Polen:Seine Exzellenz, "IM Wolfgang"

Witold Waszczykowski: Deutschland ist wichtigster EU-Partner

Mäßige Begeisterung: Polens Außenminister Witold Waszczykowski (rechts) hatte bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr eine vollkommen neue Außenpolitik angekündigt - zuletzt klappte jedoch eher wenig.

(Foto: Czarek Sokolowski/dpa)

Die Regierungspartei Pis wollte mit einem Gesetz unliebsame Diplomaten kaltstellen - trifft aber aus Versehen einen wichtigen Mann aus den eigenen Reihen. Auch sonst läuft wenig rund in Warschaus Außenpolitik.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war Ende Februar, als Polens Außenminister einen Gesetzentwurf zur Reform des diplomatischen Dienstes fertigstellte. Die "unzureichend starke Bindung polnischer Diplomaten an den polnischen Staat" sei ein Problem, viele von ihnen kämen noch aus Zeiten der kommunistischen Volksrepublik. Deshalb sollten - unter anderem - alle Diplomaten entlassen werden, die von 1944 bis 1990 Mitarbeiter der Staatssicherheit (SB) waren.

Der Minister hätte den Entwurf vielleicht umformuliert, hätte er gewusst, welche Dokumente das für Vergangenheitsbewältigung zuständige Institut für nationales Gedenken am 3. März veröffentlichen würde: etwa die SB-Personalakte 3889 vom 11. Juni 1979. Da verpflichtete sich der Philosophiestudent Andrzej Przyłębski, als "IM Wolfgang" Mitstudenten zu bespitzen.

Aus dem Studenten wurde später ein Professor und Anhänger der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis). Seit Juli 2016 ist Przyłębski polnischer Botschafter in Berlin. Nach seiner Enttarnung rechtfertigte sich Przyłębski, er habe vielleicht etwas unterschrieben, aber nie Berichte geliefert. Gleichwohl schlug die Nachricht in Warschau ein: Schließlich reitet die Pis seit Langem eine Kampagne gegen ehemalige SB-Zuträger, etwa gegen den legendären Solidarność-Führer und Ex-Präsidenten Lech Wałęsa.

Selbst regierungsnahe Blätter befinden, dass der Ruf Polens einen Tiefpunkt erreicht habe

Die Regierung müsste nun entweder das schon dem Kabinett zum Beschluss vorliegende Gesetz ändern - oder den Botschafter entlassen, einen der prominentesten Vertreter der Pis-Linie im Ausland.

Seine für Warschau unangenehme Enttarnung passt in eine Reihe von Pannen, rhetorischen Entgleisungen und Niederlagen der polnischen Diplomatie, wie auch jüngst die späte wie aussichtslose Nominierung des EU-Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski anstelle Donald Tusks für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates.

Dabei sollte eigentlich alles anders werden in der polnischen Außenpolitik. Im Januar 2016, zwei Monate nach der Regierungsübernahme, stellte Außenminister Witold Waszczykowski neue Leitsätze vor: England sollte neuer Hauptverbündeter Polens in der EU werden, Warschau wollte zudem andere Staaten in Zentraleuropa an sich binden, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer, um so ein Gegengewicht zu den EU-Schwergewichten Deutschland und Frankreich zu schaffen.

Wenige Monate später stimmten die Briten für den EU-Austritt, die Achse London-Warschau wurde nie geschmiedet. Auch aus der Führungsrolle in Zentraleuropa wurde nichts.

Und wie um sein ohnehin schon angespanntes Verhältnis zu Moskau weiter zu verschlechtern, kündigte Waszczykowski an, Russland wegen angeblich unzureichender Kooperationsbereitschaft bei der Untersuchung des Flugzeugunglücks von Smolensk vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verklagen.

Bei dem durch einen Pilotenfehler ausgelösten Unglück starb 2010 der damalige Präsident Lech Kaczyński. Zwillingsbruder Jarosław, heute Polens mächtigster Mann, sieht Polens damaligen Regierungschef Tusk als mitschuldig - einer der Gründe, warum Warschau sich nun weigert, Tusk für eine zweite Amtszeit zu unterstützen.

Durch die Kandidatur des selbst in Polen unbekannten Jacek Saryusz-Wolski finde sich die Regierung "in beispielloser Isolation" wieder, stellte selbst das regierungsnahe Blatt Rzeczpospolita fest. "Der Ruf Polens hat einen Tiefpunkt erreicht", so sah es auch die Gazeta Wyborcza. Seit gut einem Jahr läuft ein EU-Rechtsstaatsverfahren wegen der Demontage des Verfassungsgerichts. Zuletzt verbat sich Außenminister Waszczykowski beim Schlagabtausch mit EU-Kommissionsvize Frans Timmermans auf der Münchner Sicherheitskonferenz die angebliche Einmischung in polnische Angelegenheiten.

Es war nur eine von vielen Entgleisungen des polnischen Chefdiplomaten: Berühmt-berüchtigt ist seine Warnung vor einer "Welt aus Fahrradfahrern und Vegetariern". Das Zeug zur Legende hat ein Aussetzer vom 10. Januar: Da versicherte der Minister, Polen habe für einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat auch um die Unterstützung des Karibikstaats San Escobar geworben. Leider existierte dieser Staat nur in Waszczykowskis Fantasie. Das Wochenmagazin Polityka spottete, es sei nicht schlecht, gute Beziehungen zu nicht existierenden Ländern zu pflegen - "vor allem in einer Situation, in der sich die Beziehungen Polens zu Staaten, die es bereits gibt, nicht zum Besten entwickeln".

Dennoch hat Waszczykowski bisher alle Pannen überlebt, während Dutzende polnische Botschafter und Leiter polnischer Kulturinstitute im Ausland seit 2016 ihre Posten verlassen mussten. Und das scheint nur der Anfang zu sein: Dem neuen Gesetzentwurf zufolge sollen die Arbeitsverträge aller circa 5000 Angehörigen des diplomatischen Dienstes sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes auslaufen. Nach einer "komplexen Überprüfung" sollen nur diejenigen neue Verträge bekommen, deren Vergangenheit der Regierung genehm ist. Mit einem ähnlichen Gesetz geht die Pis schon seit Ende 2015 im öffentlichen Dienst vor - und ersetzt vor allem leitende Beamte durch ihre Parteigänger.

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