Polen:Objekte am Himmel, Unruhe am Boden

Polen: Kann es sein, dass er nicht zeitnah informiert war über nach Polen verirrte Raketen? Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak, hier Anfang der Woche in einer Luftwaffenbasis in Warschau.

Kann es sein, dass er nicht zeitnah informiert war über nach Polen verirrte Raketen? Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak, hier Anfang der Woche in einer Luftwaffenbasis in Warschau.

(Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Eine Drohne mitten im Flugverkehr, ein Marschflugkörper im Wald - die Polen besorgt, was aus dem Krieg in der Ukraine in ihr Land fliegt. Und was ihnen ihre Regierung nicht darüber sagt.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Merkwürdige Dinge geschehen in den vergangenen Tagen über dem Himmel von Polen. Am Wochenende wurde der Warschauer Flughafen für eine halbe Stunde gesperrt, weil eine Drohne mit bis zu drei Meter Durchmesser zwei Passagierflugzeugen bedrohlich nahe gekommen war. Am Montag ereignet sich ein ähnlicher Vorfall am Flughafen Katowice. Zugleich warnt die Nationale Sicherheitsbehörde RCB vor einem "ballonähnlichen Objekt in der Luft", das aus Belarus ins Land gekommen sein soll. Das Verteidigungsministerium spricht später von einem Überwachungsballon. Der Radarkontakt sei abgerissen. Dutzende Angehörige der Territorialverteidigung WOT suchten nach dem Ballon, teilte die staatliche Nachrichtenagentur PAP mit.

Deutlich mehr Unruhe aber löste schon zuvor ein Fund in einem Wald nahe der Stadt Bydgoszcz aus. Beim Ausritt mit seinem Pferd war dort jemand im Wald auf etwas gestoßen, das wie eine Rakete aussah. Zuerst berichtete Ende April die Tageszeitung Gazeta Wyborcza über den merkwürdigen Fund, erst dann meldeten sich nach und nach Justizminister, Premier und Verteidigungsminister zu Wort.

Die Generäle sagen, sie hätten alle Informationen weitergeleitet

Demnach handelt es sich um einen Marschflugkörper vom sowjetischen Typ CH-55. Niedergegangen sein soll er bereits am 16. Dezember. Bydgoszcz im Nordwesten des Landes gilt als "Nato-Hauptstadt Polens", 2004 wurde dort ein Joint Force Training Centre eingerichtet, als erste Nato-Kommandostruktur Mittel- und Osteuropas.

Es ist nicht der erste Raketeneinschlag in Polen. Mitte November vergangenen Jahres waren in einem Dorf nahe der ukrainischen Grenze zwei Männer gestorben, als eine ukrainische Flugabwehrrakete einschlug. Russlands Armee hatte damals die schlimmsten Raketenangriffe auf die Ukraine seit Beginn des Krieges geflogen. Auch aus dem ukrainischen Nachbarland Moldau wurden schon Raketenfunde berichtet.

Im November hatte die polnische Regierung die Lage öffentlich bald beruhigt. Nach dem Einschlag gab es Befürchtungen, nun weite sich der russische Angriffskrieg in der Ukraine auf Polen aus - und damit auf alle Nato-Länder, die sich ja einander zum Beistand verpflichtet haben. Während international die Besonnenheit der polnischen Regierung Anerkennung fand, kritisierte damals etwa die Gazeta Wyborcza das stundenlange Schweigen scharf. Zu lange habe die Regierung die Bevölkerung im Ungewissen gelassen.

Polen: Im vergangenen November schlug eine ukrainische Flugabwehrrakete versehentlich im polnischen Przewodów ein. Zwei Menschen kamen dabei um.

Im vergangenen November schlug eine ukrainische Flugabwehrrakete versehentlich im polnischen Przewodów ein. Zwei Menschen kamen dabei um.

(Foto: Polnische Polizei/AFP)

Diesmal dauerte das Schweigen deutlich länger als ein paar Stunden. Drei Wochen nach dem Fund nahm Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak Stellung - und beschuldigte den Einsatzleiter des Luftkontrollzentrums, ihn nicht informiert zu haben. Zudem sei nicht ausreichend nach dem Objekt gesucht worden. Die Ukraine hatte an jenem 16. Dezember die polnische Seite über die Rakete informiert, daraufhin, so Błaszczak, hätten Truppen in Polen zunächst richtig reagiert. Bis zu dem Moment, als die Befehlshaber den Vorgang nicht an die Regierung meldeten. Auch Premier Mateusz Morawiecki erklärte, erst Ende April von dem Vorfall erfahren zu haben.

Ranghohe ehemalige Militärs erklären nun seit Tagen, dass es schlicht nicht möglich sei, dass der Verteidigungsminister nicht informiert war. Es ist die Rede von Lüge. Auch die von Błaszczak direkt beschuldigten Generäle erklärten, alle Informationen weitergeleitet zu haben. Die Opposition fordert den Rücktritt Błaszczaks und hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet - die soll prüfen, ob der Minister seine Pflichten vernachlässigt hat. Der oberste Rechnungshof hat zudem eine interne Untersuchung im Verteidigungsministerium angekündigt. Dabei soll es um die Herkunft der Trägerrakete, die Atomwaffen transportieren kann, ebenso gehen wie um die Informationswege in Armee und Verteidigungsministerium.

Der Premier wirft Opposition und Medien vor, sie schürten Angst

Premier Morawiecki und Präsident Andrzej Duda halten vorläufig zu ihrem Verteidigungsminister. Duda räumte allerdings in dieser Woche ein, es gebe "Probleme im Verfahren". Was bleibt, sind im Moment sehr viele Ungewissheiten, nicht nur was die Rakete betrifft. Weder wurde der mögliche Beobachtungsballon gefunden, noch ist geklärt, woher die Drohnen an den Flughäfen stammten.

Premier Morawiecki, auf all diese Vorfälle angesprochen, warf der Opposition und "ihr nahestehenden Medien" vor, eine "Atmosphäre der Angst" zu erzeugen. "Leider haben wir einen Krieg hinter unserer östlichen Landesgrenze", sagte er Anfang der Woche bei einem Wahlkampfauftritt in Otwock. "Es ist einfach so, dass solche Dinge in Europa, auch weit entfernt von der Front in der Ukraine, geschehen können."

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