Süddeutsche Zeitung

Polen:Sieg der Dumpfen

In Warschau regiert künftig eine Partei, die einen fremdenfeindlichen, demagogischen, nationalistischen Wahlkampf geführt hat. Für das Land und Europa könnte das verheerend sein.

Von Florian Hassel

Der Wahlsieg, den Jarosław Kaczyński und seine nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) in Polen errungen haben, ist ein weiteres Beispiel für die Rückkehr von Nationalismus und Populismus in Europa. Der Erfolg stimmt umso nachdenklicher, als Polen ja nicht in einer Krise steckt, sondern die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU ist und für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent erwartet. Trotzdem waren viele Polen unzufrieden, sie haben die für den Aufschwung verantwortliche Regierung abgewählt und Kaczyński die größte politische Dominanz beschert, die je ein polnischer Politiker seit Ende des Kommunismus hatte.

Der Sieg war nicht nur dem effektiven Wahlkampf der Pis geschuldet, sondern auch der Schwäche, ja Feigheit der politischen Konkurrenz. Die Pis hat sich nie verstellt, sondern im Wahlkampf offen Fremdenfeindlichkeit betont und die Übernahme von Flüchtlingen im großen Stil ebenso abgelehnt wie die weitere EU-Integration oder gesellschaftliche Modernisierungsprozesse wie künstliche Befruchtung. Sie wurde dabei von 38 Prozent der polnischen Wähler unterstützt. Weitere neun Prozent haben den fremdenfeindlichen Rocksänger Paweł Kukiz gewählt, noch einmal fünf Prozent den ebenfalls europaskeptischen Janusz Korwin-Mikke. Der Wahlausgang zeigt ein weiteres Mal, dass in Europa längst nicht alle Bürger so aufgeschlossen und liberal sind, wie es wünschenswert wäre.

Die Pis ist fremdenfeindlich, demagogisch und nationalistisch

Die Pis versprach im Wahlkampf vielen vieles. Jetzt wird sie viel erfüllen müssen. Schließlich kann sie sich als übermächtige Partei nicht damit herausreden, sie habe wegen eines störrischen Koalitionspartners dieses oder jenes nicht umsetzen können. Die Wahlversprechen sind verheerend, nicht nur, weil sie Polen Milliarden kosten, sondern weil es keine Investitionen in die Zukunft oder die Infrastruktur sind. Der Wählerkauf wird sich bestenfalls in einem kurzfristig höheren Konsum niederschlagen. Das mag den Polen gefallen, die sich zu kurz gekommen fühlen. Dem Land und seiner immer noch eingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit dient es aber nicht.

Die Pis ist weniger eine klassische Partei als ein Wahlverein unter einem charismatischen Führer - Jarosław Kaczyński. Er ist ein bekennender Bewunderer des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dessen autoritären Regierungsstils. Nach einer Niederlage bei der polnischen Parlamentswahl 2011 orakelte Kaczyński, das "Budapest in Warschau" werde schon noch kommen. Die Frage ist, ob dies nun bevorsteht; ob nach Orbán, der bisher noch einen Paria-Status in Europa hat, jetzt auch Kaczyński im ungleich größeren Polen - dem bedeutendsten Land in Osteuropa - einen autoritären Staatsumbau durchsetzt. Das wäre ein Wandel, der Europa weiter schwächen würde.

Die Blaupause für diesen Umbau, ein entsprechender Verfassungsentwurf der Pis, existiert seit Jahren. Manche Beobachter glauben nicht, dass Kaczyński ihn umsetzen will. Bei der Pis hätten ja schon die Regierungsjahre von 2005 bis 2007 gezeigt, dass sie pragmatischer handle, als Slogans und Programme es vermuten ließen. Doch damals regierte die Pis nur kurz und nicht mit einer vergleichbaren politischen Dominanz.

Auch bei der ersten Wahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten wiegelten viele Beobachter zunächst ab. Putin werde von liberalen Ratgebern gezähmt, hieß es; ähnlich war es bei Viktor Orbán. Tatsächlich begannen sowohl Putin wie Orbán umgehend mit dem Aufbau eines autoritären Staates. Gewiss, Kaczyński braucht dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Doch die ist angesichts weiterer nationalistischer Parteien im neuen Parlament nicht ausgeschlossen.

Selbst wenn Polens Verfassung unangetastet bleibt, dürfte es für liberale Polen ungemütlich werden. Eine enge Zusammenarbeit mit der in Polen zum Großteil sehr konservativen katholischen Kirche, wenig Verständnis für kritische Presse, ein mythenbasierter Umgang mit der Geschichte, die mögliche Instrumentalisierung von Justiz und Geheimdiensten gegen politische Gegner - all das werfen Kritiker der Pis vor. In den vergangenen Wochen schreckte Kaczyński auch vor offener Demagogie nicht zurück, etwa, als er behauptete, in Schweden gelte wegen der Aufnahme muslimischer Flüchtlinge teils schon die Scharia. Oder als er wenige Tage vor der Wahl bei einem Auftritt behauptete, Migranten schleppten Krankheiten nach Europa ein, die Einheimische gefährdeten. Experten der UN nannten das umgehend Unsinn.

Polen hat gewählt und einem Mann große Macht gegeben. Es könnte sein, dass viele Polen das noch bereuen werden.

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SZ vom 27.10.2015
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