Polen:Unter Druck

Polish Attorney Roman Giertych Detained By Central Anticorruption Bureau

Anwalt Roman Giertych hat brisante Informationen über die Regierung.

(Foto: Beata Zawrzel/Getty Images)

Regierungskritiker müssen in Polen mit falschen Anschuldigungen und Gefängnisstrafen rechnen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine spektakuläre Aktion, als Agenten des Anti-Korruptionsgeheimdienstes CBA Mitte Oktober den Anwalt und ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten Roman Giertych festnahmen und aufsehenerregende Vorwürfe erhoben: Giertych sei an der angeblichen Ausplünderung einer Baufirma und Geldwäsche von umgerechnet gut zwei Dutzend Millionen Euro beteiligt gewesen. Er müsse eine Kaution von mehr als einer Million Euro stellen, dürfe Polen nicht verlassen und seinen Beruf als Anwalt nicht ausüben, verkündete die Staatsanwaltschaft.

Doch eine noch unabhängig urteilende Richterin sah keine Belege dafür, dass überhaupt ein Verbrechen begangen worden sei. Giertych kam frei, die Kautionspflicht entfiel, er darf das Land verlassen und weiter in seinem Beruf arbeiten. Das Vorgehen gegen Giertych spreche für "außerprozessuale Absichten", so Bürgerrechtskommissar Adam Bodnar. Etwa dafür, dass die Regierung einen unbequemen Anwalt mit brisanten Informationen ausschalten wollte.

Giertych vertritt zwei Klienten in Skandalen um die Regierungspartei PiS: So beschuldigt der österreichische Geschäftsmann Gerald Birgfellner Parteichef Jarosław Kaczyński und eine seiner Partei nahestehende Firma, ihn um das Honorar für jahrelange Arbeit betrogen zu haben. Und Giertych vertritt den Bankier Leszek Czarnecki: Der wies 2019 mit Gesprächsmitschnitten nach, dass ihm der damalige, eng mit der PiS-Spitze verbundene Chef der polnischen Finanzaufsicht aufforderte, ein Bestechungsgeld von umgerechnet knapp zehn Millionen Euro zu zahlen, um Probleme von Czarneckis unter Druck stehender Idea Bank zu lösen.

Der Bankier sollte als Mittelsmann einen unliebsamen Fernsehsender aufkaufen

In keinem dieser Skandale klärte die Justiz die Hintergründe auf. Stattdessen ermittelte die von Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro kontrollierte Staatsanwaltschaft gegen Czarnecki - wegen der angeblichen Beteiligung an Finanzmanipulationen, die der Banker selbst angezeigt hatte. Zuletzt verlangte die Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl gegen den in Monaco lebenden Bankier. Czarnecki zufolge versucht die Regierung, ihn zu diskreditieren, die eigenen Skandale herunterzuspielen und sich billig in den Besitz seiner Banken zu bringen, sagte er der polnischen Newsweek.

Czarnecki-Anwalt Giertych sagte, er sei festgenommen worden, um zu verhindern, dass er Spektakuläres enthülle: nämlich, dass Czarnecki jetzt ein weiteres, "letztes Angebot" bekommen habe, PiS-Aufseher über seine Banken zu akzeptieren - oder die Regierung werde "sich endgültig mit ihm auseinandersetzen". Czarnecki sei nahegelegt worden, in seinen unter Druck stehenden Banken den PiS-nahen Finanzmann Michał Krupiński zu beschäftigen, der direkten Zugang zu Justizminister Ziobro habe und Czarneckis Probleme lösen könne.

Außerdem solle Czarnecki den Fernsehsender TVN 24 kaufen. Polens größter unabhängiger Fernsehsender gehört US-Investoren und ist Polens Regierung wegen unabhängiger Berichterstattung ebenso ein Dorn im Auge wie andere unabhängig berichtende Medien im Besitz von Ausländern. Seit 2015 haben PiS-Größen bis hinauf zu Parteichef Kaczyński wiederholt öffentlich über Übernahme und Kontrolle dieser Medien nachgedacht - auch mithilfe von Gesetzen, die ausländischen Unternehmern den Besitz von Medien verbieten könnten.

Die Regierung will unabhängige Medien verstaatlichen

Czarnecki könne den Sender später mit Gewinn einer PiS-kontrollierten Staatsfirma verkaufen, dieses Vorgehen sei mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki abgesprochen, so habe man es dem Bankier bedeutet, sagt sein Anwalt. Czarnecki habe beide Vorschläge abgelehnt. Daraufhin hätten die Finanzbehörden Sanierungspläne für seine Banken abgelehnt, eine Kapitalaufstockung verhindert und seine Verhaftung angestrengt. Soweit die Darstellung Giertychs, der auch Gesprächsmitschnitte veröffentlichte.

Der Mittelsmann dieser angeblichen Vorschläge ist Adam Hofmann, bis zu einem Spesenskandal 2015 PiS-Parlamentarier und Parteisprecher und heute Miteigentümer einer mit Regierungskreisen zusammenarbeitenden PR-Agentur. Hofmann bestätigte, er habe mit Czarnecki etwa über den Kauf von TVN 24 gesprochen, erklärte aber, dies sei die Initiative des Bankiers gewesen. Ob die geplante Übernahme des kritischen Fernsehsenders tatsächlich mit Ministerpräsident Morawiecki besprochen wurde, wollte Hofmann weder bestätigen noch dementieren. Ein Regierungssprecher bestreitet es. Der Konzern Discovery, Eigentümer von TVN 24, erklärte, er habe nicht über einen Verkauf verhandelt.

Die polnische Newsweek bestätigte indes, Regierungskreise seien an der Übernahme von TVN 24 und anderen noch unabhängigen Medien interessiert - etwa durch die staatliche Öl- und Tankstellenfirma Orlen. Anwalt Giertych forderte die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Im Parlament hat indes die PiS die Mehrheit - und noch in keinem sie betreffenden Skandal einem Untersuchungsausschuss zugestimmt. Staatsanwalt Bogdan Święczkowski, rechte Hand von Justizminister-Generalstaatsanwalt Ziobro, kündigte bereits "neue Vorwürfe und Beweise" gegen Anwalt Giertych an.

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