Am Morgen nach der Wahl verteilt Rafał Trzaskowski im südostpolnischen Kielce Äpfel und süße Teilchen. „Wir verlieren keine Zeit“, schrieb der Gewinner der ersten Runde der polnischen Präsidentschaftswahl am Sonntag dazu. „Wir kämpfen um die Zukunft Polens!“ Kielce liegt in der ländlichen Woiwodschaft Heiligkreuz, wo der Kandidat der rechtsnationalistischen PiS-Partei Karol Nawrocki gewonnen hat. Trzaskowski gehört zum liberalen Flügel der konservativen Partei Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk.
Tusk schrieb schon, kurz nachdem erste Ergebnisse der Nachwahlbefragungen bekannt waren, der „Kampf um alles“ habe begonnen. Der 53-jährige proeuropäische Warschauer Bürgermeister ist die Hoffnung von Tusks Regierung. Diese wird bislang häufig bei der Gesetzgebung vom PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda blockiert. Der durfte nach zwei Amtszeiten nun nicht mehr antreten. Trzaskowski würde wohl tatsächlich eher im Sinne der Tusk-Regierung handeln. Er würde sehr wahrscheinlich dazu beitragen, das Verfassungsgericht zu entpolitisieren und Gesetzentwürfe etwa zur Gleichstellung von Minderheiten befürworten.
PiS-Kandidat Nawrocki, bislang Leiter des Instituts für Nationales Gedenken, machte am Montag ebenfalls sofort wieder Wahlkampf. Er fuhr in die nordwestliche Großstadt Bydgoszcz – wo wiederum sein Gegner Trzaskowski mehr Anhänger hat. Nawrocki will „Polen retten“ und ruft dazu auf, kein „Monopol“ der Tusk-Partei zuzulassen. PiS hatte indes dieses politische Monopol aus Regierung und einem ihr völlig zu Diensten stehenden Präsidenten acht Jahre lang – bis im Oktober 2023 Donald Tusk und seine Koalitionspartner eine Mehrheit gewannen.
Im ersten Wahlgang hat Trzaskowski wie erwartet die meisten Stimmen erhalten. Nicht erwartet worden war, dass der 42-jährige Nawrocki nur so knapp hinter ihm liegen würde. Damit wird die Stichwahl am 1. Juni ein sehr enges Rennen. Eine weitere Überraschung des Abends ist das insgesamt sehr starke Abschneiden rechtsextremer Kandidaten.
Hohe Wahlbeteiligung
Das offizielle Wahlergebnis wurde erst am Montagmittag bekannt gegeben. Demnach erhielt Rafał Trzaskowski 31,36 Prozent der Stimmen, der zweitplatzierte Karol Nawrocki kam auf 29,54 Prozent.

Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 67 Prozent sehr hoch, höher als in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im Corona-Sommer vor fünf Jahren. Schon damals hatte Trzaskowski kandidiert, gegen Andrzej Duda, dem er schließlich nur knapp in der Stichwahl unterlag.
Mit dem Ergebnis Dudas von damals 43,5 Prozent in der ersten Runde kann dessen potenzieller Nachfolger Nawrocki längst nicht mithalten. Doch die Rollen haben sich geändert. Vor fünf Jahren war Trzaskowski der Herausforderer, die PiS-Partei regierte. Jetzt ist er der Kandidat der Partei des Ministerpräsidenten. Er muss den Wahlsieg Tusks und seiner Koalitionspartner vom Oktober 2023 praktisch vollenden. Schon befürchten viele, dass PiS auch die nächsten Parlamentswahlen wieder gewinnt, wenn Nawrocki Präsident wird.
Wer von beiden es schafft, wird auch von den Wahlempfehlungen der anderen Kandidaten abhängen. Trzaskowski hat schon eine erhalten. Insgesamt waren 13 Kandidaten angetreten. Neben Trzaskowski gehören noch zwei weitere Kandidaten Parteien der Regierungskoalition an. Doch sie erhielten gemeinsam nur gut neun Prozent der Wählerstimmen. Einer von beiden, der zentristische Kandidat Szymon Hołownia, rief schon am Sonntagabend dazu auf, Trzaskowski „eine Chance zu geben“. Die Linke Magdalena Biejat sagte, sie wolle sich erst einmal mit Trzaskowski unterhalten.

Doch wen kann der Kandidat der PiS-Partei mobilisieren? Der rechtsextreme Sejm-Abgeordnete Sławomir Mentzen erhielt 14,8 Prozent der Stimmen, liegt damit auf Platz drei. Mentzen will aus der EU austreten und das ohnehin strenge Abtreibungsrecht in Polen noch verschärfen – so soll auch nach Vergewaltigungen kein Abbruch möglich sein. Gefolgt wird Mentzen von dem Rechtsradikalen Grzegorz Braun mit 6,3 Prozent. Ein so gutes Ergebnis hatten die Umfragen nicht vorausgesehen.
Braun störte den Tag des Amtsantritts der Regierung Tusk im Dezember 2023 im Sejm, als er auf einen eben entzündeten Chanukka-Leuchter mit einem Feuerlöscher losging. Im Wahlkampf ließ er sich dabei filmen, wie er eine Ausstellung über die LGBT-Community auf dem Marktplatz von Opole mit schwarzer Farbe besprüht. Vergangenen Juni wurde Braun ins Europaparlament gewählt. Dieses hob kürzlich seine Immunität auf. Der 58-Jährige kann nun wegen verschiedener Vergehen angeklagt werden.
Der 38-jährige Betriebswirt Mentzen, der vor allem von Männern und von den 19- bis 39-Jährigen gewählt wurde, hat bisher gesagt, er werde Nawrocki nicht unterstützen. Mentzens Wählerschaft ist deutlich jünger und etwas städtischer als die Nawrockis. Die PiS-Partei gilt, wie die Umfragen erneut zeigen, zu Recht als Alte-Leute-Partei. Die meisten Stimmen bekam Nawrocki von Wählern, die 60 und älter sind, auf dem Land und im Osten Polens. Auch Nawrocki wird stärker von Männern gewählt.

Trzaskowski gewinnt hingegen bei Frauen, bei den 40- bis 59-Jährigen, in Städten und bei gut Gebildeten. Nun muss Trzaskowski allerdings noch einen großen Teil der anderen erreichen. Kommenden Sonntag wollen beide Kandidaten in Warschau eine Demonstration veranstalten. Trzaskowski ruft in seiner Stadt zum „Großen Marsch der Patrioten“ auf – Nawrocki kündigte daraufhin den „Marsch für Polen“ an.