Polen, Steinbach und die Presse:Aufregung um die "blonde Bestie"

Wie die polnischen Medien und der frühere Außenminister Bartoszewski ein Zerrbild von der Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach zeichnen.

Thomas Urban

Die nationalkonservative Zeitung Rzeczpospolita sieht die "Schlacht um die Geschichte" fast gewonnen: Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), stehe eine schlimme Niederlage bevor, sie werde nicht in den Beirat der Berliner Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung aufgenommen.

Polen, Steinbach und die Presse: Erika Steinbach als SS-Domina auf dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder: Titelbild des Wochenblattes "Wprost" von 2003. Für die Vollansicht auf die Lupe klicken

Erika Steinbach als SS-Domina auf dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder: Titelbild des Wochenblattes "Wprost" von 2003. Für die Vollansicht auf die Lupe klicken

(Foto: Foto: AP)

Die linksliberale Gazeta Wyborcza frohlockt: "Steinbach wird nicht länger die deutsch-polnischen Beziehungen vergiften." Und Ministerpräsident Donald Tusk sagte am Dienstag unmissverständlich: "Für Polen ist diese Person inakzeptabel." Es gibt in Polen also einen breiten Konsens, dass die CDU-Abgeordnete ein "Feind der Nation" ist.

Aus diesem Grund forderten am Dienstag auch SPD, Grüne, FDP und die Linke Steinbach auf, auf ihre Kandidatur für den Beirat zu verzichten.

Der frühere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, trotz seiner 87 Jahre immer noch Sonderbeauftragter Warschaus für die schwierigen Beziehungen zu Deutschland und Israel, polterte: Eine Mitgliedschaft Steinbachs in dem Beirat wäre so, als ob der Vatikan den Holocaust-Leugner Richard Williamson als Nuntius nach Israel schicken würde.

Eine Steinbach-Psychose, die später peinlich wird

Bartoszewski, der zu Beginn des Krieges sechs Monate im Arbeitslager AuschwitzI inhaftiert war, bevor die Deutschen ihn freiließen, hat als Brückenbauer zwischen Deutschen und Polen viele Auszeichnungen erhalten. Steinbach verhehlt nicht, dass dieser Angriff sie verletzt hat: Sie hat viele Jahre deutsch-israelischen und christlich-jüdischen Gremien angehört - was die polnische Presse bislang nie berichtet hat.

Bei einer Debatte über den deutsch-polnischen Geschichtsstreit in einer Krakauer Hochschule fragten die Diskutanten nach den Ursachen für die Aufregung um die BdV-Vorsitzende. Ein Professor stellte fest: "Es gibt bei uns eine Steinbach-Psychose, die uns in ein paar Jahren peinlich sein wird."

Doch als ein Reporter ihn bat, diesen Satz ins Mikrophon zu wiederholen, lehnte er ab: "Ich werde mich doch nicht freiwillig dem Volkszorn aussetzen." Der Streit um Steinbach begann in Polen, als sie 1998 nach ihrer Wahl zur BdV-Vorsitzenden erklärte, Warschau müsse wenigstens symbolisch eine Entschädigung für die Vertreibung von Millionen Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße leisten. Sonst müsse Berlin den Beitritt Polens zur EU blockieren.

Ausgerechnet Bartoszewski verteidigte sie damals. Er erklärte, es sei doch offensichtlich, dass es sich nur um Rhetorik handele, die die Position Steinbachs gegenüber der Altherrenriege im BdV festigen solle. Er halte sie für eine rationale Person, mit der man reden solle.

Bartoszewski wurde wenig später vom früheren SPD-Generalsekretär Peter Glotz, der gemeinsam mit Steinbach die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen gegründet hatte, eingeladen, deren Beirat beizutreten. Nach Glotz' Aussagen zeigte er daran Interesse, nachdem ihm zugesichert worden sei, dass in dem geplanten Zentrum auch das Schicksal der von den deutschen Besatzern im Krieg vertriebenen Polen ausführlich dokumentiert werden solle, dass keineswegs eine national intonierte Leidensgeschichte der deutschen Vertriebenen angestrebt werde.

Aufregung um die "blonde Bestie"

Drei Jahre später hatte Bartoszewski seine Meinung völlig geändert. Er schimpfte, die Deutschen begännen, ihre Geschichte zu Lasten der Polen zu fälschen: "Es soll das Wissen vermittelt werden, nur Juden und Deutsche seien Opfer des Krieges geworden."

Bartoszewski AFP

Erbitterter Steinbach-Gegner: Auschwitz-Überlebender und Ex-Außenminister Bartoszewski

(Foto: Foto: AFP)

Fortan nutzte er jede Gelegenheit, Steinbach anzugreifen. Als Hauptargument sagte er, Steinbach, die er sogar "blonde Bestie" nannte, sei eine "falsche Vertriebene", da sie 1943 als Tochter eines Luftwaffen-Feldwebels unweit von Danzig im besetzten Polen geboren worden sei. Allerdings stammt ihr Vater aus Niederschlesien.

Bartoszewski löste eine Medienkampagne aus, die in den demokratischen Staaten Europas wohl einmalig sein dürfte.

Fotos zeigen Steinbach grundsätzlich in unvorteilhaften Posen, das Wochenmagazin Wprost brachte sie gar als SS-Domina auf das Titelblatt. Die Korrespondenten von New York Times, Le Monde und der Madrider Zeitung El País kamen staunend zum selben Ergebnis: Da finde eine Feindkampagne statt.

Immer wieder goss dabei auch der greise Bartoszewski Öl ins Feuer und schockierte damit viele seiner alten Freunde unter den deutschen Christdemokraten und Katholiken. So erklärte er allen Ernstes, in der Vertreibungsdebatte "geht es nur ums Geld".

Dabei war er der erste polnische Spitzenpolitiker gewesen, der öffentlich das Los der Vertriebenen gewürdigt hatte, in einer Rede vor dem Bundestag zum 50.Jahrestag des Kriegsendes.

Daran knüpfte Hans Maier, der langjährige Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken an, als er in einem Schreiben an Bartoszewski darauf hinwies, dass eine wahre Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen auch die Vertriebenen einbeziehen müsse.

Unterschlagene Verdienste

Doch keine polnische Zeitung wollte den offenen Brief Maiers abdrucken, so wie auch Botschaften der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. an den BdV in Polen so gut wie kein Echo fanden.

Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Horst Köhler, Bundestagspräsident Norbert Lammert, der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans Pöttering, sowie mehrere katholische Bischöfe versuchten vergebens, Bartoszewski davon zu überzeugen, dass Steinbach den BdV auf den Weg der Versöhnung geführt habe.

In der Tat hat sie einen Kurswechsel durchgesetzt. So erhebt der BdV keinerlei Forderungen mehr an die Adresse Warschaus. Sie hat dabei eine kleine Gruppe unversöhnlicher Vertriebener isoliert, die über die Rechtsberatungsfirma Preußische Treuhand nach wie vor Eigentumsansprüche geltend machen.

Sie weist immer wieder darauf hin, dass die Vertriebenen "Opfer der Politik Hitlers" seien. Sie hat vor drei Jahren die erste Ausstellung in der Bundesrepublik organisiert, die auch das Schicksal der polnischen Vertriebenen zeigte.

Die polnischen Medien haben über diese Entwicklungen entweder überhaupt nicht berichtet oder sie als Täuschungsmanöver einer Revanchistin dargestellt. Immer wieder werden Aussagen von ihr völlig aus dem Zusammenhang gerissen und somit verfälscht.

So berichteten mehrere Zeitungen sowie das staatliche Fernsehen vor drei Jahren in großer Aufmachung, Erika Steinbach habe gefordert, an der Konzeption des Museums des Warschauer Aufstandes beteiligt zu werden. Dies wurde als unerträgliche Unverschämtheit angeprangert.

In Wirklichkeit hatte sie genau das Gegenteil erklärt. Eine Richtigstellung aber druckte keine einzige Zeitung.

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