Süddeutsche Zeitung

Polen:Meine Sprache, deine Sprache

Polens Parlament kürzt die Mittel für den Sprachunterricht der deutschen Minderheit. Warum?

Von Viktoria Großmann

Die deutsche Minderheit in Polen ist nicht groß, etwa 300 000 der 38 Millionen Einwohner des Landes bekennen ihre Zugehörigkeit. Doch dass die Schulkinder dieser Minderheit fortan in Polen benachteiligt werden sollen, beschäftigt nun auch deutsche Bundestagsabgeordnete. Laut Gesetz steht den Angehörigen von Minderheiten ein Unterricht in ihrer Sprache von drei Wochenstunden zu - am Freitag wurde die entsprechende Verordnung verändert, Angehörige der deutschen Minderheit sollen nur noch eine Wochenstunde bekommen. Warum? Weil laut polnischer Regierung Schüler polnischer Abstammung in Deutschland nicht ausreichend gefördert würden. Das gesparte Geld soll polnischen Organisationen in Deutschland zugutekommen.

"Inakzeptabel" nennt der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Bernd Fabritius, die Angelegenheit. Von "gezielter Diskriminierung" spricht die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und die SPD erklärt, das sei ein "weiterer Versuch, mit anti-deutscher Politik innenpolitisch zu punkten". Alle betonen sie den Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen.

Das polnische Bundesnetzwerk für Partizipation und Soziales, ein Dachverband polnischer Organisationen in Deutschland, möchte das Geld, das sich die polnische Regierung auf diese Weise spart, gar nicht haben. "Wir wollen und brauchen keine Unterstützung auf Kosten der Ausgrenzung anderer", heißt es in einer offiziellen Erklärung, die auch an die polnische Regierung geschickt wurde. "Wir sind nicht damit einverstanden, dass diese Lösungen ohne Gespräche mit uns und ohne Kenntnis der Situation in Deutschland umgesetzt werden." Laut dem Bundesbeauftragten Fabritius gibt es ohnehin "keine ungedeckte Nachfrage nach Polnischunterricht".

Die polnische Regierung will Symmetrie

Der polnischen Regierung geht es aber offenbar um etwas anderes, nämlich um Gleichheit. Die Änderung der Verordnung soll demnach "die polnisch-deutsche Symmetrie in den gegenseitigen Beziehungen in Bezug auf die Behandlung der deutschen Minderheit in Polen und der polnischen Minderheit in Deutschland wiederherstellen". So wird der stellvertretende Bildungsminister Dariusz Piontkowski in polnischen Medien zitiert.

Knapp 900 000 polnische Staatsbürger leben in Deutschland. Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland haben polnische Wurzeln - wobei auch deutsche Spätaussiedler mitgezählt werden. Doch anerkannte Minderheiten sind in Deutschland nur die seit Jahrhunderten hier lebenden Roma und Sinti, Sorben, Friesen und Dänen. Nicht zum ersten Mal aber drängt die polnische Seite darauf, Deutschland solle auch die Polen offiziell als Minderheit anerkennen. Zuletzt sprach der polnische Präsident Andrzej Duda das Thema an, als er mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Juni den 30. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages feierte. Genau dieses Abkommen verletzt Polen nun - denn darin ist die Förderung der deutschen Minderheit festgeschrieben.

Auch Deutschland verpflichtet sich zu entsprechender Sprachförderung. Für Nordrhein-Westfalen listet das polnische Bundesnetzwerk allein 70 Städte auf, in denen an Schulen Polnisch angeboten wird. "Realitätsfremd" nennt die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt die Vorhaltungen aus Warschau: "Allein in Nordrhein-Westfalen erhalten dadurch mehr als 5000 Schülerinnen und Schüler herkunftssprachigen Polnischunterricht."

Doch besonders viel ist das nicht. Tatsächlich haben die Vorwürfe aus Polen einen wahren Kern. Während an polnischen Schulen Deutsch nach Englisch oft die zweite Fremdsprache ist, läuft Polnisch an deutschen Schulen in der Statistik unter "Sonstige", außer NRW bemühen sich vor allem Brandenburg und Sachsen um Polnisch als Schulfach. Allein, es fehlt an der Nachfrage. Anders in Polen, wo die deutsche Minderheit Deutsch als unerlässlich für "einen guten Start auf dem Arbeitsmarkt" ansieht. Zum Schuljahresbeginn am 1. September 2022 soll die Verordnung in Kraft treten, bis dahin wollen die Vertreter der Minderheit noch bei EU und Bundesregierung für den Deutsch-Unterricht kämpfen.

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