Polen rügen Nobelpreis für Müller:"Groteske Scherze"

Rechte Polen kritisieren den Literatur-Nobelpreis für Herta Müller. Sie sehen darin ein "Puzzleteil" in dem groß angelegten Versuch Deutschlands, sich als Opfer des Zweiten Weltkrieges darzustellen.

Thomas Urban

Am Anfang waren alle einer Meinung: Die großen polnischen Zeitungen lobten die Entscheidung des Stockholmer Komitees, der Rumäniendeutschen Herta Müller den Nobelpreis für Literatur zuzuerkennen.

Herta Müller

Nicht allen Polen gefällt die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller.

(Foto: Foto: dpa)

Die Linken und Liberalen sind weiterhin dieser Ansicht, doch nun kritisiert die rechte Presse die Vergabe an eine Autorin, die das Schicksal der Rumäniendeutschen beschreibe, die zuvor Hitler zugejubelt hätten.

Der Literaturhistoriker Jacek Cieslak schreibt in der nationalkonservativen Zeitung Rzeczpospolita, die Auszeichnung für Müller belege, dass die Bemühungen der Deutschen, ihr Geschichtsbild durchzusetzen, überaus erfolgreich seien. Der Preis sei ein "weiteres Puzzleteil" in ihrem groß angelegten Versuch, sich als Opfer des Zweiten Weltkrieges darzustellen.

Herta Müller ist in der Szene an der Weichsel gut bekannt: Sieben ihrer Bücher sind in den letzten sechs Jahren auf Polnisch erschienen. Sie wird also als wichtige Stimme der neuen deutschen Literatur wahrgenommen.

Sowohl die linksliberale Gazeta Wyborcza als auch Rzeczpospolita waren sich in ihren ersten Analysen einig: Es ist gut, dass dank der Werke Müllers die Schrecken und die jede individuelle Energie erstickenden Mechanismen des Kommunismus wieder mehr in das westliche Bewusstsein dringen.

Es ist ja ein wunder Punkt in der polnischen Geschichtsdebatte, dass das Leiden der Ostpolen unter sowjetischer Besatzung in den ersten beiden Kriegsjahren und unmittelbar nach dem Krieg im Westen so wenig bekannt ist. In mancher Besprechung von Müllers Werken wird nun darauf hingewiesen, dass Hunderttausende Polen dasselbe Schicksal erlebt hätten wie die Helden ihres Romans "Atemschaukel": Auch sie wurden als angebliche Sowjetfeinde nach Sibirien deportiert. Unzählige Polen haben auch die schleichende Angst erlebt, die die Gesellschaft gelähmt hat. Hier erkannte man sich im Werk einer Deutschen wieder.

Doch schon nach wenigen Tagen machte sich in der rechts orientierten polnischen Presse Skepsis breit, die einflussreiche Rzeczpospolita verurteilte nun sogar schroff die Verleihung des Nobelpreises an die Autorin, die erst 1987 als Angehörige der deutschen Minderheit aus dem neostalinistischen Rumänien in die Bundesrepublik ausreisen konnte.

Auf anderthalb Seiten legte der Literaturhistoriker Cieslak dar, dass die Deutschen die Geschichte in ihrem Sinne umschreiben, sich als Opfer darstellen wollten. Zwar sei Herta Müller persönlich nicht dafür verantwortlich zu machen, dass ihr Vater in die Waffen-SS eingetreten sei.

Kollektivhaftung für die Deutschen

Doch dass das von ihr beschriebene Los der Rumäniendeutschen nach dem Krieg, die während des Krieges Hitler zugejubelt hätten, auf eine Stufe mit dem Roman "Kaddisch für ein nichtgeborenes Kind" des ungarischen Holocaust-Überlebenden und Nobelpreisträgers Imre Kertész gestellt werde, sei eine "Perversion", die in die Kategorie "groteske Scherze" des Stockholmer Nobel-Komitees gehöre. Er komme nicht umhin, einen Bogen von der SS-Uniform von Herta Müllers Vater zu der heimlichen Unterstützung der angeblich neutralen Schweden für Hitler im Krieg zu schlagen.

Als Beleg für den Versuch der deutschen Gesellschaft, die Geschichte umzuschreiben, führt Cieslak die Vertreibungsdebatte in der Bundesrepublik an. So schreibt die Nobelpreisträgerin Herta Müller - zweifellos ungewollt - ein weiteres Kapitel in der überaus emotional geführten innerpolnischen Debatte über die Beziehungen zu den deutschen Nachbarn. Die links und liberal eingestellten Publizisten vertreten die Meinung, allen Opfern des Krieges gebühre Anteilnahme und Mitleid. Das nationale Lager aber will die Deutschen im Osten, die für den Vernichtungskrieg und die grausame Besatzungspolitik des NS-Regimes einen besonders hohen Preis zahlen mussten, in Kollektivhaftung dafür nehmen. Auch die Rumäniendeutschen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: