Pressefreiheit:Jetzt geht es um Polens wichtigsten Nachrichtensender

Das Fernsehstudio von TVN24 in Warschau. Polens unabhängiger Nachrichtensender ist den Machthabern ein Dorn im Auge.

Das Fernsehstudio von TVN24 in Warschau. Polens unabhängiger Nachrichtensender ist den Machthabern ein Dorn im Auge.

(Foto: Jakub Stezycki /Reuters)

Das ums­trit­tene Rund­funk­ge­setz der nationalkonservativen Regierung war an der Opposition geschei­tert. Doch das ist nicht das letzte Wort.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war ein kurzes Aufatmen, als der polnische Senat am 9. September mehrheitlich gegen das umstrittene neue Rundfunkgesetz der PiS-Regierung stimmte. Polens Opposition, die den Senat dominiert, setzte damit ein wichtiges Zeichen gegen die nationalpopulistische Regierungspartei. Diese hatte im Juli die Novelle beschlossen, mit deren Gesetzesänderungen die US-amerikanischen Eigner des Fernsehsenders TVN24 zum Verkauf ihrer Kontrollmehrheit gezwungen werden sollten. TVN24 ist Polens führender Nachrichtensender, die wichtigste noch unabhängige landesweite Informationsquelle. Die Regierung will ihn unter ihre Kontrolle bringen, wie schon zuvor das Staatsfernsehen und die kürzlich vom Staatskonzern Orlen gekaufte Regionalzeitungsgruppe Polska Press.

Der Sender gehört dem US-Konzern Discovery. US-Außenminister Antony Blinken hat das sogenannte TVN-Gesetz, das Eigentümern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums den mehrheitlichen Besitz polnischer Radio- oder Fernsehanstalten verbietet, scharf kritisiert. Im polnischen Senat stellten der juristische Dienst und weitere Rechtsexperten fest, dass die Novelle in etlichen Punkten Polens Verfassung, den EU-Verträgen und einem polnisch-amerikanischen Handelsabkommen von 1990 widerspricht. Die Senatoren lehnten den Entwurf mit 53 von 100 Stimmen ab.

Doch Jarosław Kaczyński, Chef der PiS, hält daran fest. "Nach unserer Überzeugung ist das Mediengesetz unverzichtbar", sagte er in der vergangenen Woche. Obwohl Ex-Diplomaten und Oppositionelle vor empfindlichen Gegenmaßnahmen Washingtons warnen, gibt er sich beim Rundfunkgesetz ebenso hart wie im Streit mit der EU um den Abbau des polnischen Rechtsstaats.

500 000 Euro täglich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Polen am Montag aufgebrummt. Ein Rekordbußgeld, weil das Land nicht wie im Mai angeordnet die Braunkohlegewinnung im Tagebau Turów gestoppt hat - und damit EU-Recht bricht. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bekräftigte jedoch, Turów bleibe offen. Die Europäische Kommission hat beim EuGH weitere hohe Bußen beantragt, weil Warschau Beschlüsse zum Rechtsstaat missachtet, etwa die Anordnung, sofort die rechtswidrige Disziplinarkammer am Obersten Gericht aufzulösen, die mehrmals gegen unabhängige Richter vorgegangen ist.

"Medien sollen den Regierenden dienen"

Bislang ist kein Nachgeben erkennbar, im Gegenteil. Das politisch kontrollierte Verfassungsgericht soll an diesem Mittwoch auf Antrag des Regierungschefs jene Artikel der EU-Verträge für verfassungswidrig erklären, die Polen wegen der Verpflichtung zum Rechtsstaat nicht passen. Auch das TVN-Gesetz hat noch Chancen: Nach dem Votum im Senat geht es zurück an den Sejm, die erste Kammer des Parlaments, die den Senat mit einfacher Mehrheit überstimmen kann. Möglich, dass Kaczyński das noch in dieser Woche versucht.

Für Kaczyńskis Vorgehen sieht der Medienexperte Jan Dworak drei Gründe. "Im Weißen Haus sitzt jetzt Joe Biden, von dem Kaczyński anders als von Donald Trump nichts erwartet. Zudem regiert die PiS jetzt seit fünf Jahren. Ihre populistischen Mittel haben sich erschöpft, ihre Popularität ist gesunken", sagt Dworak, der von 2004 bis 2006 den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TVP lenkte. Selbst ein neues, massives Ausgabenprogramm habe daran nichts geändert. Aber spätestens im Herbst 2023 stehen wieder Wahlen an. "In der Sicht Kaczyńskis sind Medien nicht für eine demokratische Meinungsbildung da, sondern sollen den Regierenden dienen."

Dworak leitete jahrelang auch den Nationalen Rundfunk- und Fernsehrat, ein Verfassungsorgan, das auch den Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP bestimmte. Doch Ende 2015 wurde der Rat verfassungswidrig entmachtet. Der neue TVP-Chef Jacek Kurski, der sich als "Bullterrier der Kaczyńskis" lobt, baute den Sender sofort um, zum "Propagandakanal mit erfundener Realität", wie Dworak sagt. "Kaczyński denkt, wenn er nun auch noch TVN24 kontrolliert, wird endgültig nicht mehr von den ganzen Skandalen in den Reihen der Regierung geredet oder vom Konflikt mit der EU. Er glaubt, er kann die Leute von seiner Version der Wirklichkeit überzeugen."

Noch ist offen, ob die PiS das Rundfunkgesetz in jetziger Fassung durchboxen oder es zuvor abändern will. Polens ebenfalls von der PiS gestellter Präsident Andrzej Duda hat sein Veto angekündigt, falls die Novelle so bleibt, wie sie ist. Allerdings hat Duda bisher noch nie ein rechtswidriges Gesetz der PiS-Regierung endgültig verhindert, sondern sich mit kosmetischen Änderungen zufriedengegeben.

Der Rundfunkrat agiert regierungstreu - gegen TVN

Doch das Gesetz ist nicht der einzige Hebel gegen den TVN24. Der Nationale Rundfunk- und Fernsehrat hätte dem Sender längst die Verlängerung seiner am Freitag ablaufenden Lizenz bewilligen müssen. "Dazu ist er gesetzlich verpflichtet", sagt Dworak. Geschehen ist es dennoch nicht. Ob es zur Bewilligung nach einer für diesen Dienstag anberaumten Ratssitzung kommt, muss sich erst herausstellen.

Sicherheitshalber beantragten - und erhielten - die Eigentümer von TVN24 im August in den Niederlanden eine EU-weit gültige Sendelizenz. Doch die löse nicht das Problem eines gesetzlich erzwungenen Verkaufs, teilte der Sender mit. Deshalb wird weiter spekuliert, ob der Sender mit seinen Hunderten Mitarbeitern wegen angeblicher Verstöße gegen Auflagen seine Basis in Polen verliert.

Wie der Rundfunkrat dem Sender schaden kann, deutete sich bereits im August an. Auslöser war eine heftige Kritik des Oppositionspolitikers Władysław Frasyniuk in einer TVN24-Livesendung. Soldaten, die an der polnisch-belarussischen Grenze Flüchtlinge blockierten, dienten "nicht dem polnischen Staat", schimpfte Frasyniuk. "So handeln keine Soldaten. Einfach Müll. Das ist kein menschliches Verhalten, das ist antipolnisches Verhalten", ereiferte er sich. Beim Rundfunkrat wurden daraufhin 25 angebliche Beschwerden von Privatpersonen eingereicht.

Auch andere Methoden sind möglich: 2018 gingen nach einer investigativen Reportage über polnische Neonazis Staatsanwaltschaft und Geheimdienst gegen TVN24 wegen angeblicher Propagierung des Nationalsozialismus vor. 2017 verhängte der Rat gegen den Sender eine - später zurückgezogene - Millionenstrafe. Schon nach dem Wahlsieg der PiS Ende 2015 wurden Gegner aktiv. Der PiS-Parlamentarier Maciej Świrski, der nominelle Autor des jetzigen TVN-Gesetzes, schlug damals vor, die amerikanischen Eigentümer darauf hinzuweisen, dass ihr Sender "eine Beleidigung für ein Drittel der Gesellschaft" sei. Die nächsten Schritte hatte Świrski bereits im Sinn: "Gerichtsprozesse in massenhafter Form".

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