Polen:Unwahrscheinliche Geschwindigkeit

Members of the Senate hold a debate on the Holocaust bill in Warsaw

Die Senatoren in Warschau entschieden so fix wie die Abgeordneten.

(Foto: Agencja Gazeta/Slawomir Kaminski/Reuters)

Im Eiltempo hat Polens Parlament die umstrittene Holocaust-Gesetzgebung entschärft. Der Druck war offenbar mächtig.

Von Florian Hassel, Warschau

In wahrem Expresstempo hat Polens Parlament eines der umstrittensten Gesetze der nationalpopulistischen Regierung geändert. Erst Ende Januar hatte die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) geführte Regierung die Änderung des Gesetzes über das staatliche Institut für nationales Gedenken (IPN) beschlossen. In Artikel 55a wird darin jedem, ob Pole oder Ausländer, mit bis zu drei Jahren Haft gedroht, der "öffentlich und entgegen den Fakten" dem polnischen Volk oder Staat Verantwortung oder Mitverantwortung für nazistische Verbrechen zuschreibt, "die während des Dritten Deutschen Reiches begangen wurden". Binnen Stunden wurde der Artikel nun gestrichen.

Vor allem die USA und Israel hatten ihn scharf kritisiert: Sie sahen in dem Artikel den Versuch, allen einen Maulkorb zu verpassen, die sich nicht nur für die millionenfachen Morde durch die Deutschen in- und außerhalb der Konzentrationslager auf polnischem Boden interessieren, sondern auch für polnische Taten: polnische Morde an Juden und die Zusammenarbeit Tausender Polen mit den Deutschen beim Aufspüren Hunderttausender Juden, die aus Ghettos geflohen waren. Artikel 55a wurde zwar nie angewandt, vergiftete das Verhältnis zu Tel Aviv und Washington indes gründlich. Der Gazeta Wyborcia zufolge soll der Artikel 55a viele US-Parlamentarier so verärgert haben, dass im US-Senat sogar die Finanzierung einer US-Brigade auf polnischem Boden als Teil einer Nato-Eingreiftruppe in Frage gestellt wurde.

So strich das von der Pis mit absoluter Mehrheit kontrollierte Parlament den Artikel - offenbar auf Befehl des vor Kurzem aus dem Krankenhaus entlassenen Pis-Chefs Jaroslaw Kaczynski. Erst am Mittwochmorgen hatte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki den Gesetzentwurf im Sejm einreichen lassen - zwei Stunden später war er beschlossen; die Opposition durfte nichts fragen. Im selben Blitztempo folgte der Senat. Und schon kurz vor 18 Uhr verkündete ein Mitarbeiter von Präsident Andrzej Duda, dieser habe das Gesetz unterschrieben.

Das ist kein Zufall: Punkt 18 Uhr wollten Premier Morawiecki in Warschau und Ministerpräsident Netanyahu in Israel in Pressekonferenzen eine gemeinsame Erklärung zu Holocaust, Verantwortung und Forschung vorstellen. An ihr hätten Israel und Polen monatelang insgeheim gefeilt, sagte Kaczynski der Parteizeitung Gazeta Polska - und behauptete, "niemand von uns" habe bei der Gesetzesänderung im Januar vorausgesehen, dass sie zu "derlei Störungen und einer solchen Reaktion in Israel führen würde". Dabei hatten israelische Politiker wiederholt vor dem Gesetz gewarnt.

Die Sechs-Punkte-Erklärung betont nun die Kooperation bei der Erforschung des Holocaust, des Heldentums Tausender Polen, die unter Lebensgefahr Juden retteten, und sie erwähnt "einzelne Fälle" des Verrats von Juden durch Polen an die Deutschen. Statt Artikel 55a soll das Zivilrecht genügen, alle zu verklagen, die "das polnische Volk" fälschlich mit Verbrechen im Zweiten Weltkrieg beschuldigen.

Nicht nur mit diesem Gesetz macht Polen derzeit Schlagzeilen. Die EU diskutiert über den weiteren Umgang im Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau. Selbst manche europäische Richter zweifeln bereits, ob man polnische Straftäter, die Warschau mit europäischem Haftbefehl sucht, angesichts der Zweifel am polnischen Rechtsstaat noch ausliefern darf. Der europäische Generalanwalt Evgeni Tanchev plädierte nun vor dem Gerichtshof der EU, jeden Einzelfall zu prüfen, ehe die Auslieferung verweigert werde.

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