Ukraine-Krieg:"Die Welt schaut auf Polen"

Ukraine-Krieg: US-Vizepräsidentin Kamala Harris beim Besuch der 1st Airlift Base in Polen. Die USA wollen weitere Truppen nach Polen verlegen.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris beim Besuch der 1st Airlift Base in Polen. Die USA wollen weitere Truppen nach Polen verlegen.

(Foto: Leszek Szymanski/dpa)

US-Vizepräsidentin Harris bedankt sich in Warschau für die Hilfsbereitschaft des Landes - das aber auch ein schwieriger Partner bleibt

Von Viktoria Großmann, Warschau

Nationalversammlungen finden in Polen selten statt, und wenn, dann sind die Jahrestage wenigstens rund. Nun ist der Anlass für die Zusammenkunft beider Parlamentskammern, Sejm und Senat, der ziemlich unrunde 23. Jahrestag des Nato-Beitritts des Landes am 12. März 1999. Aber es sind Kriegszeiten, und das zeigt sich an den Gästen dieser Veranstaltung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wurden zur Sitzung am späten Freitagnachmittag zugeschaltet.

Zuerst sprach jedoch der polnische Präsident Andrzej Duda und begann mit einem, wie er sagte, "Aufruf an die gesamte freie Welt": Was in der Ukraine geschehe, zeige, dass "Russland immer noch ein böses Imperium" ist. Hinsichtlich der vielen ukrainischen Flüchtlinge in Polen sagte er: "Ich verneige mich vor den Millionen unserer Landsleute, die jeden Tag mit Gutem auf Böses reagieren." Polen aber sei sicher und zwar dank der Nato, die "ihren Mitgliedern unerschütterliche Sicherheit" biete.

Dabei schien sich Polen diese Woche längst nicht mehr sicher genug zu fühlen. Am Dienstagabend überrumpelte die polnische Regierung den Nato-Partner USA mit dem Vorschlag, alle polnischen Mig-29-Kampfflugzeuge an die Ukraine zu liefern und zwar über einen Umweg über die US-Militärbasis in Ramstein. Die USA lehnten ab - aus Sorge vor einer Eskalation des Krieges.

Polen scheint derzeit jede Forderung aus der Ukraine aufzunehmen: setzt sich für mehr Waffenlieferungen ein, für noch härtere Sanktionen gegen Russland sowie Belarus und auch für einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine.

Dank an die "polnischen Brüder und Schwestern"

Der ukrainische Präsident Selenskij dankte es den Mitgliedern der Nationalversammlung in seiner Ansprache, wie stets seit Kriegsausbruch erschien er im tarnfarbenen T-Shirt auf dem Bildschirm. Am Morgen des 24. Februar, sagte er, habe er keine Zweifel gehabt, wer den Ukrainern die Hände reichen werde: "Unsere polnischen Brüder und Schwestern." Jens Stoltenberg machte es kurz und bekannte sich zur Verteidigung des gesamten alliierten Territoriums: "Einer für alle, alle für einen."

Polen erhält gerade viel internationale Aufmerksamkeit. Weil es bereits etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat. Aber auch wegen seiner weitreichenden Forderungen an die Partner in der EU und bei der Nato.

Ukraine-Krieg: Eine Familie aus Odessa ist vorübergehend in einer Schulturnhalle in der polnischen Grenzstadt Przemyśl untergekommen.

Eine Familie aus Odessa ist vorübergehend in einer Schulturnhalle in der polnischen Grenzstadt Przemyśl untergekommen.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Dabei hatte es sich die rechtspopulistische PiS-Regierung in den vergangenen Jahren nicht nur mit den europäischen Nachbarn verdorben, sondern seit dem Amtsantritt von Joe Biden auch mit den Vereinigten Staaten. Wochenlang hatte Präsident Duda gezögert, bis er Biden endlich offiziell zur gewonnenen Wahl gratulierte, am Ende war er sogar später dran als der russische Präsident Wladimir Putin. Die Trump-Administration wurde von der polnischen Regierung verherrlicht als Beschützer gegen ein aggressives Russland.

Bei einem Besuch von US-Vizepräsidentin Kamala Harris in Warschau am Donnerstag war von Trump nicht mehr die Rede, stattdessen dankte Präsident Duda dem früheren Präsidenten Barack Obama, in dessen Amtszeit entschieden wurde, amerikanische Nato-Truppen dauerhaft in Polen zu stationieren.

Kein Einlenken im Streit über Rechtsstaatlichkeit

Sein Land müsse ein verantwortungsbewusstes Nato-Mitglied sein, sagte Duda nach dem Treffen mit Harris. Polen habe mit dem Vorschlag der Mig-29-Lieferungen einerseits die kämpfende Ukraine unterstützen wollen, die "deutliche und starke Erwartungen" an die Nachbarn formuliert habe. Andererseits habe man als glaubwürdiges Mitglied der Nato "das Bündnis auf keine Weise in eine schwierige Situation" bringen wollen. Polen will auch die eigene Armee weiter stärken und dringt auf schnellere Abwicklung eines Ankaufs aus den USA, der unter anderem Panzer und Raketenwerfer umfasst. Zudem appellierte Duda an die USA, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen.

Harris wollte sich dazu konkret nicht äußern, dankte stattdessen Polen für dessen große Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge. "Die Welt schaut auf Polen", sagte sie, die Menschen zeigten "außergewöhnliche Großzügigkeit". Auch Kanadas Premier Justin Trudeau kam am Donnerstag nach Warschau und traf seinen polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki sowie Präsident Duda. Die Polen verhielten sich "wunderbar" in der Krise, sagte Trudeau und sprach sich für möglichst strenge Sanktionen gegen Russland aus.

Den Rechtsstaatsstreit mit der EU scheint die polnische Regierung hingegen nicht beilegen zu wollen. In dieser Woche entschied das von der Regierung kontrollierte Verfassungsgericht, dass die Europäische Menschenrechtskonvention nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sei. Es geht dabei um das Recht auf eine unabhängige Justiz, das nach Ansicht von EU-Kommission und EuGH nicht mehr gegeben ist. Polnische Kommentatoren sprachen, ausgerechnet, von einer "Putinisierung" der Regierung.

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