Rechtspopulistische Regierung:Triumph der polnischen Freizeitpartisanen

Jan 30 2016 Warsaw Poland Member of the paramilitary group teaches shooting in the military u

Patriotischer Feuereifer: ein Mitglied paramilitärischer Verbände bei Schießübungen nahe Warschau.

(Foto: Imago)
  • Der polnische Verteidigungsminister Macierewicz will die Armee mit mehreren Zehntausend Paramilitärs verstärken.
  • Das soll angeblich den russischen Nachbarn abschrecken und auch gegen "nicht-militärische Bedrohungen" helfen - wie zum Beispiel "Masseneinwanderung".
  • Die Opposition fürchtet, die rechtskonservative Regierungspartei Pis wolle eine Privatarmee aufbauen.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war der Ritterschlag für die Männer der Bürgerwehr "Strzelec OSW JS 4046" aus der westpolnischen Kleinstadt Sulechów. Auf Befehl des polnischen Verteidigungsministers durften die Freizeitkämpfer zum ersten Mal offiziell an einer großen Militärübung teilnehmen. Und so rückten die Männer der Einheit in der Nacht zum Freitag vergangener Woche aus, um an Anakonda-2016 teilzunehmen, der Übung mit 31 000 Soldaten aus Polen, den USA und 22 weiteren Ländern, einer der größten seit Ende des Kalten Krieges.

"Unsere Stunde ist gekommen!", jubelte Bürgerwehrmitglied Jacek Klimanek. Nach dem Willen des polnischen Verteidigungsministers sollen paramilitärische Einheiten Polens Armee künftig mit mehreren Zehntausend Männern verstärken. Schützenverbände und Bürgerwehren haben Tradition in Polen, das seine Existenz oft im Untergrundkampf gegen Russen oder Deutsche zu sichern suchte. Der mehr als 10 000 Mitglieder starke Schützenverband Strzelec wurde 1910 gegründet.

In den letzten Jahren kamen schätzungsweise 120 Bürgerwehrgruppen hinzu. Während in Deutschland Schützenverbände heute vor allem im Bierzelt kämpfen, üben polnische Freizeit-Partisanen an Wochenenden oder in den Ferien den Krieg im Gelände - erst recht, nachdem Russland 2014 die Ukraine angegriffen und die Krim annektiert hatte.

Bis Herbst 2015 regierte in Polen eine Mitte-rechts-Koalition. Sie war acht Jahre an der Macht und hielt lange Abstand zu den Bürgerwehren. Das änderte sich, als die nationalpopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) die Regierung und Antoni Macierewicz das Amt des Verteidigungsministers übernahm.

Der neue Minister ehrt die Paramilitärs, von denen viele mit dem nationalistischen Weltbild der Pis sympathisieren. Am 24. April unterschrieb der Minister den Beschluss, 35 000 Paramilitärs als "Territorialverteidigung" (Obrona Territorijalna, OT) in die Armee einzubinden. Dies sei wichtiger Teil einer neuen Militärdoktrin: Schließlich sei Polen "durch die Handlungen unseres nordöstlichen Nachbarn bedroht, durch Russland, das seine aggressiven Absichten nicht verheimlicht und seit 2008 systematisch Handlungen unternimmt, die zum Ziel haben, die Nachkriegsordnung in Europa zu destabilisieren und systematisch sowohl Polen wie unsere nächsten Nachbarn bedrohen".

Viele Bürgerwehren pflegen das Andenken an polnische Partisanen

Bisher sind, so der Minister, nur "ein paar Hundert" Bürgerwehrmänner in Armeestrukturen eingebunden. Von September an soll die Aufnahme aber im großem Stil beginnen, und bis Jahresende sollen die Einheiten mehrere Tausend Männer umfassen. 2019 schließlich sollen 35 000 Paramilitärs über ganz Polen verteilt und dem Generalstab unterstellt sein. Freilich sollen sie weiterhin Freizeitsoldaten bleiben. Ein Wochenende im Monat ist Training, dazu geht es einmal im Jahr auf den Truppenübungsplatz - das ist, in Friedenszeiten, die Mission der Männer.

Viele Bürgerwehren pflegen das Andenken der polnischen Untergrundarmee und der Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Wehrmacht und die SS kämpften und sich der Roten Armee und dem kommunistischen Regime der Nachkriegszeit widersetzten. Militärisch war das Wirken der Untergrundkämpfer wenig effektiv, der Warschauer Aufstand von 1944 war ein militärisches Desaster, das Zehntausende Zivilisten das Leben kostete und dazu führte, dass Hitler den größten Teil Warschaus dem Erdboden gleichmachen ließ.

Experten sehen auch heute den militärischen Wert der paramilitärischen Einheiten kritisch. Polen hat seine auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges einmal 450 000 Mann starke Armee auf knapp 100 000 reduziert und Wehrpflichtige durch Berufssoldaten ersetzt. Auch nach dem Beitritt zur Nato ist die Modernisierung der Armee nicht abgeschlossen. Polen muss Milliarden für neue Panzer, Hubschrauber, Schiffe oder Raketensysteme ausgeben. Das Geld für die Paramilitärs, die umgerechnet gut 100 Euro monatlich bekommen sollen, fehle für die Modernisierung der Streitkräfte, kritisierte Polens Opposition.

Opposition befürchtet, die Regierungspartei baue eine Privatarmee auf

Doch für Minister Macierewicz und die Pis geht es nicht in erster Linie um den militärischen Wert der Bürgerwehren - sondern um ihre Einbindung in den patriotischen Wiederaufbau des angeblich unter der Vorgängerregierung degenerierten Landes. Dieser wird von Pis-Chef Jarosław Kaczyński propagiert. Pis-Vertreter sehen die Paramilitärs als Gegengewicht zum "Klagen, Jammern, Stöhnen von Pazifisten, Linken und Verrätern der nationalen Sache". So sagte es der Pis-Abgeordnete Stanisław Pięta in einem Gruß an die "Kompanie der Volksverteidigung" in Cieszyna bei Kattowitz. Die Paramilitärs sollen den Patriotismus stärken, bekräftigte Minister Macierewicz am 2. Juni bei dem Treffen "Pro Defense 2016" in Masuren: "Das Vaterland hat auf euch gewartet, all die Jahre, als die polnischen Streitkräfte Stunden der Verkleinerung durchstanden."

Die Bürgerwehren sollen nicht nur in Kriegszeiten der regulären Armee militärisch zur Hand gehen, sondern auch im Frieden "präventive Milizaufgaben" erfüllen und gegen "nicht-militärische Bedrohungen" vorgehen, hielt das Pis-nahe Nationale Zentrum für Strategische Studien (NCSS) in einem Strategiepapier über die Territorialverteidigung fest. Generalstab und Ministerialbeauftragte waren an der Erstellung beteiligt.

"Masseneinwanderung arabischer und nordafrikanischer Herkunft"

Als Beispiele nannten die Planer die in anderen EU-Ländern auftretende "Masseneinwanderung arabischer und nordafrikanischer Herkunft", die zum "Anstieg organisierter Kriminalität" und zur "Destabilisierung des staatlichen Verwaltungsapparates" und zu weniger gesellschaftlicher Sicherheit führe. Generell könne die Einbindung der Bürgerwehren "ein wirksames Mittel werden, um sich gegen destabilisierende, die Sicherheit des Staates bedrohende Handlungen" zu schützen und in Friedenszeiten "das Operationspotenzial von Polizeieinheiten" zu stärken.

Die Opposition hält den angeblichen Einsatz gegen in Polen nicht existierende arabische und nordafrikanische Einwanderer für einen Vorwand. Sie befürchtet, die Pis wolle die Bürgerwehren als Quasi-Privatarmee für sich rekrutieren. Das Verteidigungsministerium dementierte aber, dass die Bürgerwehren gegen die Opposition eingesetzt würden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: