński am 10. April 2010 im russischen Smolensk habe Tusk nicht dafür gesorgt, dass polnische Ermittler unmittelbar und umfassend an der Untersuchung des Absturzes beteiligt worden seien. Der damalige Regierungschef habe zudem versäumt, dafür zu sorgen, dass das Wrack der Regierungsmaschine an Polen zurückgegeben werde. Tusk habe "zum Schaden des Staates" und des "polnischen Interesses, verbunden mit seiner Position und seiner Glaubwürdigkeit in den internationalen Beziehungen" gehandelt. Mögliche Höchststrafe nach Artikel 129 des polnischen Strafgesetzbuches: zehn Jahre Haft.

Die Vorwürfe, die Macierewicz und die Pis erheben, sind alt und mehrfach widerlegt: Tatsächlich waren polnische Ermittler von Beginn an auf allen Etappen an der Untersuchung des Unglücks beteiligt, das durch Pilotenfehler im dichtem Nebel herbeigeführt wurde - und zum Tod von Präsident Kaczyński, dem Zwillingsbruder Jarosław Kaczyńskis, führte. Dass das Wrack der Präsidentenmaschine immer noch in Russland ist, liegt daran, dass dort strafrechtliche Ermittlungen und Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen sind und das Wrack weiter Beweismittel ist.

Die Pis jedoch begann sofort nach dem Unglück, den Mythos eines angeblichen Mordanschlags zu entwickeln und beschuldigte ihren politischen Konkurrenten Tusk, sich mit Russland verschworen zu haben. Dass diese aufgewärmten Vorwürfe jetzt zu einem Strafverfahren führen, ist so gut wie sicher: Schließlich ist Justizminister Zbigniew Ziobro nicht nur ein enger Gefolgsmann Kaczyńskis, sondern auch Generalstaatsanwalt. Ziobro bekräftigte schon im November 2016, die Staatsanwaltschaft ermittle gegen Tusk.

Dass die Pis Tusk als möglichen Kriminellen darstellt, ist Kalkül: Einer Ibris-Umfrage zufolge ist die Pis in der Wählergunst erstmals seit 2015 auf unter 30 Prozent Zustimmung gefallen. Die oppositionelle Bürgerplattform, die Partei Tusks, dagegen hat sich von ihrem damaligen Tief erholt und liegt mit 27 Prozent nur noch zwei Prozentpunkte hinter der Regierungspartei. Tusks zweite Amtszeit als Präsident des Europäischen Rates dauert zweieinhalb Jahre. Danach wäre er "ein natürlicher Kandidat einer vereinigten Opposition" für die 2020 anstehende Präsidentenwahl, urteilt die Gazeta Wyborcza.

Das Präsidentenamt hat unter der Pis erhebliche Bedeutung gewonnen: Amtsinhaber Andrzej Duda unterschreibt juristisch fragwürdige oder gar offen verfassungswidrige Gesetze und hat deshalb den Spitznamen "der Notar". Ein Präsident Tusk würde das Amt höchstwahrscheinlich anders ausüben. Pis-Politiker werfen Tusk auch andere Verfehlungen vor und arbeiten dabei mit antideutschen Ressentiments. Das Pis-Hausblatt Gazeta Polska hob ein Foto von Donald Tusk zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Titel - montiert in eine Wehrmachtsuniform.

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