Polen:Stiller Staatsstreich

In Polen fahren zwar keine Panzer durch die Straßen, es werden keine Gegner in Fußballstadien zusammengetrieben. Gleichwohl kann man das, was seit November stattfindet, durchaus als stillen Staatsstreich bezeichnen.

Von Florian Hassel

Manchmal sollte man auf Zeitzeugen hören. Der Krakauer Dominikaner-Pater Józef Puciłowski, Geburtsjahr 1939, Sohn eines Polen und einer Ungarin, hat einiges erlebt. Er hat Krieg und Faschismus, ein kommunistisches Regime und den Wiedergewinn der Freiheit gesehen. Jetzt ist der als Autor bekannte Pater hoch besorgt - über den möglichen Verlust der Freiheit. Was in Polen vor sich gehe, trage die Merkmale eines Staatsstreiches, findet er. Die Regierung unter ihrem faktischen Chef Jarosław Kaczyński erinnert ihn an die Diktaturen Francos in Spanien oder Pinochets in Chile.

Des Paters Furcht mag auf den ersten Blick übertrieben scheinen: In Polen fahren keine Panzer durch die Straßen, es werden keine Gegner nachts verhaftet oder in Fußballstadien zusammengetrieben. Gleichwohl kann man das, was in Polen seit November 2015 stattfindet, durchaus als stillen Staatsstreich bezeichnen. Eine Regierung, die über keinerlei demokratisches Mandat für eine Änderung von Verfassung und Staatsaufbau verfügt, sortiert das Land mit atemberaubender Geschwindigkeit zu einem System um, das, je nach Standpunkt, an das kommunistische Regime erinnert oder an das autoritäre Polen des Józef Piłsudski in der Zeit zwischen beiden Weltkriegen. Polens öffentlich-rechtliche Medien sind unter Regierungskontrolle. Die Warschauer Abendnachrichten ähneln heute denen des russischen Fernsehens unter Wladimir Putin. Die Staatsanwaltschaft untersteht einem Generalstaatsanwalt, der gleichzeitig Justizminister ist. Schon wird die Justiz für Parteizwecke instrumentalisiert, etwa für die Einordnung des Unglücks von Smolensk, wo 2010 Polens damaliger Präsident Lech Kaczyński starb. Er soll nun als Opfer eines angeblichen russischen Terroranschlages für die regierende Partei Pis als Märtyrer instrumentalisiert werden.

Viele Polen warten nun auf eindeutige Worte des Papstes

Damit nicht genug. Die Armee hat eine personelle Säuberungen hinter sich. Die Geheimdienste unterstehen einem Mann, gegen den zum Zeitpunkt seiner Ernennung ein Strafverfahren lief. Die Macht von Geheimdienst und Polizei wurde mit fragwürdigen Überwachungsgesetzen erweitert. Die einzig verbleibende Kontrollinstanz, das Verfassungsgericht, ist seit einem halben Jahr gelähmt. Seine Urteile werden ignoriert, seine Unabhängigkeit mit verfassungswidrigen Gesetzen beseitigt. Und der Präsident, ebenfalls von der Pis gestellt, trägt die Rechtsbrüche mit.

Während dieser schleichende Staatsstreich in Europa zu Beginn noch auf Interesse, und auf ein Mindestmaß an Reaktion durch die EU-Kommission stieß, ist Europa jetzt anscheinend mit anderen Dingen beschäftigt: mit dem Brexit und dem Terror in Frankreich, den nicht so stillen Ereignissen in der Türkei und dem Wahlkampf in den USA. Kaczyński kann anscheinend weitermachen, wie es ihm beliebt. Und seine nationalpopulistische Revolution ist kaum am Ende: Schon wird gegen Minister der Vorgängerregierung ermittelt und gegen Bürgermeister wichtiger Städte wie Danzig. Schauprozesse könnten folgen. Auch eine Änderung des Wahlrechts ist im Gespräch, die der Pis mehr Kontrolle über die Regionen bringen soll.

Dominikanerpater Puciłowski hofft jetzt auf den Besuch von Papst Franziskus, der an diesem Mittwoch beginnt. Einer seiner Vorgänger, der polnische Papst Johannes Paul II, hatte bei drei Polen-Besuchen zu kommunistischer Zeit eindeutige Worte zu Freiheit und Menschenrechten gesprochen, die Millionen Menschen bei ihrem Wunsch nach einem freien Leben und Demokratie beflügelten. Papst Franziskus kommt zwar nicht zum Staatsbesuch, sondern zum Weltjugendtreffen nach Polen. Dennoch kann jedes seiner Worte zählen - erst recht für eine Regierung, die sich als gut katholisch ausgibt.

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