Polen:Cool in der Gefahr

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"Wir brauchen eine bessere Raketenabwehr": Polnische Polizisten am Mittwoch in der Nähe des Einschlagsortes im Dorf Przewodów . (Foto: Omar Marques/Getty Images)

Manche Nachbarländer waren schnell mit Schuldzuweisungen, doch Polens Regierung reagiert ausgesprochen besonnen.

Von Viktoria Großmann

In Tschechien, in Estland, in Lettland und der Slowakei waren sie schnell. Mit entschlossenen Worten sprachen verschiedene Minister von einer "Eskalation", gar von einem "Verbrechen". Man dürfe das nicht hinnehmen. Sie beeilten sich, Polen ihre uneingeschränkte Solidarität zu versichern. Nur, was sagte der Adressat all der guten Worte? Während bei den Nachbarn die Aufregung groß war, schwieg die polnische Regierung zunächst. Regierungssprecher Piotr Müller mahnte lediglich, keine unbestätigten Informationen zu verbreiten. Noch bis zum späten Abend sprach die Regierung offiziell nur von Explosionen, ohne auf die Ursache einzugehen.

Polens rechtspopulistische Regierung ist eher nicht für leise Töne bekannt, für Provokationen schon eher. Doch in dieser bedrohlichen Lage wirkt sie umsichtig. Nur Justizminister Zbigniew Ziobro vom rechtsextremen Koalitionspartner der PiS tanzte aus der Reihe und sprach schon früh von "Raketenexplosionen". Zudem tat der staatliche Sender TV Polska, Verlautbarungsmedium der Regierung, auch in dieser Situation, was er immer tut: Er schürte die Stimmung gegen die Opposition.

Dabei hat Oppositionsführer Donald Tusk von der konservativen Bürgerplattform bereits am Dienstagabend versichert, man werde zusammenstehen und die Regierung konstruktiv unterstützen. Einheit sei nötig und zwar "ungeachtet der Unterschiede, Konflikte und politischen Emotionen in Polen", ergänzte er am Mittwoch im Fernsehsender TVN24. Die Partei setzte sogar eine Pressekonferenz aus, bei der sie ihr Fazit aus sieben Jahren PiS-Regierung darlegen wollte.

Nicht viel anders klang Szymon Hołownia von der liberalen Partei Polska 2050. Er mahnte allerdings, mehr in den Ausbau der Flugabwehr zu investieren, und regte an, den polnischen Luftraum über den an die Kriegsgebiete in der Ukraine grenzenden Regionen zu schließen. An dieser Stelle sieht auch der Politologe Marcin Zaborowski vom Institut Globsec Bedarf. "Wir brauchen eine bessere Raketenabwehr", sagte er der SZ. Die Truppen des Verteidigungsbündnisses Nato, die bereits in den mittelosteuropäischen Ländern stationiert seien, reichten nicht aus. Es brauche eine klare "Frontlinienverteidigung".

Polen beteiligt sich bisher nicht an der gemeinsamen Luftraumüberwachung

Polen hätte zudem ein einfaches Mittel, den Schutz seines Luftraums zu erhöhen. Nämlich sich am europäischen Luftverteidigungssystem zu beteiligen, so wie die baltischen Länder, Tschechien und die Slowakei. Das tut Polen aber nicht und das aus Sicht Zaborowskis nur aus einem einzigen Grund: "Weil es von Deutschland geführt wird." Deutschland hat Polen nun sofortige Hilfe bei der Überwachung des Luftraums angeboten. Grundsätzlich sei den polnischen Verantwortlichen kein Vorwurf zu machen für den Raketeneinschlag am Dienstagabend im Dorf Przewodów, bei dem zwei Männer starben, sagt Zaborowski und lobt das besonnene Vorgehen der polnischen Regierung: "Die Reaktion war ausgewogen und zurückhaltend."

Polen hat sich seit Beginn des russischen Angriffskrieges stets als engster Verbündeter der Ukraine präsentiert, schickte eine große Zahl eigener Panzer und weitere Waffen. Regierung wie Opposition hatten stets mehr Engagement der Nato-Partner, vor allem Deutschlands, gefordert und sich weit weniger besorgt gezeigt, durch Lieferungen bestimmter Waffen in den Augen Russlands zum Kriegspartner der Ukraine zu werden.

Nun hat sich die Befürchtung, dass dieser Krieg die eigenen Grenzen überschreitet, bewahrheitet und Polens Politiker mahnen, Ruhe zu bewahren. Am Mittwochnachmittag sind sich alle einig: Es handelt sich bei dem Raketeneinschlag nicht um vorsätzlichen Beschuss, Artikel 4 der Nato-Vereinbarung wird nicht aktiviert, also keine gemeinsamen Konsultationen, weil sich ein Bündnispartner bedroht fühlt.

Es wird nun etwas lauter werden am Himmel über dem polnischen Grenzgebiet zur Ukraine. Die Streitkräfte, vor allem die Luftwaffe, sind in erhöhter Alarmbereitschaft. Aber auch Polizei, Grenzschutz, Landesfeuerwehr. Es soll mehr Patrouillenflüge geben und mehr Sicherheitskräfte an der Grenze, erklärt Präsident Andrzej Duda am Nachmittag, nachdem erneut der Nationale Sicherheitsrat zusammengetreten war.

Im Dorf Przewodów wird indessen um die zwei Männer getrauert, die bei dem Raketeneinschlag starben. Einer brachte Mais zum Wiegen, berichten die Lokalmedien, der andere erwartete die Fuhre in dem landwirtschaftlichen Betrieb, etwa zehn Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Ein Gebäude zur Trocknung von Getreide wurde völlig zerstört, die Rakete riss einen tiefen Krater. Das Gelände ist abgesperrt, bei strömendem Regen untersuchten verschiedene Dienste am Mittwoch weiter den Ort, an dem zwei polnische Kriegstote zu beklagen sind.

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