Polen und Deutschland:Annäherung in schwierigen Zeiten

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Andrzej Duda und Joachim Gauck feiern den Nachbarschaftsvertrag und mahnen zu Geduld.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Der Bundespräsident nennt es "Prozess der Entfeindung". Aber ebenso gut hätte er das, was er sich vorgenommen hat, auch "Operation Entgiftung" nennen können. Donnerstag in Schloss Bellevue in Berlin, der polnische Präsident Andrzej Duda ist zu Besuch bei Joachim Gauck. Die Staatsoberhäupter, die politisch eher wenig verbindet, begehen den 25. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags. Er wurde am 17. Juni 1991 unterzeichnet, um die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen voranzubringen und ergänzte den deutsch-polnischen Grenzvertrag von 1990, der - 45 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - die Oder-Neiße-Linie zur unverletzlichen polnischen Westgrenze erklärte.

Wie viel Bitterkeit das deutsche Morden im Polen des Weltkriegs und die völkerrechtlich offen gehaltene Grenzfrage hinterlassen hat, wie giftig der Ton auch heute noch werden kann zwischen den Nachbarn, das lässt die zweitägige Begegnung der Staatspräsidenten nur erahnen. Sie beginnt am Donnerstag mit militärischen Ehren für Andrzej Duda in Berlin. Am Freitag reist Duda nach einem Treffen mit Angela Merkel gemeinsam mit Gauck nach Warschau, um auch dort den Nachbarschaftsvertrag zu feiern.

Zum Feiern aber gibt es wenig Anlass in Zeiten, in denen in Europa nationalistische Volksbewegungen an Kraft gewinnen. Die deutsche Regierung liegt mit der polnischen über Kreuz, weil diese so gut wie keine Flüchtlinge aufnehmen will. Staatspräsident Duda, der wie Jarosław Kaczyński der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit angehört, gilt zwar als den Deutschen wohlgesonnen. Doch schon beim letzten Treffen gab er zu verstehen, dass Polen mit der Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen seine Pflicht getan habe. Nach der Beschneidung von Meinungsfreiheit und Justiz in Polen sowie giftigen anti-deutschen Tönen hat sich das Verhältnis der Staaten abgekühlt.

Die Hintergrundmusik beim Jubiläum des Nachbarschaftsvertrags ist darum keineswegs harmonisch. Gerade deshalb aber scheinen sowohl Gauck als auch Duda beschlossen zu haben, Ressentiments ins Leere laufen zu lassen. "Die deutsch-polnische Annäherung im vergangenen Vierteljahrhundert wird als Zeitenwende in den Geschichtsbüchern vermerkt werden", sagt Gauck. Sicher, es habe auch Misstöne gegeben. "Da stieß die Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht nicht selten auf Groll von Vertriebenen, die unter dem Heimatverlust litten." Und die "polnische Angst vor einer Bundesrepublik, die von der kommunistischen Propaganda als revanchistisch gemalt worden war", sei mit mangelnder deutscher Empathie für Polen kollidiert.

Zwei Präsidenten unter sich: Andrzej Duda und Joachim Gauck. (Foto: AFP)

"Einander näher rücken. Einander zuhören. Einander ernst nehmen", diesen Appell von Karl Dedecius, eines Übersetzers polnischer Literatur, macht Gauck zum Leitmotiv seiner Rede, die sich vor allem dem erstaunlichen "Prozess der Entfeindung" zwischen Deutschen und Polen widmet. Dieser habe auch durch die Bewältigung von Konflikten gewonnen. "Wir erinnern uns alle an teilweise heftige und emotionale Debatten", sagt Gauck, so als lägen diese Debatten Jahrzehnte zurück. Gerade wegen unterschiedlicher Meinungen aber hätten Deutsche und Polen gelernt, sich "differenzierter" kennen zu lernen.

Und der ungelöste Rest? Der Streit über die Charta der Vertriebenen etwa, der auch den Deutschen Bundestag entzweit? Nationalistismus und Europaverachtung? Geduld, empfiehlt Gauck. Niemand könne erwarten, dass die Menschen Ostmitteleuropas die kulturellen Normen Westeuropas "wie selbstverständlich übernehmen". Und so sehr diese Gesellschaften die europäische Gemeinschaft bräuchten, so sehr seien auch "autonome Räume" nötig, in denen Menschen eigene Wege nach Europa finden - "in Übereinstimmung mit nationalen Erfahrungen und Traditionen".

Auch der polnische Präsident ist bemüht, die Konflikte in den Hintergrund treten zu lassen. "Die Polen brauchen die Deutschen, und die Deutschen brauchen die Polen", sagt er. "Wir können es uns nicht leisten, dass wir Misstrauen und Vorurteile aufbauen." Er sei überzeugt, dass beide Länder die "Krisen der Abneigung gegen Europa überwinden" könnten. Verständigung, trotz allem, lautet die Botschaft. Das Fußballspiel Deutschland gegen Polen am Abend jedoch schauen die Präsidenten sich vorsichtshalber getrennt an.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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