Polen:Strafverfolgung für PiS-Abgeordnete

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Anti-PiS-Demo vergangenen Sommer in Warschau. (Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Die neue polnische Regierung ermittelt in vielen Fällen von Korruption und Vorteilsnahme gegen ihre Vorgänger. Doch die sind trotz guter Beweislage schwer zu fassen.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Nach weniger als 48 Stunden war Marcin Romanowski wieder frei. Die polnische Generalstaatsanwaltschaft warf dem Sejm-Abgeordneten und promovierten Juristen vor, an der Gründung einer kriminellen Vereinigung beteiligt gewesen zu sein, die „der Staatskasse großen Schaden“ zufügen wollte. Und zwar durch Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung. Wegen insgesamt elf Straftaten erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Der Sejm hatte auf Antrag bereits die Immunität des Mitglieds der PiS-Fraktion aufgehoben.

Doch Romanowski, der unter PiS vier Jahre lang Staatssekretär im Justizministerium war, schützt sein Sitz in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Und so kam er kurz nach seiner Festnahme Mitte Juli wieder frei, obwohl die Staatsanwaltschaft drei Monate Untersuchungshaft beantragt hatte. Nun soll der Europarat die Immunität Romanowskis prüfen.

Noch immer ist das Verfassungsgericht in der Hand der PiS

Ministerpräsident Donald Tusk hatte im Wahlkampf vergangenes Jahr versprochen, die Straftaten der PiS-Regierung restlos aufzudecken und juristisch zu verfolgen. Einfach ist das nicht. Zumal die Justiz noch nicht wieder völlig unabhängig arbeitet. Noch immer ist das Verfassungsgericht in der Hand der PiS, und Präsident Andrzej Duda schert sich nicht um Gesetzesentwürfe der neuen Regierung oder um Urteile unabhängiger Gerichte. Anfang des Jahres begnadigte er den früheren Innenminister und dessen Staatssekretär, die wegen Amtsmissbrauchs rechtskräftig zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt waren.

Die PiS-Partei nennt die beiden Begnadigten nur „politische Häftlinge“ und stellte unter anderem Daniel Obajtek, den früheren Chef des halbstaatlichen Energiekonzerns Orlen, für die Europawahl auf – dieser wurde ins Europäische Parlament gewählt und genießt nun Schutz vor Strafverfolgung. Ihm werden Korruption und illegale Wahlkampffinanzierung vorgeworfen.

Im Fall von Marcin Romanowski geht es um den sogenannten Justizfonds. Romanowski war als Mitarbeiter im Justizministerium Bevollmächtigter für diesen Fonds, dessen Mittel Opfern von Kriminalität zugutekommen sollen. Doch die PiS-Regierung erweiterte den Zweck des Fonds um den äußerst vagen und weit auszulegenden Punkt Verbrechensbekämpfung. So wurde mit Geld aus dem Justizfonds die Spionage-Software Pegasus finanziert, mit der nachweislich im Wahlkampf 2019 Politiker der damaligen Opposition abgehört wurden. Auch PiS-Leute selbst waren von illegalen Abhöraktionen betroffen.

Nach bisherigen Ermittlungsergebnissen und Untersuchungen der Landesvermögensanstalt reicht das System der Bereicherung an Staatsmitteln weit über den Justizfonds hinaus. Tusk sprach bei einer Pressekonferenz von einem „geschlossenen System“. Insgesamt gehe es um Veruntreuung staatlicher Mittel in Höhe von 100 Milliarden Złoty, umgerechnet etwa 23,3 Milliarden Euro.

Wahlkampf mit „Familienpicknicks“, bezahlt aus dem Regierungshaushalt

So sei aus insgesamt neun Ministerien Geld in den Wahlkampf der PiS-Partei geflossen. Vergangenen Sommer veranstaltete die Regierung im ganzen Land sogenannte Familienpicknicks mit Hüpfburgen, Militärübung und jeweils einem bekannten PiS-Politiker – unschwer als reine Wahlkampfveranstaltungen zu erkennen und bezahlt aus dem Regierungshaushalt.

Besonders hohe Ausgaben verzeichnete auch die Kanzlei des Ministerpräsidenten unter Tusks Amtsvorgänger Mateusz Morawiecki. Regelmäßig gab es hohe Überweisungen an verschiedene Fonds und Stiftungen – die PiS-Regierung hatte viele davon erst gegründet. In vielen dieser Institutionen wurden auffällig viele und gut bezahlte Mitarbeiter beschäftigt.

Ein prominentes Beispiel ist das von der PiS-Regierung gegründete Unternehmen, das den Wiederaufbau des Sächsischen Palais im Zentrum Warschaus bewerben sollte. Dafür wurde ein Büro in Bestlage mit Blick auf den Sächsischen Garten angemietet, Dienstwagen angeschafft, mehrere Mitarbeiter eingestellt – obwohl nicht einmal die Finanzierung des Wiederaufbaus gesichert ist.

Mit dem Schalten von Anzeigen wurden zudem Medien unterstützt, die im Sinne der PiS berichteten – kritischen Medien wie der größten Tageszeitung des Landes, Gazeta Wyborcza, wurden alle Anzeigen staatlicher Betriebe wie etwa der Bahn entzogen. Selbst Hotels und Privatwohnungen wurden über staatliche Stellen erworben, sagte Tusk in seiner Erklärung.

Dass Tusk, wie versprochen, die 100 Millionen Złoty zurückerhalten kann, erscheint Kritikern fraglich. So erklärte ein Mitarbeiter der Batory-Stiftung, die sich für Rechtsstaat und Demokratie einsetzt, dass die Zahl nicht ganz nachvollziehbar und wohl eher populistisch gerundet sei. Doch es stehe fest, dass die PiS-Regierung einen Missbrauch staatlicher Mittel und Institutionen „in nie da gewesenem Ausmaß“ betrieben habe, sagte er der Nachrichtenagentur PAP. Tusk aber nutze die Erkenntnisse der Ermittler auch für seinen Wahlkampf – 2025 wird ein neuer Präsident gewählt.

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